Année politique Suisse 1979 : Allgemeine Chronik / Landesverteidigung
Landesverteidigung und Gesellschaft
Die Frage nach der Stellung der Landesverteidigung in der Gesamtpolitik war 1979 weiterhin stark umstritten. Die zunehmenden weltweiten Spannungen, vor allem aber die wachsende militärische Überlegenheit des Warschauer Paktes in Europa, veranlassten nicht nur die NATO-Staaten Ende des Jahres den vieldiskutierten Nachrüstungsbeschluss zu fassen, sondern zeitigten auch Auswirkungen auf die Schweiz. So gab der Bundesrat in einem Zwischenbericht zur Sicherheitspolitik bekannt, angesichts der veränderten Bedrohungslage werde die Konzeption der Gesamtverteidigung von 1973 für die 80er Jahre überprüft. Verschiedene hohe Armeeführer brachten ihre Bedenken hinsichtlich der Lücken in der schweizerischen Bewaffnung, insbesondere im Bereich der Panzer und des Raumschutzes, zum Ausdruck und betonten, die Armee könne ihre Aufgabe in Zukunft nur dann zufriedenstellend versehen, wenn Bundesrat und Parlament bis 1984 die Realisierung des Armeeleitbildes 80 ermöglichten, indem sie dem dafür erforderlichen Investitionsrahmen von 6-7 Mia Fr. zustimmten
[1]. Dies trug ihnen von SP-Seite den Vorwurf ein, sie untergrüben die Glaubwürdigkeit der Armee, einen Vorwurf, den der Bundesrat allerdings als ungerechtfertigt bezeichnete. In ihrer Antwort auf eine Einfache Anfrage Morel (sp, FR) gab die Regierung vielmehr zu verstehen, dass sie die Beurteilung der Armeeführung teile
[2]. Wegen der weitreichenden Konsequenzen der auf dem Gebiet der Rüstung bevorstehenden Entschliessungen plädierte GeneralstabschefSenn dafür, die Höhe der betreffenden Kredite fürderhin nicht mehr auf der Stufe des Finanz- und des Militärdepartements aushandeln zu lassen. Vielmehr solle der Gesamtbundesrat für die Belange der Rüstung die Verantwortung übernehmen, indem er nach Anhören der Armeespitze selber den Finanzrahmen festsetze und die Entscheidung zwischen politisch Machbarem und bloss Wünschbarem treffe
[3].
Wie bereits 1978 machten sich die bürgerlichen Parteien, speziell die Freisinnigen, zu Fürsprechern der Begehren der Armeeleitung. Für sie ist eine starke Armee eine Notwendigkeit, weil ihrer Ansicht nach die Fähigkeit des Staates, sich gegen aussen zu verteidigen, die Grundlage des schweizerischen politischen Systems und damit auch der sozialen Sicherheit bildet. Hatte sich in den Jahren der Entspannung eine gewisse Zurückhaltung bei den Militärausgaben rechtfertigen lassen, so scheint ihnen die Entwicklung der Bedrohungslage eine Verstärkung des Rüstungsbudgets notwendig zu machen, damit der in den Jahren des nominal gleichbleibenden, real sich aber vermindernden Aufwandes entstandene technologische Rückstand in der Ausrüstung der Truppen aufgeholt werden kann.
Wegen der Finanzprobleme des Bundes sollen die zusätzlichen Gelder nicht allein durch eine Erhöhung der dem EMD zugeteilten Mittel aufgebracht werden. Vielmehr wird verlangt, dass die zur Verfügung stehenden Beträge departementsintern vermehrt für Rüstungszwecke und weniger für laufende Kosten verwendet werden
[4]. Nationalrat Allgöwer (ldu, BS) griff den 1975 von liberaler und evangelischer Seite lancierten Vorschlag einer den Bundeshaushalt entlastenden Wehranleihe wieder auf
[5].
Die Bestrebungen der bürgerlichen Kreise stiessen bei den Sozialdemokraten auf Widerstand. Eine Vergrösserung des EMD-Budgets war für sie gleichbedeutend mit einem Abbau von Sozialleistungen
[6]. Die SPS zeigte sich im übrigen in ihrer Haltung gegenüber militärpolitischen Fragen nicht einig. Ihr an Einfluss gewinnender pazifistischer Flügel
[7] versuchte einer Verstärkung der Rüstungsanstrengungen dadurch einen Riegel zu schieben, dass er eine Initiative für die Unterstellung entsprechender Ausgaben unter das fakultative Referendum ankündigte. Es gelang ihm, am Parteitag seine Ansicht durchzusetzen. Gegen den Willen des Parteipräsidenten Hubacher, der diese heikle Angelegenheit vorerst einmal näher prüfen lassen wollte, beschloss die Versammlung mit 306 gegen 255 Stimmen die Unterstützung des Projekts
[8].
Dass es bei diesen Auseinandersetzungen keineswegs nur um einen Streit um die Höhe der Militärausgaben für die Investitionsperiode 1980-84, sondern um die viel grundsätzlichere Frage nach der Rolle der Armee im Staate ging, zeigten insbesondere die Diskussionen um grossangelegte Wehrvorführungen der Felddivision 6 in Zürich. Diese Schau, die von Armeeseite vor allem mit dem Argument begründet wurde, es gehe darum, der Bevölkerung zu zeigen, was mit dem für die Rüstung eingesetzten Geld geschehe und gleichzeitig den Kontakt mit den Zivilisten zu suchen, stiess aufder Linken auf heftige Kritik. Noch bevor die Absicht einer Truppendemonstration im Herzen Zürichs offiziell bekanntgegeben worden war, meldete das Demokratische Manifest. unterstützt vor allem vom Friedensrat und Kreisen um den Kantonalpräsidenten der Zürcher SP, Nationalrat Braunschweig, seinen Protest gegen den Plan an. Dieser wurde als eine Art Machtübernahme der Armee angeprangert, wobei man auf die Besetzung der Tschechoslowakei durch russische Truppen im Jahre 1968 anspielte
[9], ein Hinweis, der nicht nur den Widerspruch der bürgerlichen Parteien hervorrief, sondern auch von Kreisen, die der militärischen Grossveranstaltung mit Vorbehalten begegneten, entschieden zurückgewiesen wurde
[10]. Bei der Bevölkerung stiessen die Aussetzungen an der Wehrschau auf wenig fruchtbaren Boden: zu Hunderttausenden strömten sie nach Zürich, während eine gleichzeitig anberaumte Gegendemonstration nur wenige Tausend Leute hinter sich zu vereinigen mochtet
[11]. Mit diesem offenkundigen Erfolg rechtfertigte der Bundesrat in seiner Antwort auf eine Einfache Anfrage aus dem Nationalrat die Durchführung der Übung
[12].
[1] Sicherheitspolitik: BBI, 1980, I, S. 355 f. insbes. 391 ; vgl. SPJ, 1978, S. 47 (freisinniges Postulat für Ergänzung des Sicherheitsberichts von 1973). Armeeführer: Divisionär Weidenmann vor der Allgemeinen Offiziersgesellschaft (OG) Zürich vgl. NZZ, 19.24.1.79 ; TA, 19.24.1.79 Generalstabschef Senn vor Zürcher OG vgl. NZZ, 11. 15.1.79; vgl. auch D. Brunner in Bund. 193. 20.8.79.
[2] Amtl. Bull. NR, 1979, S. 890 f. Morel bezog sich in seiner Einfachen Anfrage vor allem auf Erklärungen von Generalstabschef Senn sowie auf Äusserungen von NR Wyss (fdp, BS; vgl. Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1558 f.). die ein Echo in der britischen Zeitschrift The Economist (3.2.79) gefunden hatten. Vgl. zur Antwort des BR: BaZ, 125. 31.5.79.
[3] Senn in LNN, 53, 5.3.79. Ähnlich U. Augsburger in NZZ,176. 2.8.79.
[4] NR Friedrich vor Zürcher OG ; vgl. TA, 106. 9.5.79 sowie in NZZ, 126. 2.6.79; FDP- Militärausschuss: NZZ, 234. 9.10.79. Zu den Vorstössen von 1978 vgl. SPJ, 1978. S. 46 f.
[5] BaZ, 279. 28.11.79; vgl. SPJ, 1975. S. 177; 1976. S. 49.
[6] H. Hubacher in BaZ, 74. 28.3.79.
[7] Vgl. dazu Wahl in die Sicherheitskommission der SPS: TA, 208. 8.9.79. Vgl. auch Interview mit dem Präsidenten dieser Kommission. H. Buchbinder, in BaZ, 209. 7.9.79; sowie NZZ, 74. 29.3.79.
[8] Vr, 66. 19.3.79; BZ, 116. 19.5.79: JdG, 116. 19.5.79; 145. 25.6.79; Vat.. 144. 25.6.79. Zur Frage des Rüstungsreferendums vgl. SPJ, 1977. S. 48.
[9] NZZ, 37. 14.2.79; 62. 15.3.79; TA, 37. 14.2.79; Konzept. 2. 20.2.79; Vr, 63. 15.3.79.
[10] Zur Kritik vgl. BaZ, 38, 14.2.79 ; 40, 16.2.79 ; TA, 37. 14.2.79: BZ, 40, 17.2.79 ; SGT, 40, 17.2.79. Kritik der FDP: NZZ, 38, 15.2.79: TA, 39, 16.2.79.
[11] NZZ, 64, 17.3.79; 65, 19.3.79; BaZ, 66. 19.3.79; Bund, 65. 19.3.79; Ldb, 65, 19.3.79; TA, 65. 19.3.79.
[12] Amtl. Bull NR, 1979, S. 879.
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