Année politique Suisse 1980 : Allgemeine Chronik / Schweizerische Aussenpolitik / Aussenwirtschaftspolitik
Die entwicklungspolitischen Aspekte der Direktinvestitionen in der Dritten Welt sind weiterhin
umstritten. Nach der Ansicht derjenigen, welche in den Direktinvestitionen ein Mittel für den dringend nötigen Technologietransfer in die Entwicklungsländer sehen, leisten die multinationalen Unternehmungen mit ihren Betrieben in der Dritten Welt einen nicht zu unterschätzenden Beitrag an eine Entwicklungszusammenarbeit auf der Basis der Gleichberechtigung
[61]. Die Kritiker der Tätigkeit der «Multis» in der Dritten Welt jedoch beurteilen deren Einfluss auf das Wohlergehen der dortigen Bevölkerung als überwiegend negativ. Die langfristigen Rückwirkungen der angefochtenen Investitionen auf den Industriestandort Schweiz sind ebenfalls nicht geklärt. Einerseits wächst durch die Erhöhung des Bruttosozialproduktes der Entwicklungsländer deren Nachfrage nach Produkten aus den Industriestaaten. Andererseits gehen in der Schweiz Arbeitsplätze verloren, wenn die Schweizer Unternehmen ihre Produktion aus Kostengründen in Niedriglohnländer verlegen
[62].
Dass Direktinvestitionen Risiken rechtlicher und politischer Art mit sich bringen können, ist allgemein anerkannt. Zur gegenseitigen Absicherung von Investor und Gastland eignen sich bilaterale und multilaterale Investitionsschutzabkommen. Seit 1977 versucht die Kommission für transnationale Unternehmungen, welche vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen ins Leben gerufen worden war, einen Verhaltenskodex für die «Multis» auszuarbeiten. Auch die Schweiz ist in dieser Kommission vertreten. Sie befürwortet die Schaffung eines solchen Kodexes unter der Voraussetzung, dass dieser sowohl Verhaltensnormen für die «Multis» als auch Richtlinien für die Haltung der Regierungen gegenüber ausländischen Investoren enthält; dadurch will man einen gewissen Schutz gegen willkürliche Verstaatlichungen schaffen. Die Schweizer Delegation hat sich während der bisherigen Kommissionsarbeit dafür eingesetzt, dass der Kodex keine Rechtsverbindlichkeit erhalte. Nach Ansicht des Bundesrates lassen sich nach den bisherigen Erfahrungen keine Regelungen ausarbeiten, die so präzise sind, wie es für eine bindende Ausgestaltung nötig ist
[63]. Dieses Einstehen für einen rechtlich unverbindlichen Charakter des Verhaltenskodexes wurde vom Vorstand des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes scharf kritisiert. Er beanstandete, dass die .Schweizer Delegation als Sachwalterin der Auslandsinvestoren auftrete, anstatt die Interessen der drei Millionen Beschäftigten in der Schweiz wahrzunehmen. Nach Ansicht des SGB hätten die Vertreter der Schweiz sich für eine möglichst weitgehende Informationspflicht der «Multinationalen» gegenüber der Öffentlichkeit und für Verhandlungsrechte der Beschäftigten auf der Ebene der Weltkonzerne einsetzen müssen
[64].
[61] Vgl. Amt. Bull. NR, 1980, S. 1228 (Votum von NR Gautier, Ip, GE). Auch die UNO-Kommission für transnationale Unternehmungen bezeichnet Direktinvestitionen als Beitrag zur Entwicklungshilfe: BaZ, 17:3, 26.7.80. Zum Technologietransfer vgl. R. Gerster. Patentierte Profite. Zur Rolle schweizerischer Patente in der Dritten Welt, Basel 1980.
[62] A. Fürer in «Werkplatz Schweiz», Beilage zu NZZ, 244.20.10.80; H. Hollenstein, «Die Industrialisierung der Entwicklungsländer — Rückwirkungen auf die schweizerische Volkswirtschaft», in Schweiz. Zeitschrift für Volkswirt.schaft und Statistik, 116/1980. S. 261 ff.; V. Gawronski. «Entwicklungsländer auf dem Weg ins Industriezeitalter», in Mitteilungsblatt für Konjunkturfragen. 36/1980, S. 35 ff. Vgl. BaZ, 121, 27.5.80; H. Stettler. Schweizer Fabriken: Ab in die 3. Welt?, Basel 1980.
[63] BBl, 1980, III, S. 43 ff. und 1981, I, S. 567 ff. (15. und 16. Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik); NZZ, 18, 23.1.80; 249, 25.10.80; BaZ, 173, 26.7.80; TA, 186. 13.8.80; 24 Heures, 241, 16.10.80. Vgl. Ph. Lévy / H. Gattiker, «Behandlung und Schutz der Auslandsinvestitionen: Konzepte im Wandel», in Aussenwirtschaft, 35/1980, S. 53 ff.
[64] Communiqué des SGB und Kommentar von Beat Kappeler in SGB, 41, 18.12.80; TW, 299, 20.12.80.
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