Année politique Suisse 1980 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
Parlament
Wenn auch das Parlament, wie bereits ausgeführt, seinen Einfluss auf die politische Planung nicht zu verstärken vermochte, so fehlte es nicht an Bemühungen, auf die
Kontrolle von Regierung und Verwaltung mehr Nachdruck zu legen
[12]. Die Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte veröffentlichten erstmals einen schriftlichen Bericht über ihre Ergebnisse. Darin beschwerte sich die Kommission des Nationalrates über eine Behinderung ihrer Tätigkeit durch die Militärbehörden. Gegen einen Beamten des Nachrichtendienstes, der 1977 vor der parlamentarischen Arbeitsgruppe Jeanmaire ausgesagt hatte, war nämlich ein militärgerichtliches Verfahren eröffnet worden, obwohl man ihm von höchster Stelle Straffreiheit zugesichert hatte. Der seinerzeitige Präsident jener Arbeitsgruppe, Nationalrat A. Müller-Marzohl (cvp, LU), zeigte sich aber von der Kontrollarbeit gegenüber dem EMD noch nicht befriedigt; er verlangte eine genauere Überprüfung der Aktivitäten des Nachrichtenoffiziers A. Bachmann, deren Vereinbarkeit mit der schweizerischen Neutralität in Zweifel gezogen wurde. Obwohl Müller-Marzohl die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission für erforderlich hielt, erteilte der Rat vorerst seiner Geschäftsprüfungskommission einen entsprechenden Auftrag
[13]. Einen eher grotesken Zwischenfall verursachte das Kommissionsmitglied G. Nef (fdp, SG ), das ein noch nicht zur Veröffentlichung bestimmtes Papier über den Fall Bachmann dem «Blick» zuhielt, sich dann zur Indiskretion bekannte und diese als Alarmruf wegen des Bestehens undichter Stellen im EMD ausgab. Angesichts der inhaltlichen Harmlosigkeit von Nefs Verstoss sahen die Räte von einer Aufhebung der Immunität ab, beschlossen aber, die Einrichtung eines parlamentsinternen Disziplinarverfahrens prüfen zu lassen, um in ähnlichen Fällen nicht zwischen Immunitätsentzug und blossem Tadel wählen zu müssen
[14].
Die Anstrengungen zur Aufwertung des Parlaments im politischen System werden auch durch eine Verschwendung der Kräfte an Nebensächliches beeinträchtigt. So hörte man wiederholt Klagen über die
Unzahl parlamentarischer Vorstösse, die vor allem das Pensum des Nationalrats — zugleich aber auch die Verwaltung — belasten. Es sind namentlich die oppositionellen Kleinparteien, die mit diesem Mittel ihr geringes Gewicht im Rat und in den Kommissionen zu kompensieren versuchen
[15]. Die Einführung von Fragestunden hat hiefür keinen Ersatz bieten können; deren Niveau bewertete man als nnbefriedigend
[16]. Ein Vorschlag, die Zahl der hängigen Vorstösse auf drei pro Ratsmitglied zu begrenzen und für Begehren nach zusätzlichen Bundesleistungen gleich auch konkrete Finanzierungshinweise zu verlangen, wurde von der grossen Kammer der für die Parlamentsreform zuständigen Kommission überwiesen
[17]. In der Frage der seit 1972 unverändert gebliebenen Entschädigungen erteilte der Rat derselben Kommission Auftrag, unverzüglich den Teuerungsausgleich zu veranlassen. Dagegen lehnte die bürgerliche Mehrheit die von den Sozialdemokraten gewünschte elektronische Abstimmungsapparatur mit finanziellen und technischen Argumenten ab
[18]. Uneinigkeit unter den Fraktionen verhinderte wie schon 1969 einen gemeinsamen Vorschlag für die Ernennung des Generalsekretärs der Bundesversammlung. Der Bundesrat ersetzte den ins Bundesgericht gewählten Christlichdemokraten A. Pfister durch den aus der Westschweiz stammenden freisinnigen Vizekanzler J.-M. Sauvant
[19].
Für die auf Jahresende erforderliche Wiederwahl der ständigen
ausserparlamentarischen Kommissionen galt erstmals die 1977 eingeführte Amtszeitbeschränkung. Dies gab Anlass zu mannigfachen Begehren hinsichtlich Zahl und Auswahl der im Bundesdienst stehenden Experten. Während die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte auf eine Verkleinerung und teilweise auf die Aufhebung solcher Gremien drangen, wünschten verschiedene Interessentenkreise, besser vertreten zu sein
[20].
[12] Zur politischen Planung vgl. oben, Regierung. Vgl. ferner Ww, 35, 27.8.80. Als neue Analyse des parlamentarischen Prozesses vgl. H.-P. Hertig, Partei, Wählerschaf oder Verband? Entscheidverfahren im eidgenössischen Parlament, Bern 1980.
[13] Schriftlicher Bericht: Vat.. 123. 29.5.80. NR-Kommission: Amtl. Bull. NR, 1980, S. 599 f. Müller-Marzohl : a.a.O., S. 603, Auftrag: a.a.O., S. 668 ff. Vgl. dazu BaZ, 12, 15.1.80; Ww. 5, 30.1.80; LNN, 129, 6.6.80; 192, 20.8.80; ferner SPJ, 1977, S. 49 sowie unten, Teil I, 3 (Organisationsfragen).
[14] Blick, 126, 3.6.80 ; NZZ (sda), 132, 10.6.80 ; Amtl. Bull. NR, 1980, S.999 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1980, S. 572 ff. Vgl. dazu BaZ, 136, 13.6.80 sowie unten. Teil I, 8c (Presse).
[15] LNN, 119, 23.5.80; BaZ,125, 31.5.80; 239, 11.10.80 ; Ww, 48, 26.11.80; Amtl. Bull. NR, 1980, S. 427 u. 813. Spitzenreiter ist allerdings der Sozialdemokrat J. Ziegler (GE). Zu Geschichte und Funktion der parlamentarischen Vorstösse vgl. A. Pfister, «Parlamentarische Vorstösse», in Innen- und Aussenpolitik. Festschrift zum 60. Geburtstag von Walther Hofer, Bem 1980, S. 405 ff.
[16] Presse vom 18.3.80; BaZ, 288, 8.12.80; Vat. (ddp), 293, 18.12.80. Vgl. SPJ, 1979, S. 26.
[17] Motion Rüttimann (cvp, AG), als Postulat überwiesen (Amtl. Bull. NR, 1980, S. 1680 ff.).
[18] Entschädigungen: Motion Alder (Idu, BL) (Amtl. Bull. NR, 1980. S. 1683); vgl. SPJ, 1972. S. 21 f. Elektronische Abstimmung: Amtl. Bull. NR, 1980, S. 376 ff.; vgl. SPJ, 1979, S. 26.
[19] BaZ, 262, 7.11.80; Presse vom 8. u. 13.11.80. Vgl. SPJ, 1969, S. 24.
[20] Bund, 271, 18.1 1.80. Die SVP verlangte die Wahl eigentlicher Parteienvertreter. Vgl. die Interpellation von Alma Bacciarini (fdp, TI) zum Anteil der Frauen (Amtl. Bull. NR, 1980, S. 1679 f.) sowie SPJ, 1974, S. 18 f. u. 1977. S. 20, ferner die Analyse von R. Germann u. A. Frutiger, Les commissions extraparlementaires créées de 1970 à 1977, Genève 1979.
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