Année politique Suisse 1979 : Infrastruktur und Lebensraum / Energie
Energiepolitik
Die massive Verteuerung der Erdölprodukte, welche durch die politischen Veränderungen im Iran und die Vorgänge auf dem Erdölmarkt ausgelöst worden ist, hat die preisliche Konkurrenzfähigkeit der übrigen Energieträger sprunghaft verbessert. Ob diese Entwicklung aber andauern und ausreichen wird, die als unabdingbar anerkannte Verminderung der Erdölabhängigkeit der Schweiz in genügendem Ausmass zu bewerkstelligen, lässt sich noch nicht beantworten. Bei den ersten Diskussionen über den Schlussbericht der Kommission für die Gesamtenergiekonzeption zeichnete sich jedenfalls ein Konflikt zwischen denjenigen, welche die Beibehaltung der ausschliesslich marktorientierten Energieversorgung oder eine föderalistische Energiepolitik wünschen, und denjenigen, welche eine Ausdehnung des politischen Einflusses des Bundes als notwendig erachten. deutlich ab. Der Versuch, den Bau von weiteren Kernkraftwerken entscheidend zu bremsen oder gar überhaupt zu verhindern, war nur beschränkt erfolgreich. Die Atomschutzinitiative drang in der Volksabstimmung nicht durch, die Annahme einer Teilrevision des Atomgesetzes bringt aber immerhin erschwerende Bedingungen.
Die Diskussion der schweizerischen Energiepolitik stand, wie bereits in früheren Jahren, weitgehend im Schatten der Entscheide über die Nutzung der Kernenergie. Nachdem aber die Vernehmlassung zum Schlussbericht der Kommission für die
Gesamtenergiekonzeption während des Berichtsjahres durchgeführt worden ist, sollte es dem Bundesrat in naher Zukunft möglich sein, dem Parlament seine Vorschläge zu einer umfassenden Energiepolitik vorzulegen
[1]. Die von den interessierten Organisationen eingereichten Stellungnahmen zur Gesamtenergiekonzeption (GEK) lassen erwarten, dass die Frage nach dem Träger der Energiepolitik im Zentrum der Auseinandersetzung stehen wird. Soll, wie es die Kommissionsmehrheit vorschlägt, der Bund mit neuen Rechten, insbesondere mit der Kompetenz zur Erhebung einer Energiesteuer, ausgestattet werden, oder soll die Energiepolitik auch in Zukunft im wesentlichen Sache der Kantone bleiben? Nicht zu übersehen ist dabei, dass es nicht nur um das Prinzip des Föderalismus geht, sondern auch darum, ob die bisher weitgehend marktwirtschaftlich organisierte Energieversorgung der Schweiz in bedeutend stärkerem Ausmass durch politische Entscheide gelenkt werden soll. Die Gegner eines
Energieartikels in der Bundesverfassung — es handelt sich dabei namentlich um den Vorort, den Gewerbeverband, die Bankiervereinigung, die Vertreter der Elektrizitäts- und der Erdölwirtschaft und die FDP — betonen, dass die aus dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage resultierenden Preisänderungen ausreichen, um die erwünschten Ziele der Energieeinsparung und -substitution zu erreichen
[2]. Für einen Energieartikel und damit für einen grösseren Einfluss des Staates auf die Energiepolitik sprachen sich der Gewerkschaftsbund und alle grössern Parteien mit Ausnahme der FDP aus
[3]. Auch der Nationalrat erachtete eine aktivere eidgenössische Energiepolitik als erstrebenswert und unterstützte eine entsprechende Motion des Sozialdemokraten Bussey (VD)
[4].
Da eine auf verfassungsrechtliche Grundlagen abgestützte schweizerische Energiepolitik frühestens ab Mitte der achtziger Jahre möglich sein wird,
schlug die SPS die Anwendung von Notrecht vor. Nationalrat Bratschi (sp, BE) verlangte mit einer Motion einen dringlichen Bundesbeschluss zur Einführung einer Energiesteuer, deren Erträge zur Finanzierung von Sparmassnahmen und zur Erforschung regenerierbarer Energiequellen zu verwenden wären. Die Volkskammer berücksichtigte aber die Bedenken von Bundesrat Ritschard, dass erst eine akute Versorgungsnotlage die Anwendung von Ausnahmerecht erlauben würde, und überwies das Begehren nur als Postulat
[5]. So blieb auch 1979 die eidgenössische Gesamtenergiepolitik zur Hauptsache auf Appelle an die Sparsamkeit der Bürger beschränkt. Diese von Umweltschutzkreisen als Alibiübungen kritisierten Propagandaaktionen fanden ihren Höhepunkt in der Durchführung eines Energiesparmonats im Oktober
[6].
Einige Anstrengungen unternimmt die Schweiz, um bei der international betriebenen Suche nach neuen Energiequellen nicht in Rückstand zu geraten. Wie vor ihm der Nationalrat akzeptierte nun auch der Ständerat einen Kredit von 34 Mio Fr. für die Erforschung der Kernfusion
[7]. Beide Räte verabschiedeten zudem ohne Gegenstimme drei Bundesbeschlüsse, welche die Beteiligung an diversen Forschungsprojekten der Internationalen Energieagentur (LEA) ermöglichen
[8]. Die Forderung des Nationalrats nach Errichtung eines Versuchssonnenkraftwerkes durch den Bund fand auch die Zustimmung der kleinen Kammer. wobei allerdings eine kleine Differenz entstand, indem der Ständerat auf die Festlegung der Grösse der Anlage im Motionstext verzichtete und die Einfügung des Projekts in ein umfassendes Programm verlangte
[9].
Ungeachtet des Ausgangs der Auseinandersetzung über die Aufnahme eines Energieartikels in die Bundesverfassung
kommt den Kantonen mit ihren Kompetenzen auf den Gebieten des Bauwesens und der Raum- und Verkehrsplanung
eine wichtige energiepolitische Rolle zu. Als erster hat sich der Kanton Basel-Land ein eigenes Energiegesetz gegeben. Wichtigste Elemente darin sind Vorschriften über die Wärmeisolation, die Einführung der individuellen Heizkostenabrechnung bei Mehrfamilienhäusern und die Bewilligungspflicht für Klimaanlagen. Die Regierungen der Kantone Bern und Solothurn gaben Gesetzesentwürfe mit ähnlichem Inhalt in die Vernehmlassung. Der Zürcher Kantonsrat forderte seine Regierung auf, ebenfalls ein Energiegesetz vorzulegen, während im Kanton Luzern die Junge CVP eine Volksinitiative für die Einführung von minimalen Isolationsvorschriften einreichte. In der Waadt war 1977 eine Volksinitiative zustande gekommen, welche noch weitergehende Sparmassnahmen als die oben erwähnten fordert. So soll unter anderem die kantonale Verkehrspolitik am Ziel des sparsamen Energieverbrauchs orientiert sein; eine weitere Bestimmung sieht die Einschränkung der Verwendung der Elektrizität zu Heizzwecken vor. Obwohl das Parlament ein als Gegenvorschlag konzipiertes Energiegesetz ausarbeitete, befürwortete der Souverän die von den Umweltschutzorganisationen und der Linken unterstützte radikalere Initiative
[10]. Die Zusammenarbeit der mit Energiepolitik befassten Stellen bei Bund und Kantonen wurde intensiviert. Zur Erleichterung der gesetzgeberischen Tätigkeit in den Kantonen entwarf die Bundesverwaltung ein Musterenergiegesetz. Zwecks besserer Koordination der kantonalen Aktivitäten wurde zudem eine Konferenz der Energiedirektoren ins Leben gerufen
[11].
Als dem Energiespargedanken wenig entsprechend wurden wiederholt die von vielen Elektrizitätsgesellschaften angewendeten
degressiven Tarife kritisiert. Die sechs wichtigsten Umweltschutzorganisationen der Schweiz regten deshalb an, dass der Bund von seiner verfassungsmässigen Kompetenz (Art. 24quater und quinquies BV) Gebrauch macht und ein Elektrizitätswirtschaftsgesetz erlässt. Dieses Gesetz soll mittels Bestimmungen über die Absatzpolitik der Elektrizitätswerke eine sparsame Energieverwendung bewirken. In der Dezembersession reichte Nationalrat Petitpierre (fdp, GE) eine Motion mit dieser Zielsetzung ein
[12]. Das Unbehagen eines Teils der Bevölkerung gegenüber der vorwiegend an kaufmännischen Gesichtspunkten orientierten Politik der sich weitgehend im Besitz der Öffentlichkeit befindlichen, aber privatrechtlich organisierten Elektrizitätswerke hatte zu Forderungen nach Mitbestimmung des Volkes und des Parlaments geführt. Im Zürcher Kantonsrat wurde aber ein diesbezüglicher Vorstoss von der bürgerlichen Ratsmehrheit abgelehnt. Eine darauf von der SP angekündigte Volksinitiative in dieser Sache ist bis Jahresende noch nicht lanciert worden
[13]. In Lausanne nahmen Atomkraftwerkgegner und die PdA die Abstimmung über eine Strompreiserhöhung der Städtischen Industriebetriebe zum Anlass, ihre Forderung nach linearen Tarifen zu vertreten. Die wuchtige Ablehnung der geplanten Stromverteuerung bewog die Regierung, einen neuen Tarif auszuarbeiten, der zwar immer noch degressiv ist, aber doch die grossen Stromkonsumenten bedeutend stärker belastet als bisher. Den Atomkraftwerkgegnern ging dieser Vorschlag aber zuwenig weit, sie ergriffen erneut das Referendum; ohne die Unterstützung der Linken unterlagen sie jedoch diesmal in der Volksabstimmung
[14].
In Basel beschlossen die Stimmbürger den Bau eines weiteren Fernheizwerkes, gegen welches das Referendum ergriffen worden war. Hauptmotiv für die Gegner der Vorlage war weniger das Konzept der Fernheizung als vielmehr der Standort der projektierten Anlage in einem bereits starken Umweltbelastungen ausgesetzten Quartier
[15].
Der
Gesamtenergieverbrauch in der Schweiz bildete sich 1979 trotz leichtem Wirtschaftswachstum um 1,9 % zurück (1978: + 5,1 %; nach anderen, zuverlässigeren Berechnungen waren es nur ca. 3 %). Zweifellos waren es in erster Linie die rapide ansteigenden Preise, welche einen Rückgang beim Erdölverbrauch um 4,5% (1978: + 5,6%, resp. 2,8 %) bewirkten. Ein Teil dieses Rückgangs ist auf echte Einsparungen zurückzuführen, daneben profitierten vor allem das Gas mit + 13,3 % (10,6 %) und die Elektrizität mit einem Zuwachs von 4,0 % (3,4 %) von Substitutionsmassnahmen. Der Anteil des Erdöls am Gesamtenergieverbrauch belief sich 1979 auf 73,0%
[16].
[1] BBl, 1979. II, S. 102; TA, 115. 19.5.79; Amtl. Bull. NR, 1979, S. 887. Vgl. auch SPJ, 1979. S. 89 ff. Allgemein zur zukünftigen Energiepolitik vgl. auch E. Ledergerber, Wege aus der Energiefalle, Diessenhofen 1979.
[2] Vorort: wf. Dok.. 1/2. 7.1.80. SGV: Vat., 284, 7.12.79. Bankiervereinigung:TA (sda), 293, 17.12.79. Elektrizitätsproduzenten : BaZ, 211. 10.9.79. Erdölvereinigung: NZZ (sda), 281, 3.12.79. Zur Energiesteuer siehe auch E. Ledergerber, S. Mauch und W. Ott, «Energiepolitische Besteuerung des Energieverbrauchs», in Wirtschaft und Recht, 31/1979, S. 36 ff.
[3] SGB: Gewerkschaftliche Rundschau, 71/1979, S. 325 ff. SP: SP-lnformation, 68. 24.1.80. CVP: Vat., 265, 15.11.79. SVP: NZZ (sda), 266, 15.11.79. LdU : NZZ (sda), 283, 5.12.79. FDP: TA, 35, 12.2.80.
[4] Amtl. Bull. NR, 1979. S. 1322 ff.
[5] Amtl. Bull NR, 1979, S. 1332 ff.; SP-Information, 60, 13.9.79; Vr, 109. 11.5.79. Vgl. auch TAM, 34, 25.8.79.
[6] Sparkampagnen: TA, 52, 3.3.79; 249, 26.10.79; NZZ (sda). 153, 5.7.79; 227. 1.10.79. Vgl. auch W. Zimmermann, Rechtsprobleme der Energieverknappung, Bern 1979. Zimmermann stellt u.a. fest, dass die Verfassungsartikel über den Umweltschutz und die Forschung dem Bund bereits heute eine aktivere Energiepolitik erlauben würden.
[7] Amtl. Bull. StR, 1979, S. 99; BBl, 1979. I, S. 665. Vgl. auch SPJ, 1978, S. 92.
[8] BBl, 1979, I, S. 917 ff.; Amtl. Bull. NR, 1979, S. 865 ff. und 1351 ; Amtl. Bull. StR, 1979, S. 320 ff. und 496; BBl, 1979, II, S. 1010 und 1028. Für die staatlichen Aufwendungen zugunsten der Entwicklung der Alternativenergien siehe auch Amtl. Bull. NR, 1979, S. 1367 f. Vgl. ferner World Wildlife Fund et al. (Hrsg.), Alternative Energieanlagen in der Schweiz, Zürich 1979.
[9] Amtl. Bull. StR, 1979. S. 306 f.; SPJ, 1978, S. 92. Der neue Motionstext geht nun wieder zurück an den Nationalrat. Zur Nutzung der Sonnenenergie vgl. zudem 24 Heures, 142, 21.6.79.
[10] NZZ (sda), 162. 16.7.79. Basel-Land: BaZ, 5. 6.1.79; 206. 4.9.79; 242. 16.10.79. Bern: Bund, 149, 29.6.79. Solothurn: NZZ, 209. 10.9.79. Zürich: NZZ, 157, 10.7.79. Luzern: LNN, 194, 23.8.79; Waadt: 24 Heures, 108. 10.5.79; TLM, 130. 10.5.79; 150. 30.5.79; 330. 26.11.79; 331, 27.11.79; 337. 3.12.79 (35 359 Ja: 29 423 Nein).
[11] Mustergesetz: BaZ, 184. 9.8.79. Direktorenkonferenz: NZZ(sda). 291. 14.12.79 ; vgl. auch oben. Teil I, 1d, kantonale Zusammenarbeit.
[12] NZZ, 255. 2.11.79; Verhandl. B.vers., 1979, IV, S. 53. Bei den erwähnten Umweltschutzorganisationen handelt es sich um: Schweiz. Bund für Naturschutz, Schweiz. Energie-Stiftung, Schweiz. Gesellschaft für Umweltschutz, Schweiz. Vereinigung für Sonnenenergie, Schweiz. Verein für Volksgesundheit und World Wildlife Fund Schweiz.
[13] TA, 6. 1.9.79; I'r. 158. 10.7.79; 167. 20.7.79. Vgl. ebenfalls SPJ, 1978. S. 96.
[14] TLM, 18, 18.1.79; 109, 19.4.79; 114.24.4.79; 24 Heures, 23. 29.1.79; 108, 10.5.79; 109, 11.5.79; 124, 30.5.79; 132, 9.6.79; 139, 18.6.79.
[15] BaZ, 70. 23.3.79; 76. 30.3.79; 223. 24.9.79 (10 579 Ja : 10 393 Nein).
[16] NZZ (sda), 82.9.4.80. Zur Kritik an den Zahlen des Bundesamtes für Energie vgl. TA, 142, 22.6.79. In den Jahren 1977 und 1978 war gut ein Drittel der Zunahme des Elektrizitätsverbrauchs verursacht durch die Einrichtung von Elektroheizungen (JdG, 212, 12.9.79).
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