Année politique Suisse 1980 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Sozialdemokratische Partei
Nicht nur zwischen den Parteien kam die Polarisierung zum Ausdruck, sondern da und dort auch zwischen verschiedenen Richtungen innerhalb einer Partei. Am deutlichsten war dies in der Sozialdemokratischen Partei (SP) sichtbar. Auf nationaler wie auf kantonaler Ebene bildeten sich hier politische Sonderformationen, und zwar sowohl auf der von jüngeren, meist intellektuellen Kreisen geprägten Linken wie auf der pragmatischeren, stark von gewerkschaftlichen Kräften getragenen Rechten. Bereits im Februar 1979 hatten sich Exponenten der Linksopposition, hauptsächlich Genfer und Waadtländer, zu einer «Gruppe Yverdon» vereinigt. Diese gab ein Jahr später eine «Plattform 80» heraus; darin forderte sie den Rückzug der Partei aus der Regierungsverantwortung sowie eine Veränderung der Gesellschaft durch Selbstverwaltung in allen Lebensbereichen und durch gesellschaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln [3]. Umgekehrt entstanden in Zürich und Basel spezielle Organisationen des rechten Flügels. In beiden Städten hatten die Jugendunruhen die parteiinterne Spannung verschärft und namentlich zu einem Streit zwischen der mehr nach links orientierten Parteileitung und den sozialdemokratischen Vertretern in der Exekutivbehörde geführt, da diese mehr Gewicht auf die Wahrung der öffentlichen Ordnung legten. Die neuen Rechtsgruppierungen qualifizierten die Politik der Parteiführung als doktrinär oder elitär und verwiesen auf die Gefahr eines Rückzugs enttäuschter Mitgliederkreise [4]. Auch in Genf, wo die Parteientscheidungen mehr und mehr an die wenig stabile Generalversammlung übergegangen waren, meldete sich gewerkschaftliche Kritik [5].
Diese inneren Spannungen trugen in einzelnen Kantonen zu Wahlmisserfolgen bei [6]. In den eidgenössischen Räten dagegen, wo sie sich mit den bürgerlichen Koalitionspartnern auseinanderzusetzen hatte, trat die SP ziemlich geschlossen auf [7]. Der parteiinterne Entscheidungsprozess wird freilich von den Kontroversen belastet. Zwar konnte am Landesparteitag, der Ende November in Genf stattfand, in einzelnen Punkten Einigkeit demonstriert werden, so über die Lancierung einer Initiative für die Unterstellung der Rüstungskredite unter das Referendum oder über die Schaffung eines «Solidaritätsfonds für den sozialen Befreiungskampf in der Dritten Welt ». Doch für weitere Initiativprojekte (zur Finanz- und Sozialpolitik) liess sich der Vorstand die Verantwortung delegieren. Zwei besonders heisse Eisen, die Frage der Regierungsbeteiligung im Bund und die 1976 in Montreux beschlossene Programmrevision im Sinn eines «Bruchs mit dem Kapitalismus», wurden vorerst der Diskussion in den Sektionen zugewiesen. Die Geschäftsleitung hatte mit der Ausarbeitung eines Programmentwurfs eine ausgesprochen alternativ orientierte Kommission betraut; deren Konzept, das auf dem Prinzip der Selbstverwaltung beruht und den bestehenden wirtschaftlichen Machtverhältnissen kaum Rechnung trägt, war jedoch in den Führungsgremien der SPS auf Bedenken gestossen [8].
Der Wechsel des sozialdemokratischen Bundesrates W. Ritschard ins Finanzdepartement trug für die Partei einstweilen noch wenig Früchte, veranlasste sie aber zu einer konzilianteren Haltung in der Sparpolitik. Immerhin versagte sie ihre Unterstützung für den Volksentscheid über den Abbau der Brotverbilligung, indem sie die Stimme freigab [9]. Zu ernsteren Differenzen schien die im Vorjahr eingereichte Bankeninitiative Anlass zu geben. Ein Disput zwischen dem interviewfreudigen Parteipräsidenten Hubacher und dem Chef des EFD über die Frage, ob dieser durch das Kollegialitätsprinzip zur Bekämpfung des Volksbegehrens verpflichtet wäre, wirkte freilich verfrüht und verlief deshalb im Sande [10].
In struktureller Hinsicht beschloss die Partei vor allem neue Anstrengungen für die interne Bildungsarbeit, um die politische Sensibilisierung nicht weiterhin ausserparteilichen Gruppen zu überlassen. Damit im Zusammenhang wurden die Mitgliederbeiträge, namentlich für öffentliche Amtsträger, erhöht, anderseits für 1982 eine besondere Werbetätigkeit vorgesehen. Ausserdem kam die Idee einer gesamtschweizerischen Arbeitnehmerzeitung erneut aufs Tapet [11]. Die von der SPS herausgegebene Zeitschrift «Profll» erhielt im Herbst eine radikalere Leitung, was durch die Wiederaufnahme des früheren Titels «Rote Revue» unterstrichen wurde [12].
 
[3] SPS-Gruppe Yverdon, Die SP verändern. um die Gesellschaft zu verändern: Plattform 80, (1980). Zur Gruppe gehören die Lausanner Professoren F. Masnata und G. Peters, ferner auch Kreise aus Zürich und Biel. Vgl. Suisse, 140, 19.5.80; BaZ, 280, 28.1 1.80 ; 44, 21.2.81 ; NZZ, 43, 21.2.81. Zum Verhältnis SP-Gewerkschaften vgl. BZ, 25, 31.1.80; Vr, 28, 11.2.80; 114, 13.6.80 sowie oben, Teil I, 1e (Elections cantonales. Thurgovie).
[4] Zürich: TA, 163, 16.7.80; 211, 11.9.80; 9, 13.1.81; Ww, 33. 13.9.80. Basel: BaZ, 216, 15.9.80; 232, 3.10.80; (sda), 262, 7.11.80; NZZ, 238, 13.10.80. Zu den Jugendunruhen vgl. oben, Teil I, 1 b (Öffentliche Ordnung) und 7d (Jeunesse).
[5] JdG, 187, 12.8.80; BaZ, 199, 26.8.80; NZZ, 215, 16.9.80.
[6] So in BS und GE. Vgl. BaZ, 41, 18.2.80; JdG, 295, 17.12.80; ferner oben. Teil I, 1e (Elections cantonales, Bâle-Ville; Elections complémentaires, Genève).
[7] Vgl. oben, Teil I, 3 (Rüstungsbeschaffung) und 5 (Mesures d'économie).
[8] Parteitag: Presse vom 1.12.80; vgl. dazu SPJ, 1979. S. 197 sowie oben, Teil I, 3 (Rüstungsbeschaffung). Regierungsbeteiligung: vgl. auch SPJ, 1979, S. 197. Programmrevision: Dossier SPS/PSS Programmrevision, Ein Programm-Vorentwurf und Materialien für die Diskussion in der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz. Bern 1980 ; vgl. auch Wirtschaftskonzept und Selbstverwaltung, hrsg. vom Zentralsekretariat der SPS, 1980; ferner oben. Teil I, 1 a (Demokratisierung der Gesellschaft) und 4a (Wirtschaftssystem).
[9] Vgl. TW, 15, 19.1.80; 144, 23.6.80; BaZ, 22, 26.1.80; ferner oben, Teil 5 (Mesures d'économie) und SPJ, 1979, S. 24 f.
[10] Hubacher erklärte, Ritschard habe für die Bankeninitiative seine Neutralität zugesagt (BaZ, 22, 26.1.80), was von Ritschard dementiert wurde (NZZ, 24, 30. 1.80). Vgl. auch BaZ, 25, 30.1.80 ; 26, 31.1.80 ; Vr, 28, 11.2.80 ; Lib., 195, 24.5.80; ferner SPJ, 1979, S. 74.
[11] Presse vom 1.12.80; zur Bildungsarbeit vgl. R. H. Strahm, H. P. Gächter u. S. Graf in Profil, 1980, S. 193 ff.; zur Arbeitnehmerzeitung Rote Revue. 60/1981, Nr. 1, S. 3 ff. sowie SPJ, 1969, S. 144; 1975, S. 182.
[12] Vgl. Rote Revue/Profìl, 59/1980, Nr. 11, S. 1 ff. Die Redaktion ging von R. Lienhard an Toya Maissen über.