Année politique Suisse 1979 : Wirtschaft / Landwirtschaft / Landwirtschaftspolitik
Alljährlich wiederkehrendes Traktandum in der Landwirtschaftspolitik sind die Preisbegehren, mit denen der Schweizerische Bauernverband (SBV) das landwirtschaftliche Einkommen zu stützen bestrebt ist. Sie beruhen auf dem Grundsatz des Paritätslohnes, nach welchem der bäuerliche Arbeitsverdienst demjenigen der gelernten Arbeiter in vergleichbaren Industrie- und Gewerbezweigen entsprechen soll. Auch bei guten Produktionsbedingungen stellt das Verbandssekretariat bei seinen Kontrollbetrieben so gut wie jedes Jahr ein Manko der Landwirtschaft fest; 1979 erreichte man in den Talgebieten ausnahmsweise einen Überschuss (Fr. 6.70 pro Tag). Sonst pflegt sich der Fehlbetrag in den Talbetrieben zwischen 1 und 19 Fr. pro Tag zu bewegen, in der Berglandwirtschaft dagegen bei 40-50 Fr., so dass ein krasser Unterschied zwischen den beiden Regionen besteht
[6]. Der SBV ist der Meinung, dass zumindest für das Talgebiet die Einkommensparität über den Preis erzielt werden sollte. Grundsätzlich erstrebt er eine Vergrösserung der offenen Ackerfläche, eine Veredelungswirtschaft (Fleisch, Eier) auf eigener Futterbasis, Flächenbeiträge für das Berggebiet und in der Milchwirtschaft kostendeckende Preise. Schon seit mehreren Jahren fordert er auch eine Überprüfung der Agrarhandelspolitik
[7]. Der Rationalisierung und Produktivitätssteigerung, durch welche bisher immer noch gewisse Mehrerträge erwirtschaftet werden konnten, sind jedoch obere Grenzen gesetzt: vermehrte Mechanisierung braucht zusätzliche Investitionen und mehr Energie, und der Einsatz der Agrochemie stellt ökologische Probleme. Schon heute wird daher von der Wissenschaft eine Beschränkung dieser Entwicklung verlangt
[8].
Als die
Begehren des SBV im Frühjahr eingereicht wurden, standen einige wesentliche Konzessionen an die Landwirtschaft bereits mehr oder weniger fest, so die Ausdehnung der Zuckerrübenfläche und die Bewirtschaftungsbeiträge. Deshalb — und weil der Endrohertrag der Landwirtschaft zu 77% aus der Tierhaltung stammt — betrafen die Hauptforderungen vor allem die Milchwirtschaft: nämlich eine Erhöhung der. Basismilchmenge, für die der volle Milchgrundpreis garantiert wird, von 29,0 auf 29,5 Mio q und einen Mehrpreis pro Liter Milch von 4 Rp. Noch vor der Behandlung dieser Begehren entstand in der Presse eine heftige Polemik, wobei sich in erster Linie Kreise um die SP und die Konsumentenschaft den Forderungen energisch widersetzten. Da diese den Zahlen des Bauernsekretariats misstrauten, verlangten sie eine Neuberechnung des Paritätslohnes. Die SP möchte in der landwirtschaftlichen Preispolitik grundsätzlich andere Wege gehen; so schlägt die Parlamentarische Initiative Schmid (sp, SG) für die Agrarprodukte eine Anpassung an die Marktpreise und die Kompensierung der Einkommenseinbussen der Landwirtschaft durch generelle Bewirtschaftungsbeiträge vor
[9]. Das Bauernsekretariat begründete seine Forderungen vor allem damit, dass es einen jährlichen Anstieg des Paritätslohnes um 3% seit 1977 feststellte und auf die Facharbeit der Bauernfrau hinwies
[10].
Der Bundesrat ging auf die Forderungen nicht vor der Abstimmung über die Finanzvorlage ein. Damit wollte er einerseits die Bauern zu einem Ja veranlassen, anderseits aber vermeiden, dass diese durch ein nur unvollständiges Entgegenkommen zu einem Protestnein provoziert würden. Schon vor der Behandlung der Forderungen durch die Behörden trug der SBV der weitverbreiteten Kritik an den Einkommensunterschieden zwischen Berg und Tal dadurch Rechnung, dass er eine Arbeitsgruppe einsetzte, die sich mit diesem Problem befassen sollte
[11].
Erst
im Juni behandelte der Bundesrat die Begehren. Er setzte den Übernahmepreis pro Liter Milch um 3 Rp. (für den Konsumenten aber um 5 Rp.) herauf und erhöhte auch die Preise für Brotgetreide. Dagegen beliess er die Basismilchmenge gleich und gab auch der Forderung, die Agrarhandelspolitik zu überdenken, keine Folge. Damit nahm er Rücksicht auf die Bundesfinanzlage und vermied es zugleich, die Konsumenten allzu stark zu belasten
[12]. Das teilweise Entgegenkommen wurde von beiden Seiten kritisiert. Die Konsumenten warfen dem Bundesrat ein zu rasches Nachgeben gegenüber den Forderungen der Bauern vor. Aus Kreisen der SP wurde nun zwar der Einkommensrückstand nicht mehr bestritten, die Mehrbelastung des Konsumenten und des Steuerzahlers aber dennoch beanstandet
[13]. Auch bäuerliche Kreise waren enttäuscht. In einer neuen Eingabe doppelte der Bauernverband nach und verlangte namentlich eine Verbesserung des Zuchtvieh- und Fleischabsatzes sowie einmal mehr eine Anderung des handelspolitischen Instrumentariums durch Verschärfung der Importbeschränkungen
[14]. Dabei erhielt er auch die Unterstützung der bäuerlichen Komitees und der Union des producteurs suisses, die von «skandalösen Preisbeschlüssen» sprachen und mit dem Referendum gegen das revidierte Landwirtschaftsgesetz drohten
[15]. Der Bundesrat senkte aber lediglich den im Sommer auf 3 Rp. angehobenen Milchrückbehalt auf den 1. November wieder um 1 Rp.
[16].
Da und dort versuchen heute Bauern, den Einkommensrückstand durch eigene Initiative wettzumachen. Während sie im Einkaufssektor über gut funktionierende landwirtschaftliche Genossenschaften verfügen, ist ihnen der lukrativere Absatz weitgehend entglitten. Hier wird nun vermehrt wieder eingesetzt, sei es durch das Ausfindigmachen von Marktlücken, durch Marktbesuch oder auch durch Gründung von Absatzgenossenschaften
[17].
[6] Die Kosten- und Ertragslage in der schweizerischen Landwirtschaft. Bericht des Schweiz. Bauernsekretariats vom 12.3.1980, Tabelle 25 (provisorische Ergebnisse); vgl. NZZ, 73, 28.3.79; Vat., 137, 16.6.79.
[7] Vgl. P. Gerber, Präsident des SBV, vor der Gesellschaft schweiz. Landwirte (NZZ, 13, 17.I.79).
[9] Begehren: TA, (ddp). 73, 28.3.79; Vat. (sda). 87, 14.4.79; vgl. dazu unten. Berglandwirtschaft (Bewirtschaftungsbeiträge) und Pflanzliche Produktion (Zucker). Kritik aus SP-Kreisen: TW, 82, 6.4.79; 89, 18.4.79. Zur Initiative Schmid vgl. SPJ, 1978, S. 83 sowie NZZ (sda), 34, 10.2.79.
[10] NZZ, 73, 28.3.79 Bund, 119, 23.5.79. Vgl. dazu SPJ, 1978, S. 84. Eine höhere Bewertung der Frauenarbeit wünschte auch das Postulat Muff (fdp. LU): Amtl. Bull. NR, 1979, S. 498 f.
[11] Bundesrat : BaZ, 90. 18.4.79. SBV : Bund, 119.23.5.79. Zur Abstimmung vom 20.5. über die Finanzvorlage vgl. unten. Teil I, 5 (Réforme des finances fédérales).
[13] TW, 141, 20.6.79; NZZ, 141, 21.6.79; Vat.. 141. 21.6.79.
[14] NZZ (sda), 164, 18.7.79; T4. 176. 2.8.79.
[15] Vat. (ddp), 141, 21.6.79; Union, 19. 27.6.79. Landwirtschaftsgesetz: vgl. unten, Tierische Produktion.
[16] Vat. (sda), 248, 25.10.79; NZZ (sda), 266, 15.11.79.
[17] SGT,104. 5.5.79; Bund, 119, 23.5.79; 275. 23.11.79; Vat., 218, 20.9.79; TLM, 344, 10.12.79.
Copyright 2014 by Année politique suisse
Dieser Text wurde ab Papier eingescannt und kann daher Fehler enthalten.