Année politique Suisse 1979 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
 
Strassenverkehr
Obwohl 1979 der Rekord des Vorjahres bei der Inverkehrssetzung von Neuwagèn noch übertroffen wurde, hat sich das Unfallgeschehen im Strassenverkehr wieder stabilisiert. Bedenklich ist allerdings, dass sich die Anzahl der tödlich verunglückten Autoinsassen um 10% erhöht hat ; verglichen mit dem Jahr 1976, in welchem das Tragen von Sicherheitsgurten vorgeschrieben war, beträgt die Zunahme gar 25% [29]. Die Vernehmlassung zu einer Revision des Strassenverkehrsgesetzes, die zur Wiedereinführung der Gurtentragpflicht (und gleichzeitig des Helmobligatoriums für Motorradfahrer) erforderlich ist, war sehr positiv ausgefallen. Von den Kantonen hatten sich nur die Waadt und das Wallis dagegen ausgesprochen, und mit Ausnahme der Liberalen gaben auch alle Parteien ihre Zustimmung bekannt. Die bundesrätliche Botschaft wurde zwar in der Volkskammer von einem Teil der französischsprachigen Abgeordneten bekämpft — die Argumente beider Seiten haben wir im letztjährigen Bericht eingehend dargestellt —. ein Rückweisungsantrag unterlag aber mit 118: 29 Stimmen. Der Ständerat stimmte der Gesetzesrevision ebenfalls zu; die Schlussabstimmung musste aus organisatorischen Gründen auf 1980 verschoben werden. Eine im Wallis beheimatete «Vereinigung gegen technokratische Missbräuche », welche bereits beim ersten Versuch mit dem Gurtenobligatorium in Erscheinung getreten war, liess keine Zweifel offen, dass sie das Referendum ergreifen werde [30]. Sehr eng mit der Entwicklung der Unfälle hängt die Höhe der Haftpflichtversicherungsprämie für Motorfahrzeuge zusammen. Trotz heftiger Proteste der Motorradfahrer, welche in einer von 12 000 Demonstranten besuchten Kundgebung vor dem Bundeshaus gipfelten, lehnte der Bundesrat die Rückgängigmachung der starken Prämienerhöhung für Motorräder ab. Er hielt damit am Verursacherprinzip für jede einzelne Motorfahrzeugkategorie fest. Da sich der Schadenverlauf verbesserte, konnten bereits für 1980 die Prämien wieder gesenkt werden [31].
Ob die Reduktion der Innerortshöchstgeschwindigkeit auf 50 km/h ein geeignetes Mittel zur Verhinderung von Verkehrsunfällen ist, will der Bundesrat mit einem Versuch in einem relativ kleinen Testgebiet abklären lassen. Diese Reduktion scheint in der Deutschschweiz, im Gegensatz zu den andern Landesteilen, ein äusserst populäres Anliegen zu sein, meldeten sich doch nahezu alle grössern Städte und dazu noch weitere Regionen zu diesem Versuch an. Die drei Grossstädte wollen, falls sie vom EJPD nicht zum Testgebiet erklärt werden, den Versuch auf eigene Rechnung durchführen. In der Westschweiz und im Tessin ist demgegenüber offenbar kein Interesse an einer solchen Beschränkung vorhanden; keine einzige Gemeinde hat sich um die Durchführung des Versuches beworben [32].
Weitere Möglichkeiten, die Sicherheit der nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer zu verbessern, bestehen in der Erstellung von Radwegen und Wohnstrassen. Bei den Wohnstrassen, die besonders in den Niederlanden bekannt sind, handelt es sich um Quartierstrassen ohne Durchgangsverkehr, auf denen dem Fussgänger mittels baulicher Massnahmen und einer strengen Tempolimitierung für Motorfahrzeuge eine Vorzugsstellung eingeräumt wird. In der Schweiz hatte bisher einzig Basel derartige Strassen aufzuweisen. Mit dem Erlass einer Verordnung gab der Bundesrat nun grünes Licht für die weitere Verbreitung dieser Idee [33]. In einer wachsenden Anzahl von Städten signalisieren die Behörden Radfahrerrouten auf verkehrsarmen Strassen oder legen gar Radfahrerwege an. Die Unterstützung dieser Aktivitäten durch den Bund, wie sie Nationalrat Ganz (sp, ZH) mit einer Motion verlangt hatte, wurde vom Bundesrat nicht als vordringlich beurteilt; die Volkskammer überwies den Vorstoss nur als Postulat [34].
Die nach der Niederlage der Volksinitiative für zwölf autofreie Sonntage im Nationalrat geborene Idee, wenigstens am Eidgenössischen Bettag den privaten Motorfahrzeugverkehr zu untersagen, ist gescheitert. Zugunsten der in beiden Räten mit knappem Mehr beschlossenen Ablehnung— in der Volkskammer gab der Stichentscheid des Präsidenten den Ausschlag — mag sich wohl in erster Linie das Argument ausgewirkt haben, dass mit dem Fahrverbot am Bettag die Durchführung des Comptoir in Lausanne beeinträchtigt würde [35].
 
[29] Neuwagen: Vr, 45. 5.3.80. Unfälle (im Vergleich zu 1978): +0.2%; Verletzte: -0.3%; Tote: – 1.6% (Bund, 33, 9.2.80).
[30] BBl, 1979, I, S. 229 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1979, S. 914 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1979, S. 560 ff. ; TA, 292, 15.12.79. Referendumsdrohung: 24 Heures (ats), 217, 19.9.79; TLM, 347, 13.12.79. Vgl. auch SPJ, 1978, S. 104. Im Rahmen dieser Revision des Strassenverkehrsgesetzes stimmten die Räte auch der von Umweltschutzkreisen seit langem verlangten Veröffentlichung der Abgas- und Lärmwerte der Typenprüfung für Motorfahrzeuge zu. Zu weiteren, die Belange des Umweltschutzes tangierenden Auswirkungen des Strassenverkehrs siehe unten. Teil I, 6d (Pollution de l'air, Bruit).
[31] Presse vom 28.5.79; Amtl. Bull. NR, 1979, S. 875 f.; NZZ, 228, 2.10.79.
[32] Ww, 11, 14.2.79; vgl. auch SPJ, 1978, S. 105. Ein Referendum in Basel gegen den Beschluss des Grossen Rates, sich für den Versuch anzumelden, kam wegen ungenügender Unterschriftenzahl nicht zustande (BaZ, 148, 28.6.79; 189, 15.8.79). Bern: Bund, 21, 26.1.79; 38, 15.2.79; 80, 5.4.79; 281, 30.11.79. Luzern: LNN, 75, 30.3.79; 101, 2.5.79. Thurgau: SGT, 91, 20.4.79. Zürich: Vr, 87, 12.4.79. Westschweiz: TA, 206, 6.9.79.
[33] BaZ, 180, 4.8.79; 186, 11.8.79; 190, 16.8.79; 193, 20.8.79; 208. 6.9.79. Siehe ebenfalls Amtl. Bull. NR, 1979. S. 449 f.; AS, 1979, S. 1977; Plan, 36/1979, Nr. 10, S. 2 ff.
[34] Amtl. Bull. NR, 1979, S. 1643 ff. Vgl. auch Bund, 36, 13.2.79 und SPJ, 1978, S. 104. In Zürich und Genf fanden Demonstrationen für die vermehrte Berücksichtigung der Interessen der Radfahrer beim Strassenbau statt (Vr, 126, 1.6.79; TA, 132, 11.6.79; JdG, 162, 14.7.79; 212, 19.9.79).
[35] Amtl. Bull NR, 1979, S. 36 ff. und 1148 ff.; Amtl. Bull. StR, 1979, S. 288 ff. Vgl. ebenfalls SPJ, 1978, S.105.