Année politique Suisse 1979 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
Presse
Die Vielfalt der Presse ist weiterhin und verstärkt durch Abhängigkeit von der Wirtschaft, Konkurrenz unter Grossverlagen und Konkurrenz durch neue elektronische Medien bedroht. Die fortschreitende Pressekonzentration hat zu regionalen Vormacht und Monopolstellungen geführt
[7]. Nationalrat Muheim (sp, LU) erachtete ein Warten auf die Medien-Gesamtkonzeption als zu gefährlich und hatte deshalb noch im Vorjahr eine parlamentarische Initiative zur Presseförderung vorgelegt. Eine Kommission des Nationalrats stimmte dieser im Grundsatz zu und konnte im November einen
Presseförderungsartikel zuhanden von Bundesrat und Parlament verabschieden, der sich vom Expertenentwurf aus dem Jahre 1975 im wesentlichen nur durch das Fehlen von Steuererleichterungen unterscheidet. Der Bund soll Massnahmen zur Förderung einer vielfältigen und unabhängigen Presse in den einzelnen Landesteilen treffen, gegebenenfalls unter Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit. Dazu soll er die berufliche Aus- und Fortbildung im Pressebereich fördern. Über eine baldige Realisierung dieses Presseförderungsartikels scheinen allerdings keine Illusionen zu bestehen. Mit radikaleren Forderungen wartete die SJU auf, die verlangte, dass der Staat die publizistischen Monopole brechen, allenfalls Konkurrenzzeitungen gründen und die Verfügungsgewalt. der Verleger sowie den Einfluss der Grossinserenten gesetzlich beschränken solle
[8]. Dieser Einfluss kann kaum noch verdeckt werden: Wegen eines kritischen Artikels des «Tages-Anzeigers» über das Autogewerbe wurden bereits disponierte Inserate sistiert und die Zeitung in der Folge von den bedeutendsten Autoimporteuren faktisch boykottiert, was nach den Angaben des Chefredaktors zu einem monatlichen Einnahmeausfall von 500 000 Fr. führte. Die Kartellkommission begann mit Ermittlungen, um abzuklären, ob ein juristisch verbotener Boykott vorliege
[9]. Das Ganze zeigte, dass viele Grossinserenten ein werbefreundliches redaktionelles Umfeld erwarten und dass die Pressefreiheit dem Staat gegenüber verfassungsmässig garantiert, jedoch von privaten Mächten bedroht sein kann.
Die Herausgeber von
Gratisblättern machten die Erfahrung, dass auch ihnen Grenzen gesetzt sind: Der Ende 1978 in Genf mit 600 000 Exemplaren gestartete «Romandie-Hebdo» stellte schon Ende Januar sein Erscheinen ein, die zwei als Konkurrenz zu «Biel-Bienne» vom «Bieler Tagblatt» lancierten Gratisblätter wurden bald nur noch den Abonnenten beigelegt, und die Fusion der «Basler Woche» mit dem Gratisanzeiger «Doppelstab» zu einer neuen Gratiszeitung wurde wieder abgeblasen
[10]. Dennoch blieben Gratisblätter eine Gefahr vor allem für die Meinungspresse. Als die «Luzerner Neusten Nachrichten», die dem Ringier-Konzern zugehören, ihre Freitagnummer als Gratisanzeiger in Stadt und Agglomeration Luzern zu streuen begannen, stiessen sie auf erbitterten Protest ihrer lokalen Konkurrenzzeitungen «Vaterland» und «Luzerner Tagblatt». Die hinter diesen stehenden Parteien (CVP, FDP) sekundierten mit einer gemeinsamen Erklärung, in der sie dem Ringier-Konzern eine Verdrängungspolitik vorwarfen. Dessen Vorgehen wurde auch als Konkurrenz unter den grossen Verlagen, die sich wachsende Marktanteile sichern wollen, interpretiert. Dieselbe Tendenz fand sich ebenfalls bei der Ausweitung des Textteils im städtischen Amtsblatt «Tagblatt der Stadt Zürich», das vom Jean Frey-Konzern herausgegeben wird
[11]. Grosses Aufsehen in Pressekreisen erregte ferner der Verkauf des «Beobachters» an den Verwaltungsratsdelegierten dieser Verlagsgruppe, Beat Curti, der bekantgab, dass er zu einem spätem Zeitpunkt aus dem Verlag ausscheiden und dass sich der Kurs der Zeitschrift nicht ändern werde. Dennoch kamen Zweifel an einer unveränderten Zielsetzung und die Vermutung auf, dass der «Beobachter» nach einer Anstandsperiode zu einem seichten Unterhaltungsblatt absinken werde. Beachtung fand ebenfalls die Fusion der linken Alternativzeitungen «Focus» und «Leser-Zeitung» zum Zweiwochenblatt «Tell», wovon man sich höhere Auflagen und grössere politische Wirkung versprach. Diese Hoffnungen scheinen sich aber nicht zu verwirklichen, da nach nur zwei Monaten die früheren Mitarbeiter der «Leser-Zeitung» die Redaktion geschlossen verliessen
[12].
Die Parteipresse hatte weiterhin mit Schwierigkeiten zu kämpfen: Während das «SVP-Bulletin» ab Herbst nicht mehr erschien, war der sozialdemokratische «Freie AargauerNolksrecht» wegen geringen Inserateneinnahmen gezwungen, ab November seine Samstagnummer einzustellen. Ebenfalls wegen fehlenden finanziellen Mitteln beschloss das Zentralkomitee der PdA, seine französischsprachige Tageszeitung «Voix Ouvrière» ab Januar 1980 nur noch als Wochenzeitung erscheinen zu lassen. Neu erschien «Der Freisinn » als monatliche Parteizeitung der FDP
[13]. Wegen der oft geringen Verbreitung ihrer Organe sind die Parteien gezwungen, bei Wahlen und Abstimmungen ihre Parolen auch in der parteiungebundenen Presse als Inserate zu publizieren. Wie problematisch dies sein kann, erfuhr die SP, als ihr ohne vorherige Information ein Wahlinserat im «Blick» wegen angeblich nicht bewiesenen Behauptungen zensiert wurde
[14].
[7] Zur Pressekonzentration vgl. P. Conzett, Die Pressekonzentration in der Schweiz als wirtschaftliches Problem, Diss. Zürich 1978.
[8] Presseförderung: LNN, 37, 14.2.79; 38, 15.2.79; NZZ, 38. 15.2.79; 117, 22.5.79; 266. 15.11.79; TLM, 249. 6.9.79; Val.. 265. 15.11.79; vgl. SPJ, 1978. S. 148. SJU: Vr, 63, 15.3.79; BaZ, 64, 16.3.79; 66, 19.3.79.
[9] BaZ, 85,10.4.79 ;232.4.10.79 ; TA, 85,11.4.79 ;136, 15.6.79 ; 220, 22.9.79 ; 237, 12.10.79 ;248, 25.10.79 ; 277, 28.11.79. Im NR interpellierte dazu Renschler (sp. ZH): Amtl. Bull. NR, 1979, S. 1415 f.
[10] Genf: TLM, 15. 15.1.79 ;NZZ, 26, 1.2.79 ; 24 Heures, 26, 1.2.79; JdG, 27.2.2.79 ; vgl. SPJ, 1978, S. 149. Biel: BaZ, 39. 15.2.79; JdG, 39, 16.2.79; Basel: BaZ, 125, 31.5.79; 260, 6.11.79; TA, 124, 31.5.79; 259, 7.11.79.
[11] LNN-Gratisnummer: Vat., 202, 1.9.79; 213. 14.9.79; LNN, 203, 3.9.79; 219, 21.9.79; BaZ, 206, 4.9.79; TA, 204, 4.9.79; 214. 15.9.79; Zürich: Vr, I. 3.1.79; 31, 6.2.79.
[12] «Beobachter»: TA, 280, 1.12.79; 292, 15.12.79; NZZ, 281, 3.12.79; TW, 283. 3.12.79; LNN, 281, 4.12.79. «Tell»: BaZ, 146, 26.6.79; 151, 2.7.79; 295, 17.12.79; TA, 150, 2.7.79; 200, 30.8.79; 293, 17.12.79; Tell, 1, 11.10.79; 6, 20.12.79.
[13] SP-Presse: Vr, 255.31.10.79; 263. TW, 260, 6.11.79. «Voix Ouvrière»: VO, 217, 12.11.79 ; 220, 15.11.79; 221. 16.11.79; 236, 7.12.79; 24 Heures, 264, 13.11.79; 286, 8.12.79; Der Freisinn, Nr. 1, Juli 1979.
[14] Vr, 252. 27.10.79; 257, 2.11.79; SP-Information, 63. 25.10.79.
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