Année politique Suisse 1979 : Allgemeine Chronik / Landesverteidigung
Rüstung
Im Rahmen der Diskussionen um die Höhe der Militärausgaben kam den Aufwendungen fir die Rüstung besondere Bedeutung zu. Das
ordentliche Rüstungsprogramm 1979, mit dem vor allem die Panzerabwehr und die Luftverteidigung verstärkt werden sollten, beanspruchte mit 1,4 Mia Fr. den höchsten Betrag seit dem Beginn des Koreakrieges
[13]. Während damit fir die Sozialdemokraten von vornherein der Beweis erbracht war, dass man im EMD keine Sparanstrengungen unternehme
[14], traten die bürgerlichen Fraktionen anfänglich für die Vorlage ein, damit den Vorwurf der SP provozierend, man wolle nur die Sozialausgaben einschränken. Schien der Verlauf der Debatte damit vorgezeichnet, so sorgten die Beratungen des Ständerates für einen Eklat : die kleine Kammer beschloss in der Sommersession, den grössten Brocken des Kredites, 890 Mio Fr. für den Ankauf einer in der Botschaft nicht genannten Anzahl von amerikanischen
Panzerhaubitzen des Typs M-109 mit Zubehör, zur
Neuüberprüfung an die Kommission zurückzuweisen
[15].
Ausgangspunkt für diesen überraschenden Beschluss der Ständeherren, dem sich im Herbst auch der Nationalrat anschloss, waren zwei offene Briefe der SPS an Bundesrat Gnägi, die an der Rüstungsbotschaft scharfe Kritik übten. Einerseits wiesen sie auf die im Vergleich zu früher beschafften Serien der M-109 stark gestiegenen Kosten hin, anderseits klagten sie über eine mangelhafte Information des Parlaments, die um so unangebrachter sei, als eine allgemein zugängliche Publikation der amerikanischen Behörden wesentlich detailliertere Angaben enthalte
[16]. Der Chef des EMD sah sich darauf veranlasst, das Rüstungsvorhaben öffentlich zu präzisieren. Er rechtfertigte die Tatsache, dass trotz gesunkenem Dollarkurs der Stückpreis für die Haubitze über demjenigen des Jahres 1974 liege, mit der hohen Inflationsrate in den USA, mit starken Preissteigerungen beim Rohmaterial und mit qualitativen Verbesserungen
[17]. Doch als sich mit dem negativen Ausgang der Finanzabstimmung vom 20. Mai die Hoffnungen auf eine baldige Sanierung des Bundeshaushaltes zerschlugen, übertrug sich die Unruhe auch auf die bürgerlichen Parteien. Nachdem sich der Militärausschuss der FDP noch Ende Mai hinter die Rüstungsvorlage gestellt hatte, beschloss die freisinnige Fraktion am Vorabend der Beratungen im Ständerat überraschend die Rückweisung des für die Panzerhaubitzen bestimmten Teilkredits
[18].
Diesem wohl nicht zuletzt wahlpolitisch motivierten Entscheid, der demonstrieren sollte, dass man auch in der FDP zu Sparanstrengungen beim EMD bereit sei, schloss sich die Militärkommission der kleinen Kammer unmittelbar vor Verhandlungsbeginn an und das Plenum folgte ihr. In der Debatte äusserte man nicht nur Bedenken über die Höhe der Kosten und über die ungenügende Information — das EMD hatte den Rat erst am Vorcagmit eingehenderen Angaben ausgestattet —, sondern auch über die Gefahr, in der Rüstung mehr und mehr von den USA abhängig zu werden. Die bürgerlichen Fraktionen lehnten es jedoch ab, einen sozialdemokratischen Antrag auf Rückweisung der gesamten Vorlage an den Bundesrat zu unterstützen. Die Kredite in der Höhe von 550 Mio Fr. für die Umrüstung von Flugzeugen des Typs «Hunter» sowie für die Beschaffung einer zweiten Serie von Feuerleitgeräten «Skyguard» und anderen Kriegsgeräts passierten in beiden Räten mit deutlichen Mehrheiten. Allerdings verringerte sich die bewilligte Summe wegen einer Verbilligung der Munition um 4 Mio Fr.
[19].
Die mit der Rückweisung an die Kommissionen verlangte Neuaushandlung des Kaufvertrages mit den zuständigen amerikanischen Stellen blieb resultatlos, da man in Washington keinerlei Neigung zeigte, der Schweiz bessere Bedingungen zu gewähren als anderen Kunden. Als besonders stossend empfanden die National- und Ständeräte die von der US-Regierung erstmals erhobenen administrativen Zuschläge. Verschiedentlich war in diesem Zusammenhang, nicht nur von sozialdemokratischer Seite, von fragwürdigen Beträgen, ja von Preisdiktat die Rede. Deshalb wurde in der Herbstsession auch die Möglichkeit von Alternativen erörtert. Im Vordergrund stand die Rückweisung eines Betrages von 73 Mio Fr. für die in der Botschaft nur beiläufig erwähnte
Beschaffung von Schützenpanzern M-113, um die Frage zu prüfen, ob an deren Stelle nicht ein Produkt der notleidenden Kreuzlinger Firma Mowag erworben werden könnte. Ein diesbezüglicher Antrag des Thurgauer Ständerates Herzog (svp, TG), der auch von der SP unterstützt wurde, unterlag in der kleinen Kammer nur knapp, mit 18:14 Stimmen. Die Sozialdemokraten erneuerten diesen Vorschlag in der Wintersession im Nationalrat. Sie wollten jedoch zusätzlich den ganzen Kredit an den Bundesrat zurückweisen, um auch Varianten zur Panzerhaubitze M-109 abklären zu lassen. Beides wurde vom Nationalrat auf Antrag der Militärkommission abgelehnt, nicht nur weil die schweizerische Armee bereits weitgehend mit dem amerikanischen Material ausgerüstet ist, sondern vor allem weil dieses den Konkurrenzprodukten sowohl kosten- als auch qualitätsmässig überlegen ist. Dank Kürzungen der für Munitionseinkauf und für Unvorhergesehenes eingesetzten Beträge konnte der Kredit von 890 Mio Fr. auf 750 Mio Fr. reduziert werden
[20].
Wurde mit der Bewilligung des Rüstungsprogramms 1979 nach Ansicht der Armeespitze ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Realisierung des Armeeleitbildes 80 zurückgelegt, so gaben anderseits im Laufe des Jahres bekanntgewordene
Mängel beim Panzer 68 erneut Anlass zur Frage, ob die Verteidigungskonzeption von 1966 noch weiterhin Gültigkeit beanspruchen könne
[21]. Auf schwere Unzulänglichkeiten des in der Schweiz hergestellten Panzers, dessen vierte Serie 1978 vom Parlament bewilligt worden war, wurde die Öffentlichkeit aufmerksam, als die «Weltwoche» einen Brief Divisionär Haeners, des Waffenchefs der mechanisierten und leichten Truppen, an Generalstabschef Senn publik machte. Haener ersuchte Senn darin um Entbindung von der Verantwortung für die Kriegsbereitschaft der Panzertruppe, da die gravierenden Probleme mit dem Panzer 68 trotz Beanstandungen nicht behoben seien. Gleichzeitig verlangte er, dass die Produktion der vierten Serie bis zur näheren Abklärung des Falles eingestellt werde
[22]. Nachdem eine gemeinsame Sitzung der Militärkommissionen der beiden Kammern mit den Spitzen des EMD die zumindest teilweise Berechtigung der Kritik Haeners ergeben hatte, beschloss die Kommission des Nationalrats, zur näheren Abklärung der Angelegenheit einen Ausschuss einzusetzen. Bundesrat Gnägi seinerseits entsprach dem Verlangen der Parlamentarier und stoppte vorläufig den Bau des Panzers
[23].
Die durch die gründliche Untersuchung zu Tage geförderten Mängel stellten die Kriegstauglichkeit des Panzers 68 weitgehend in Frage und liessen es ratsam erscheinen, den Bau der vierten Serie so lange aufzuschieben, bis an der Möglichkeit ihrer Behebung keine Zweifel mehr bestünden. Sie gaben aber auch erneut zur Forderung Anlass, die heutige Regelung der Rüstungsbeschaffung sei zu überprüfen
[24]. Im Zentrum der Kritik stand die Gruppe für Rüstungsdienste (GRD), der unumwunden Unfähigkeit vorgeworfen wurde, vor allem aber deren Chef, dessen Rücktritt einige Parlamentarier unmissverständlich verlangten. Umstritten war jedoch vor allem die Doppelstellung des Rüstungschefs: einerseits hat er als Verantwortlicher für die Beschaffung neuer Waffen das bestmögliche Material zu suchen, anderseits obliegt ihm als oberstem Vorsteher der staatlichen Rüstungsbetriebe die Aufgabe, den ihm unterstellten Werken Arbeit zu verschaffen
[25]. Angesichts der Forderungen, die nicht nur der Ausschuss der Militärkommission des Nationalrats, sondern auch die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) erhob, entschloss sich das EMD dazu, eine neutrale Instanz mit der Untersuchung des Beschaffungsablaufs zu beauftragen. Es betraute Prof. E. Rühli mit dieser Aufgabe
[26], eine Wahl, die nicht ohne Kritik blieb, weil der ernannte Experte zugleich Verwaltungsratsmitglied der Contraves AG, einer Tochtergesellschaft des Bührle-Konzerns, ist
[27].
Da die Militärkommission des Nationalrates Zweifel äusserte, ob angesichts der Mängel des Panzers 68 und der schlechten Finanzlage eine fristgerechte Realisierung des Armeeleitbildes 80 überhaupt noch zu erwarten sei, forderte sie den Bundesrat mit einem Postulat auf, dem Parlament einen diesbezüglichen Bericht vorzulegen. In ihrer Antwort erklärte die Landesregierung, sie sehe keinen Grund, wegen der beim Panzer 68 aufgetretenen Unzulänglichkeiten die geltende Verteidigungskonzeption abzuändern. Sie folgte damit denjenigen Stimmen, die eindringlich davor gewarnt hatten, nunmehr einen unfruchtbaren Konzeptionsstreit vom Zaun zu reissen, einerseits, weil eine Milizarmee ein derartiges Hin und Her gar nicht vertrage, anderseits aber, weil es zum Armeeleitbild 80 keine realistische Alternative gebe, denn eine wirksame Dissuasion könne nur erreicht werden, wenn ein Angriff bereits an der Grenze auf Widerstand stosse
[28].
Da der Panzer 68 seine gegenwärtige Hauptfunktion, den Gegenschlag, ab spätestens Mitte der achtziger Jahre nicht mehr zu erfüllen vermag, legte der Bundesrat besonderes Gewicht auf die zeitgerechte Beschaffung neuer Gegenschlagpanzer
[29]. Diese Prioritätensetzung blieb nicht ohne Konsequenzen für die Modellwahl. Nachdem die Regierung 1978 der Zürcher Firma Contraves den Auftrag erteilt hatte, ein Modell für einen neuen Kampfpanzer zu entwickeln, war unter den Militärexperten in der Frage nach der besseren Variante, des Eigenbaus oder der Lizenzproduktion, eine lebhafte Diskussion in Gang gekommen, in die sich auch weitere interessierte Kreise einschalteten. Während die Befürworter des Mitte 1979 von der Contraves vorgelegten schweizerischen Modells vor allem die beschäftigungspolitischen Aspekte und die davon ausgehenden technologischen Impulse geltend machten, verwiesen die Gegner auf die entstehenden zusätzlichen Kosten, speziell aber auf den gegenüber der Lizenzproduktion späteren Ablieferungszeitpunkt eines einheimischen Fahrzeugs
[30]. Diesen Argumenten schloss sich der Bundesrat an, als er sich im Dezember, nach der Verlängerung der ursprünglich gesetzten Frist, gegen das schweizerische Konzept aussprach, ein Entscheid, der im grossen ganzen nicht schlecht aufgenommen wurde, auch wenn er bei den interessierten Betrieben und bei deren Arbeitnehmern auf Kritik stiess
[31].
[13] BBl, 1979, I, S. 685 ff.; Presse vom 10.4.79; Ww, 16. 18.4.79.
[14] LNN, 40. 17.2.79; TW, 50. 28.2.79; BaZ, 83. 7.4.79.
[15] Amtl. Bull. StR, 1979. S. 213 ff.; zum Entscheid des StR vgl. Presse vom 8.6.79.
[16] SPS, Schwarzbuch EMD, Notizen zur «Panzerschlacht », Bern 1979. S. 61 f., 66 ff. Die 207 Panzerhaubitzen beanspruchten nur 372 Mio Fr.; der Rest des 890 Mio-Kredits wurde für weiteres Material vorgesehen, das in der Botschaft nur beiläufig erwähnt ist (BBl, 1979, I, S. 689 f.: Amtl. Bull. StR, 1979. S. 213). Zu früheren Beschaffungen vgl. SPJ, 1968, S. 48; 1974, S. 52. Anm. 44.
[17] SPS, Schwarzbuch EMD, S. 63 ff.
[18] Militärausschuss: NZZ, 122, 29.5.79. Fraktion: NZZ, 129. 7.6.79. Zur Volksabstimmung vom 20. Mai vgl. unten. Teil I, 5 (Réforme des finances fédérales).
[19] Amtl. Bull. StR, 1979. S. 213 ff.; Amtl. Bull. NR, 1979. S. 957 ff.; BBl, 1979. II, S. 1018 f.
[20] Amtl. Bull. StR, 1979. S. 388 f.; Amtl. Bull. NR, 1979. S. 1446 f.; BBl, 1979, III, S. 1155.
[21] Vgl. Bericht der Militärkommission des Nationalrates über Mängel am Panzer 68. S. 98 ff.; sowie deren Postulat in Amtl. Bull. NR, 1979, S. 1253; Divisionär Lüthy in TA, 230. 4.10.79.
[24] Bericht der Militärkommission des Nationalrates über Mängel am Panzer 68. S. 103 ff. ; Resolution SOG in NZZ, 144. 25.6.79; Ww, 25, 20.6.79; vgl. auch SPJ, 1978, S. 47.
[25] Vgl. TA, 214. 115.9.79; BaZ, 222. 22.9.79; vgl. auch Postulat von NR H. Rüegg (fdp, ZH) in Verhandl. B. vers.. 1979, IV, S. 56; den Rücktritt des Rüstungschefs verlangte NR E. Oehler in Interview in Sonntagsblick, 38, 23.9.79; vgl. auch BaZ, 222, 22.9.79.
[26] BaZ, 166. 19.7.79; TA, 165. 19.7.79; NZZ, 167. 21.7.79; 170. 25.7.79.
[27] Ruedi Tobler, Sekretär des Schweiz. Friedensrates. in Vr, 167. 20.7.79.
[28] BBl, 1980. I, S. 426 f.; NR P. Wyss (fdp. BS) in SGT 234, 6.10.79; G. Däniker in NZZ, 278, 29.11.79.
[29] BBl, 1980, I, S. 426 ff.
[30] W. Bischofberger in NZZ, 123. 30.5.79; Brigadier Wanner (Antwort auf Bischofberger) in NZZ, 135. 14.6.79 ebenso in 27.4.7.79; Brigadier König in NZZ, 186, 14.8.79;NR Allgöwer in BaZ, 189. 15.8.79; vgl. auch NZZ, 172. 27.7.79; sowie Vat., 173. 28.7.79.
[31] BR-Entscheid vgl. Presse vom 4.12.79; positive Reaktionen vgl. Bund, 284.4.12.79; NZZ, 283. 5.12.79: 286. 8.12.79; Kritik der Industrie (Georg Fischer sowie Saurer) und der Arbeitnehmer vgl. Ldb, 285. 8.12.79: Bund, 300. 22.12.79.
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