Année politique Suisse 1979 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
Radio und Fernsehen
Die grössten Umwälzungen in der Medienlandschaft zeichnen sich bei Radio und Fernsehen ab. Insbesondere scheint es, dass im Radiobereich Stellungen bezogen werden, die die kommende Medienordnung präjudizieren sollen. Die Auseinandersetzungen drehen sich letztlich darum, ob und wie das Monopol der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) gebrochen werden soll und wer damit schliesslich das Sagen haben wird: die privaten Medienkonzerne, denen sich bei einer Verkommerzialisierung dank den neuen technischen Möglichkeiten neue Gewinnchancen eröffnen, oder der Staat, der die Medien auf gesellschaftspolitische Zielsetzungen verpflichten kann.
Das
Vernehmlassungsverfahren zum neuen Verfassungsartikel über Radio und Fernsehen, der wegen des Tempos der technischen Entwicklung der Medien-Gesamtkonzeption vorgezogen werden muss, wurde Mitte Jahr abgeschlossen. Mit Ausnahme der FDP, der SVP und des Arbeitgeberverbandes, die einen reinen Kompetenzartikel befürworteten, sprachen sich die andern Stellungnahmen für eine inhaltsreichere Verfassungsaussage aus. Mehrheitlich wurde auch die Schaffung einer unabhängigen Beschwerdeinstanz gefordert. Die SRG selbst würde zwei getrennte Artikel begrüssen, um zu verhindern, dass die Kompetenzfrage nochmals der inhaltlichen Regelung zum Opfer fällt
[15]. Sie hatte zu Jahresbeginn ihre neuen Statuten genehmigt, die im wesentlichen die Öffnung der bis anhin geschlossenen Mitgliederorganisationen der Westschweiz, die Erleichterung der Neugründung von Mitgliedergesellschaften und die Vergrösserung des Zentralvorstands brachte. Die SRG meinte damit die Grundvorschläge der Hayek-Reformstudie aus dem Jahre 1973 verwirklicht zu haben, ihre Kritiker waren sich jedoch darin einig, dass sie damit begraben worden seien. Sie bemängelten insbesondere, dass eine repräsentative Zusammensetzung der Mitgliedgesellschaften und der Gremien weiterhin nicht gewährleistet ist und dass die zentralistischen Tendenzen eher verstärkt worden sind. Ende Jahr revidierten auch die Regionalgesellschaften der deutschen und rätoromanischen sowie der französischen Schweiz (DRS und SRTR) ihre Statuten, wobei letztere zur Bildung von sieben Kantonalgesellschaften aufrief, die die beiden bisherigen Trägerorganisationen in Genf und Lausanne ersetzen sollen
[16]. Die im Vorjahr vom Nationalrat überwiesene Motion Oehler (cvp, SG), die sich gegen eine 15-prozentige SRG-Gebührenerhöhung wandte, wurde vom Ständerat abgelehnt ; dieser forderte jedoch in einem Postulat, dass die zusätzlichen Einnahmen zur Verbesserung der Programmqualität verwendet werden. In entsprechendem Sinne wurde die Gebührenerhöhung dann vom Bundesrat mit etlicher Verspätung im Herbst in Kraft gesetzt. Oehler gab sich damit jedoch nicht zufrieden und verlangte in einer neuen Motion die Zuständigkeit des Parlaments zur Festsetzung der SRG-Gebühren
[17].
In einzelnen Fällen reagierten die SRG und viele Medienschaffende empfindlich aus Furcht vor Übergriffen des Staates. Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats prüfte die
Aufsicht des Bundes über die SRG und kam zum Schluss, dass diese im administrativen und finanziellen Bereich verstärkt werden sollte. Obwohl die Kommission ausdrücklich festhielt, dass sie kein Staatsfernsehen anstrebe, wurde sie einer solchen Tendenz verschiedentlich beschuldigt, zumal der Kommissionsbericht auch Auswirkungen auf die bevorstehende Anpassung der SRG-Konzession haben könnte
[18]. Sodann veranlasste die unsachgemässe Kürzung eines Fernsehinterviews mit dem damaligen iranischen Vizepremierminister Entezam den Bundesrat zur Einleitung einer Untersuchung, obschon der Fehler sofort eingestanden und korrigiert wurde. Insbesondere der Vorwurf, dass das Interview überhaupt inopportun gewesen sei und die äussere Sicherheit der Schweiz gefährdet habe, sowie die Forderung nach einer wirksameren Überwachung von Konzeption, Realisation und Ausstrahlung von Informationssendungen stiess auf vehemente Pressekritik, wobei sich vor allem die welsche Presse für die Informationsfreiheit einsetzte. Gegen eine weitere vom EVED registrierte Konzessionsverletzung am Westschweizer Fernsehen erhob die Generaldirektion SRG Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Andere Beschwerden gegen Radio- und Fernsehsendungen wurden abgewiesen, wobei das Unbehagen über die SRG-internen Beschwerdeinstanzen bestehen blieb
[19]. Um die Entscheide des EVED in Beschwerdesachen breiter abzustützen, verfügte Bundesrat Ritschard im Sommer die Einsetzung einer fünfköpfigen verwaltungsunabhängigen Beschwerdeinstanz, die als beratendes Organ seines Departements fungieren soll. Zu ihrem Präsidenten wurde der Publizist Oskar Reck gewählt. Die Schaffung einer SRG-externen unabhängigen Beschwerdeinstanz forderte in der Dezembersession eine Motion von Ständerat Guntern (cvp, VS), die überwiesen wurde
[20].
Die neue Programmstruktur des Deutschschweizer Fernsehens brachte als wesentlichste Neuerungen die Vorverlegung der Tagesschau und die Einführung eines fünften Werbeblocks. Dies wie auch die Beschränkung auf unterhaltende oder sonstwie publikumswirksame Sendungen in der Zeit zwischen 18 und 21 Uhr lösten Befürchtungen aus, dass der redaktionelle Teil den Anforderungen der Werbung angepasst werde. Die ebenfalls angestrebte Regionalisierung der Tagesschau scheint erst ab Herbst 1981 realisierbar zu sein. Programmdirektor G. Frei vom Fernsehen DRS trat zurück und wurde durch U. Kündig ersetzt
[21].
Die Mitte 1981 auslaufende Kabelrundfunkverordnung schliesst Werbesendungen aus und gibt der SRG ein Monopol für drahtlose Übertragungen. Dieses wird zunehmend von illegalen
Piratensendern gebrochen, die hauptsächlich im Raum Zürich auftreten. Dabei scheinen vor allem die politischen unter ihnen von der PTT gestört zu werden. Die Bestimmungen der Kabelrundfunkverordnung umging geschickt der ehemalige «Tat»-Chefredaktor R. Schawinski, der seit dem November vom italienischen Grenzberg Pizzo Groppera aus mit seinem starken UKW-Sender «Radio-24» die Region Zürich rund um die Uhr mit Popmusik und Werbespots bedient. Das EVED verlangte in mehreren Gesprächen mit den italienischen Behörden die Schliessung des Senders und setzte eine Frist bis Ende Jahr. Innert Wochenfrist wurden Ende Dezember über 200 000 allerdings nicht beglaubigte Unterschriften gesammelt, die den Bundesrat aufforderten, nichts gegen «Radio-24» zu unternehmen. Die Grossverlage Ringier und Jean Frey deuteten an, dass sie im Falle einer Nichtverhinderung von «Radio-24» ihrerseits ins Radiogeschäft einsteigen könnten. Das angesprochene EVED begrüsst prinzipiell die publizistische Konkurrenz, allerdings nicht ihre Kommerzialisierung, und will private Sender nicht von heute auf morgen zulassen. Es möchte präjudizierende Entwicklungen möglichst verhindern und fürchtet, dass mit einer vorzeitigen Freigabe das Medienkonzept Schweiz unterlaufen werden könnte
[22].
[15] LNN, 98, 28.4.79 ; 146. 27.6.79 ; TW, 101. 2.5.79 ; TA, 101. 3.5.79 ; 210, 11.9.79 ; JdG, 104, 5.5.79 ; NZZ, 110. 14.5.79; 136. 15.6.79; BaZ, 113. 16.5.79; vgl. SPJ, 1978, S. 149 f.
[16] Statuten SRG: Presse vom 20.1.79, ferner TA, 9. 12.I.79; BaZ, 16, 19.I.79; vgl. dazu SPJ, 1973, S. 139. Statuten DRS und SRTR: NZZ, 268, 17.11.79; TA, 268, 17.11.79; TLM, 314, 10.11.79; 326, 22.11.79; 24 Heures, 262, 10.11.79; 272, 22.1 1.79.
[17] NZZ, 18.23.1.79; 56, 8.3.79; 154, 6.7.79; 24 Heures, 62. 15.3.79; 96. 26.4.79. Motionen Oehler: Amtl. Bull. StR, 1979, S. 76 ff. (Ablehnung der Erhöhung) und Verhandl. B. vers., 1979,1. S. 54 (Parlamentskompetenz). Postulat StR-Kommission: Amtl. Bull. StR, 1979. S. 85. Gegen die Gebührenerhöhung wandte sich auch die abgelehnte Motion Jaeger (Idu, SG): Amtl. Bull. NR, 1979. S. 429 ff. Vgl. SPJ, 1978. S. 150.
[18] Presse vom 16.10.79; NZZ, 124. 31.5.79; 237, 12.10.79; BaZ, 294. 15.12.79.
[19] Interview Entezam: TA, 68, 22.3.79; 81, 6.4.79; TLM, 81, 22.3.79; 88, 29.3.79; 94. 4.4.79; 95, 5.4.79; 24 Heures, 86. 12.4.79 ; JdG, 86, 12.4.79 ; Presse vom 1 1.4.79 und 1.6.79. Zweite Konzessionsverletzung (Sendung über Fragen der Untersuchungshaft): NZZ, 217. 19.9.79; 242, 18.10.79; 24 Heures, 217, 19.9.79. Weitere Beschwerden : Vgl. z.B. Interpellation Bommer (cvp, TG) zur Berichterstattung über Militärübungen: Amtl. Bull. NR, 1979, S. 1326 f
[20] Beschwerdekommission: LNN, 153, 5.7.79; TA, 153, 5.7.79; TW, 161, 13.7.79; NZZ, 205, 5.9.79. Motion Guntem: Amtl. Bull. StR, 1979. S. 572 ff.
[21] Programmstruktur: Vr, 48.26.2.79; TW. 57, 9.3.79; LNN, 59. 12.3.79; Presse vom 7.9.79. Vgl. SPJ, 1978. S. 151. Betreffend bessere Berichtérstattung über Parlamentsaktivitäten interpellierte Hofmann (svp. BE): Amtl. Bull. NR, 1979, S. 558 f. Programmdirektor: Presse vom 22.6.79 und 11.10.79.
[22] Piratensender: TA, 108. 11.5.79; Vr, 287. 13.12.79. «Radio-24»: TA, 193. 22.8.79; 199, 29.8.79; 265, 14.11.79; 278, 29.11.79; 298. 22.12.79; 302, 29.12.79; BaZ, 207. 5.9.79; Bund, 256, 1.11.79; NZZ, 280, 1.12.79; TLM, 364, 30.12.79. Haltung des EVED: BaZ, 222, 22.9.79; 224, 27.9.79.
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