Année politique Suisse 1980 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
 
Regierung
Die Regierung des Bundesstaates hatte 1980 zum vierten Mal Richtlinien ihrer Politik für die neue Legislaturperiode vorzulegen. Sie folgte dabei im wesentlichen der vier Jahre zuvor angewandten Methode. Nachdem der Rezessionsschock nun etwas überwunden war, erhielt die gesellschaftliche und politische Analyse wieder mehr Raum. So wurde betont, der Staat sehe sich einerseits zunehmenden Erwartungen, anderseits aber auch stärkeren Widerständen gegenüber; diese Diskrepanz mache das Regieren schwieriger. Wie schon 1976 waren die Richtlinien mit dem Finanzplan verknüpft. Hatte man damals das Regierungsprogramm aufdie Voraussetzung gestützt, die Einführung der Mehrwertsteuer werde die erforderlichen Mehreinnahmen bringen, so musste man diesmal zur Schliessung der Finanzlücke neben zusätzlichen Einnahmen vor allem einschneidende Sparmassnahmen vorsehen; durch diese wird der Spielraum des staatlichen Handelns verengert. Als einschränkende Faktoren hob der Bericht ausserdem die geringe Neigung der Stimmbürger zur Annahme von Neuerungen, föderalistische Tendenzen sowie die begrenzte Leistungsfähigkeit der Staatsorgane hervor. Der verengerte Handlungsspielraum machte sich auch in der Rechenschaftsablage über die abgelaufene Amtsperiode geltend, die erstmals in den Programmbericht einzufügen war: eine grössere Anzahl von Vorhaben hatte verschoben oder aufgegeben werden müssen [2].
Die neuen Richtlinien wurden in der Öffentlichkeit nicht ungünstig aufgenommen. Je nach Standort anerkannte man mehr die bewusste Beschränkung auf das im gegebenen finanziellen Rahmen Mögliche oder aber die Bereitschaft, trotzdem dringliche Probleme anzugehen [3]. Die Ausgewogenheit des Programms liess freilich eine grundsätzliche Auseinandersetzung der politischen Hauptkräfte nur in Ansätzen zustande kommen. Trotz der Revision der Verfahrensregeln, mit der das Parlament im Vorjahr seinen Einfluss auf die Regierungsplanung zu verstärken versucht hatte, erhielten die im März durchgeführten Debatten wenig Profil. Erstmals waren die Richtlinien durch Kommissionen vorzuberaten, und erstmals bestand die Möglichkeit, die Verhandlungen des Plenums durch sofort zu behandelnde Motionen zu beleben. Aber unter dem Eindruck gleichzeitiger Gespräche zwischen den Regierungsparteien, die einen versöhnlichen Verlauf nahmen, sahen die grossen Fraktionen davon ab, ihre Gegensätze im Ratssaal auszufechten. Insbesondere verzichteten die Freisinnigen darauf, ihre Forderungen zur Finanzreform (Vorrang der Einsparungen vor den Mehreinnahmen) und zur Sicherheitspolitik (Anpassung des Konzepts an die gespannte Weltlage) in Form von Motionen geltend zu machen. So blieb es dem oppositionellen Landesring überlassen, seine abweichenden Anliegen (Sanierung der Bundesfinanzen ohne Erhöhung der allgemeinen Steuern, Revision der Landwirtschaftskonzeption) im Nationalrat zur Abstimmung vorzulegen, natürlich ohne Erfolg [4]. Die Fraktion der äussersten Linken, die in der Kommission keine Vertretung erhalten hatte, reichte ausserhalb der Richtliniendebatte eine Motion zur Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik ein [5]. Das Versagen des neuen parlamentarischen Instruments wurde von den einen bedauert, von andern dagegen als Beweis seiner Untauglichkeit gewertet [6].
Wurde somit die Regierungsplanung vom Parlament nicht mitgeprägt, so sah sich die Exekutive um so mehr von den innerparlamentarischen Spannungen am Handeln gehindert. Der freisinnig-sozialdemokratische Gegensatz, der hauptsächlich in der Finanzpolitik und in der Landesverteidigung zum Ausdruck kam, machte den verantwortlichen Departementsvorstehern ordentlich zu schaffen [7]. Als Chef des EMD entlud Bundespräsident Chevallaz im Ständerat seinen Unmut über die SP und zog deren Glaubwürdigkeit in Verteidigungsfragen in Zweifel. Finanzminister Ritschard dagegen brachte seinen Argwohn, bürgerliche Politiker wollten ihm als Sozialdemokraten die Lösung der Finanzprobleme nicht gelingen lassen, im Fernsehen zum Ausdruck und deutete Rücktrittsabsichten an. Dieser namentlich vom «Blick» kräftig orchestrierte Appell ans Volk trug Früchte: im EFD türmten sich die Sympathiebezeugungen teilnehmender Bürger [8]. Demgegenüber erschienen die Schwierigkeiten des sozialdemokratischen Aussenministers Aubert kaum durch den Parteiengegensatz bedingt. Der Chef des EDA wurde zwar wegen des vorzeitigen Rücktritts seines höchsten Spitzenbeamten in der Presse scharf angegriffen, im Parlament aber — mindestens nach aussen hin — geschont [9].
 
[2] BBl, 1980, I, S. 588 ff. Vgl. auch die illustrierte Ausgabe Richtlinien der Regierungspolitik 1979–1983, Bern 1980. Zu den Richtlinien 1975–1979 vgl. SPJ, 1976, S. 20, zur Einfügung der Rechenschaftsablage SPJ, 1979, S. 23, zum Finanzplan unten, Teil I, 5 (Plan financier).
[3] Beschränkung: NZZ, 29, 5.2.80 ; BaZ, 51, 29.2.80 ; R. Reich in Schweizer Monatshefte, 60/1980, S. 175 f Bereitschaft: Bund, 29, 5.2.80; LNN, 29, 5.2.80; Vat., 31, 7.2.80. Vgl. auch Bund, 33, 9.2.80.
[4] Kommissionsberatungen: BaZ, 52, 1.3.80; SZ, 56, 7.3.80; Amtl. Bull. NR, 1980, S. 68 ff. Ratsdebatten: Amtl. Bull. NR, 1980, S. 65 f., 136 ff.; Amtl. Bull. StR, 1980, S. 139 (f. Verworfen wurde im NR ferner ein LdU-Antrag, der BR habe einen Zusatzbericht über die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen, die Energie- und Verkehrspolitik vorzulegen, sowie ein Antrag der äussersten Linken, von den Richtlinien ablehnend Kenntnis zu nehmen. Zum neuen Verfahren vgl. SPJ, 1979, S. 23, zu den Gesprächen der Regierungsparteien unten, Teil III a (Einleitung).
[5] Verhandl. B.vers., 1980, I, S. 29.
[6] Bedauern: Ww, 11, 12.3.80; BaZ, 69, 21.3.80; LNN, 69, 22.3.80. Untauglichkeit: LNN, 54, 5.3.80.
[7] Zur Finanzpolitik vgl. unten, Teil I, 5 (Politique financière), zur Landesverteidigung unten, Teil I, 3 (Sicherheitspolitik, Rüstungsbeschaffung).
[8] Chevallaz: Amtl. Bull. StR, 1980, S. 631 f.; vgl. unten, Teil I, 3 (Rüstungsbeschaffung). Ritschard: Presse vom 8.12.80; ferner BaZ, 289, 9.12.80; Blick, 287, 9.12.80; 289, 10.12.80; Ww, 51, 17.12.80.
[9] NZZ (sda), 44, 22.2.80; Bund, 45, 23.2.80; 66, 19.3.80; Ww, 9, 27.2.80; 13, 26.3.80; BaZ, 58, 8.3.80; Amtl. Bull. NR, 1980, S. 309 ff. Vgl. unten, Teil I, 2 (Style de direction du DFAE).