Année politique Suisse 1980 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Strafrecht
Dass die neuen Jugendunruhen in weiten Kreisen die Neigung zu harten Massnahmen der Staatsgewalt verstärkt hatten, zeigte sich auch bei der Behandlung der vom Bundesrat Ende 1979 beantragten Verschärfung des Strafrechts. Griff doch die vorberatende Kommission der grossen Kammer auf Vorschläge der Experten zurück, die der Bundesrat als zu weitgehend hatte fallenlassen: Strafbarkeit der öffentlichen Aufforderung zu Gewaltakten sowie der Vorbereitung von bestimmten Verbrechen. Trotz Opposition seitens der Linken, deren Vertreter auf die gesellschaftlichen Ursachen von Terror und Kriminalität hinwiesen, stimmte der Rat diesen Ergänzungen weitgehend zu, nachdem sich auch der Chef des EJPD für entsprechende Erweiterungen der Vorlage ausgesprochen hatte [45]. In der Presse setzte man da und dort Hoffnungen auf eine gelassenere Haltung des Ständerates, während linke Organisationen bereits mit dem Referendum drohten [46]. Der Bundesrat hatte schon im Sommer ein von der UNO-Generalversammlung 1979 gutgeheissenes Übereinkommen gegen Geiselnahmen unterzeichnen lassen, obwohl dieser neue Tatbestand erst durch die laufende Gesetzgebungsrevision im Landesrecht verankert werden kann [47].
Eine weitere Anderung des Strafrechts geriet durch Indiskretion ins öffentliche Gespräch. Die von Prof. H. Schultz präsidierte Expertenkommission, die 1971 mit der Überarbeitung des 2. Teils des Strafgesetzbuches beauftragt worden war, hatte sich nicht nur mit dem Schwangerschaftsabbruch und den Gewaltverbrechen befasst, sondern bereits 1977 auch eine Neufassung der Bestimmungen über Delikte gegen Leib und Leben, Sittlichkeit und Familie abgeschlossen; das Ergebnis wurde vom EJPD jedoch noch zurückbehalten. Nun machte der «Blick» gegen Jahresende die Reformvorschläge für das Sexualstrafrecht publik: Herabsetzung des Schutzalters auf 14 Jahre, Straflosigkeit des Inzests zwischen Erwachsenen sowie der passiven Zuhälterei, der Verbreitung von Pornographie, der Anlockung zur Unzucht und der gleichgeschlechtlichen Prostitution, dafür aber Strafbarkeit der Vergewaltigung auch in der Ehe [48]. Sowohl der sehr liberale Inhalt dieser Vorschläge wie auch die unübliche Art ihrer Bekanntgabe erregten einiges Aufsehen [49].
Die Differenzen bei der Beratung des Rechtshilfegesetzes konnten noch nicht völlig bereinigt werden. Immerhin stimmte der Ständerat einer Ausdehnung der internationalen Zusammenarbeit auf Steuerdelikte zu und akzeptierte für deren Abgrenzung auch das vom Nationalrat 1979 eingeführte Kriterium des Steuerbetrugs [50].
Die Auseinandersetzungen um den Strafvollzug gipfelten in einer Kontroverse um den mehrfachen Delinquenten und Ausbrecher Walter Stürm, der in Regensdorf (ZH) in Isolationshaft gehalten wurde. Obwohl Ärzte, Anwälte und Strafvollzugskritiker ernste gesundheitliche Schäden geltend machten, verweigerten die Zürcher Justizbehörden eine Entlassung [51].
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[45] Kommission : NZZ, 270. 19.11.80. Nationalrat : Amtl. Bull. NR, 1980. S. 1602 fr.. 1640 ff. Vgl. SPJ, 1979. S. 21. Über die Entschädigung der Opfer von Gewaltverbrechen vgl. unten, Teil I, 7b (Assistance publique).
[46] Presse: BaZ, 298, 19.12.80; Suisse, 354, 19.12.80; vgl. ferner Bund, 297, 18.12.80; TA, 296. 19.12.80; 24 Heures, 295, 19.12.80. Referendum: Vat., 293. 18.12.80; PZ, 1, 8.1.81.
[47] NZZ (sda), 166, 19.7.80.
[48] Blick, 292, 13.12.80; Ww, 51, 17.12.80; JdG, 297, 19.12.80. Vgl. dazu SPJ, 1971, S. 18; 1973, S. 119; 1978, S. 20 sowie Gesch.ber., 1977, S. 108.
[49] Vgl. Einfache Anfragen von NR Schalcher (ev., ZH) und StR Dillier (cvp, OW) (NZZ, sda, 297. 20.12.80) sowie Ww, 51, 17.12.80.
[50] Amtl. Bull. StR, 1980, S. 209 ff.; Amtl. Bull. NR, 1980. S. 1339 ff. Vgl. BaZ, 299, 20.12.80 und SPJ, 1979, S.21f.
[51] NZZ, 210, 10.9.80 ; TAM. 50. 13.12.80; TA, 292. 15.12.80. Das Bundesgericht wies eine Beschwerde gegen die Verweigerung ab und betonte, Stürm habe Vorschläge für eine Änderung seiner Haftbedingungen abgelehnt (NZZ, 31, 7.2.81 ; SGT, 40, 18.2.81). Zur Isolationshaft vgl. auch LNN, 296, 22.12.80.