Année politique Suisse 1979 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
 
Verkehrspolitik
Die während des Berichtsjahres durchgeführte Vernehmlassung zur Gesamtverkehrskonzeption (GVK) deckte auf, dass trotz der kommissionsintern erzielten Einigkeit bei den interessierten Verbänden nach wie vor divergierende Ansichten über das zukünftige schweizerische Verkehrssystem vorherrschen. Allgemein positiv fielen die Stellungnahmen der motorisierten Strassenbenützer aus, wobei dieses Urteil allerdings abhängig gemacht wurde von der Gleichzeitigkeit der Einführung aller vorgesehenen Massnahmen und von der strikten Aufrechterhaltung der Zweckbindung der von den Strassenbenützern geleisteten Abgaben [1]. Die härteste Kritik an der GVK kam von den Umweltschutzorganisationen. Diese anerkannten zwar, dass die Gesamtverkehrskommission einer ganzheitlichen anstelle der bisher dominierenden sektoriellen Betrachtungsweise zum Durchbruch verholfen hat. Ihrer Meinung nach ist die Konzeption aber zu sehr an der Fortschreibung bestehender Tendenzen orientiert und einem unkritischen Wachstumsdenken verpflichtet. Als Alternative schlagen die Umweltschutzorganisationen politische Eingriffe zur Eindämmung von Verkehrsarten mit grossen negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt vor. Die zukünftige Verkehrspolitik sollte nicht mehr zum Ziel haben, möglichst alle auftretenden Verkehrsbedürfnisse zu befriedigen, sondern nur noch diejenigen, welche sich mit bestimmten umweltschutz- und energiepolitischen Gesichtspunkten vertragen. Diese Umkehrung der bisherigen und von der GVK auch für die Zukunft vorgeschlagenen Prioritätenordnung fand ebenfalls die Zustimmung der SPS und.— in wesentlich zurückhaltenderer Form — der Vertreter des öffentlichen Verkehrs (IGÖV, LITRA) sowie des Gewerkschaftsbundes. Von den erwähnten, mehr dem öffentlichen als dem privaten Verkehr verpflichteten Kreisen wurde auch die weitgehende Ausklammerung des Agglomerationsverkehrs aus der GVK und die vorgeschlagene Hierarchisierung der Verkehrssysteme kritisiert. Bei der Hierarchisierung ist als wesentlichste Neuerung die Aufteilung der Leistungen des öffentlichen Verkehrs in solche von regionaler und solche von nationaler Bedeutung vorgesehen, wobei für die Regionalnetze die jeweiligen Gebietskörperschaften voll verantwortlich wären. Die Gegner dieser Neuordnung befürchten davon die Verstärkung der raumordnungs- und staatspolitisch unerwünschten Disparität zwischen den Zentren und den Randgebieten. Der Verband Schweizerischer Transportunternehmungen (VST) hat als Gegenvorschlag ein «Basiserschliessung» genanntes Projekt vorgestellt. Dieses verlangt, dass der Bund auch auf Linien von untergeordneter Bedeutung ein Mindestangebot von Verkehrsleistungen garantiert ; erst für über dieses Minimum hinausgehende Leistungen wären die Kantone und Gemeinden zuständig [2].
Der Bundesrat möchte, vor allem um die Zustimmung der Strassenverkehrsverbände zur GVK nicht aufs Spiel zu setzen, die Neuordnung der Verkehrspolitik als Gesamtpaket verwirklichen. Weite Kreise fordern demgegenüber seit Jahren das Vorziehen einzelner Massnahmen, insbesondere die Einführung einer Bundessteuer für den Strassenschwerverkehr. Begründet wird die Forderung damit, dass diese Verkehrsart die von ihr verursachten Strassenkosten nur etwa zur Hälfte deckt, was ihr einen Konkurrenzvorteil gegenüber den Eisenbahnen verschafft. Der Schienenverkehr wird dadurch noch hilfsbedürftiger, so dass der öffentlichen Hand zusätzliche Ausgaben erwachsen. Nicht zuletzt hofft man, dass die Abgabe dazu beitragen könnte, zu verhindern, dass die Nationalstrasse N2 — der Gotthard-Strassentunnel soll 1980 eröffnet werden — zu einer europäischen Schwerverkehrstransitachse wird. Der Bundesrat, der die Steuer nicht grundsätzlich ablehnt, sie jedoch gemeinsam mit andern in der GVK vorgesehenen Massnahmen verwirklichen will, musste sich trotzdem bereits mit ihr befassen. Das Parlament hatte ihn in der Wintersession 1978 beauftragt, bis Ende 1979 eine entsprechende Vorlage auszuarbeiten; eine Zeitlimite, die er allerdings nicht ganz einhalten konnte. Eine Vernehmlassung ergab bei der generellen Frage nach der Einführung dieser Steuer eine deutliche Zustimmung. Eine Minderheit der Befürworter sprach sich aber gegen eine vorzeitige Inkraftsetzung aus. Angesichts des Auftrags durch das Parlament und der positiven Haltung der Mehrheit der Parteien und Verbände wies der Bundesrat das EVED an, sofort eine Botschaft zur Schaffung der Verfassungsgrundlage für die Erhebung einer Schwerverkehrsabgabe auszuarbeiten [3]. Da ein entsprechendes Gesetz auf dem ordentlichen Rechtsweg kaum früher als 1982 Gültigkeit erlangen kann, bleibt die Frage offen, ob die Landesregierung nach der Inbetriebnahme des Gotthardstrassentunnels nicht doch zu Notrecht greifen muss, um das Tessin, wo die Autobahn erst in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre durchgehend befahrbar sein wird, vor der befürchteten Lastwagenflut zu schützen [4].
Zur Einführung der vom Parlament gewünschten Vignette für Autobahnbenutzer ergab sich in einer Vernehmlassung eine relativ knappe Ablehnung dieser mehr finanzals verkehrspolitisch begründeten Gebühr. Von der Mehrheit der Befragten wurde dem Anliegen auch keine besondere Dringlichkeit zugesprochen, welche eine Behandlung vor den übrigen Postulaten derGVK rechtfertigen würde. Aus Automobilistenkreisen wurde darauf hingewiesen, dass der Strassenverkehr über die Treibstoffzollzuschläge für die Nationalstrassenkosten aufkommt und deshalb eine Zusatzabgabe mit Zweckbindung überflüssig, eine solche ohne Zweckbindung unerwünscht sei [5].
Unter dem Patronat der Umweltschutzverbände wurden die «Verkehrsstiftung» und als zugehörige Dienstleistungs- und Mitgliederorganisation der «Verkehrsclub der Schweiz» gegründet. Die Initianten waren dabei von der Überlegung ausgegangen, dass viele Automobilisten wegen der gebotenen Dienstleistungen in den bestehenden Automobilverbänden (v.a. TCS und ACS) organisiert sind, ohne mit der von diesen Verbänden vertretenen Politik, welche in den letzten Jahren oft mit derjenigen der Umweltschutzorganisation in Konflikt stand, einig zu gehen. Wie viele dieser «Unzufriedenen» die traditionellen Automobilclubs verlassen, und damit deren politischen Einfluss schwächen werden, lässt sich noch nicht abschätzen; bis zum Jahresende organisierten sich rund 10 000 Personen im neuen Verkehrsclub [6].
Das 1978 vom Volk knapp abgelehnte Zeitgesetz, welches den Bundesrat zur Einführung der Sommerzeit ermächtigt hätte, kam unerwarteterweise bereits im Berichtsjahr wieder zu Aktualität. Hatte bisher die Mehrheit der Deutschschweizer dieser seit einigen Jahren von Frankreich und Italien praktizierten Zeitregelung wenig Interesse abgewinnen können, so änderte sich dies mit der Ankündigung, dass ab 1980 auch in Deutschland. Osterreich und noch weiteren Staaten die Sommerzeit gelten soll. Nach Ansicht der Landesregierung war damit eine neue Lage entstanden, welche es vertreten liess, die vom Souverän zurückgewiesene Vorlage bereits nach einem Jahr erneut zu präsentieren. Interessiert an der Gleichschaltung unserer Uhren mit denjenigen des übrigen Europa sind in erster Linie die SBB, die im Falle eines schweizerischen Alleingangs mit jährlichen Mehrkosten von rund 10 Mio Fr. rechnen. Die Nachteile, welche die Landwirte — sie waren die Hauptopponenten der ersten Vorlage — von der Sommerzeit befürchten, können nach Ansicht des Bundesrates durch organisatorische Vorkehrungen (z.B. die Verschiebung der Milchablieferzeiten) in engen Grenzen gehalten werden. Der Entwurf zum Zeitgesetz passierte den Ständerat ohne grosse Diskussion. Der Nationalrat, der die Vorlage in derselben Session hätte beraten sollen, zeigte sich wesentlich zurückhaltender; Mit 88:86 Stimmen beschloss er die Rückweisung an die Kommission. In der Presse wurde dieses Votum weniger als Entscheid gegen die Einführung der Sommerzeit gewertet denn als Referenz an die Mehrheit der Stimmbürger, welche seinerzeit die erste Vorlage abgelehnt hatte [7].
 
[1] BaZ, 220. 20.9.79; Touring. 40. 4.10.79.
[2] Umweltschutz: SGU, VCS, WWF, Projekt GVK— Stellungnahme zur GVK. Brugg-Windisch 1979. SP: SP-Information, 64. 15.1 1.79. öffentlicher Verkehr: LITRA, Jahresbericht, 1978/79. S. 25 f.; NZZ (sda), 235. 10.10.79. Gewerkschaftsbund: NZZ, 232. 6.10.79. Zum Problem der Hierarchisierung vgl. TA, 178. 4.8.79; NZZ, 209. 10.9.79; LNN, 215. 17.9.79. Allgemein zur GVK siehe SPJ, 1978, S. 98 ff.
[3] Schwerverkehrsabgabe: Amtl. Bull. NR, 1979. S. 548 ff.; NZZ, 229. 3.10.79: 256. 3.11.79; 290. 18.12.79: SGT, 273. 22.11.79; vgl. auch SPJ, 1978. S. 100. Zur Annäherung der Konkurrenzbedingungen zwischen Schienen- und Strassentransport schlägt der Bundesrat die Verkürzung der Höchstarbeitszeit für Lastwagenchauffeure von 50 auf 47 oder 48 Wochenstunden vor: vgl. unten. Teil I, 7 a (Durée du travail).
[4] CdT, 224. 1.10.79: TLM, 48. 1.12.79: Amtl. Bull. NR, 1979, S. 554 ff. Zur Abklärung der Auswirkungen der Eröffnung des Strassentunnels durch den Gotthard auf den Gütertransitverkehr ordnete der Bundesrat eine Untersuchung an (AS, 1980. S. 14 f.). Vgl. im weitern die Motion Kloter (sp, ZH). welche vom Bundesrat verlangt. auch vor Notrecht nicht zurückzuschrecken, um den Lastwagenverkehr auf der N2 zu erschweren (Verhandl. B. vers., 1979, IV, S. 44).
[5] SGT, 133. 11.6.79 ; JdG, 226. 28.9.79: Touring, 40, 4.10.79. Vgl. ebenfalls SPJ, 1978, S. 100. Nationalrat Leo Weber (cvp, AG) reichte eine parlamentarische Initiative ein, welche wenigstens zur Deckung der Betriebskosten Tunnelgebühren einführen will (Verhandl.. B. vers., 1979, IV, S. 17 f.).
[6] TA, 123. 30.5.79: BZ, 124. 30.5.79: SGT, 296. 19.12.79. Zum Einfluss der Vertreter des Automobilgewerbes und der Verbände der motorisierten Strassenbenützer auf die Verkehrs- und Umweltschutzpolitik vgl. auch P. Roman und B. Schweingruber, «Die Autolobby Schweiz », in TAM, 9, 3.3.79. Gemäss Meinungsumfragen sind rund ein Drittel der Mitglieder des TCS und des ACS mit der Verkehrspolitik ihres Verbands nicht zufrieden ( TA, 164, 18.7.79).
[7] Presse vom 15.10.79; LNN, 278. 30.11.79 : BBl, 1979, III, S. 105 ff. Amtl. Bull. StR, 1979, S. 532 ff.; Amtl. Bull. NR, 1979. S. 1498 ff. Zugunsten der Einführung der Sommerzeit hatten die beiden Basel und Schaffhausen Standesinitiativen eingereicht (TA, 248. 25.10.79; NZZ (sda), 259, 7.11.79 ; BaZ, 263. 9.1 1.79; 275. 22.1 1.79). Vgl. auch SPJ, 1978. S. 92.