Année politique Suisse 1980 : Allgemeine Chronik / Landesverteidigung
 
Organisation
Organisationsfragen der Landesverteidigung ergaben sich auf verschiedenen Ebenen. Was die Neubesetzungen im Armeekommando betrifft, so stand namentlich ein Wechsel an der Spitze zur Diskussion. Der Kommandant des 2. Armeekorps, Jörg Zumstein, wurde auf Anfang 1981 zum Nachfolger des zurücktretenden Generalstabschefs H. Senn ernannt. Kritikern aus der Westschweiz, die beanstandeten, dass die beiden höchsten Positionen der Armee weiterhin den Welschen vorenthalten würden, sicherte der Vorsteher des EMD die bevorstehende Ersetzung des Ausbildungschefs durch einen Offizier aus der lateinischen Schweiz zu [21].
Dass das neue, bereits 1979 erlassene Dienstreglement (DR 80) für den Wachtdienst scharfe Munition vorsieht, erregte weiterhin Unmut. Nebst zahlreichen Einsprachen und Petitionen bewirkte vor allem die Protestaktion einer Gruppe von Wehrmännern, die ihre Waffe im Basler Rathaus abgaben, einiges Aufsehen [22].
Gesamtverteidigungsübungen finden alle drei Jahre statt. Ziel der Übung von 1980 (GVU 80) war es, die Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Stellen in wechselnden Lagen unter Zeitdruck zu proben. Der angestrebte Vorrang der zivilen Instanzen im Entscheidungsmechanismus kam im Einsatz eines fiktiven Bundesrates und eines Übungsparlamentes zum Ausdruck. Obschon nicht zuletzt auch die Bereitschaft zur Geheimhaltung geprüft wurde, waren Indiskretionen über gewisse, von der Linken als diskriminierend empfundene Bedrohungsszenarien nicht zu vermeiden. Über diese und die entsprechenden Proteste haben wir bereits an anderer Stelle berichtet [23].
Im November wurde der bereits vor Jahresfrist abgeschlossene Bericht über «Die Mitwirkung der Frau in der Gesamtverteidigung» veröffentlicht. Die im Auftrag des EMD von der ehemaligen Leiterin des Frauenhilfsdienstes (FHD), Andrée Weitzel, verfasste Studie weist auf die veränderte gesellschaftliche Stellung der Frau hin und hebt deren Mitverantwortung auch in der Gesamtverteidigung hervor. Es werden daher verschiedene denkbare Lösungen dargestellt, die grundsätzliche Frage eines allfälligen Obligatoriums bleibt jedoch einem politischen Entscheid überlassen. Da nach Frau Weitzel die geltenden Rechtsgrundlagen nicht mehr ausreichen, um eine zweckmässige Mitarbeit der Frau in möglichen Krisenlagen sicherzustellen, regt sie die Schaffung eines neuen Verfassungsartikels an. Ohne die Totalrevision der Bundesverfassung abzuwarten, seien in einem solchen Artikel die Rechte und Pflichten sowie die Ausbildung der Frau im Bereich der Gesamtverteidigung zu regeln [24]. Die bereits vor der Veröffentlichung des «Weitzel-Berichtes» einsetzende Diskussionsphase zeitigte unterschiedliche Positionen. So bezeichnete der Direktor der Zentralstelle für Gesamtverteidigung, A. Wyser, einen Dienst der Frau an der Waffe als absurd. In Frauenkreisen schienen die Befürworterinnen einer freiwilligen und nicht in den Militärapparat eingegliederten Lösung zu dominieren. Das Meinungsspektrum reichte aber trotzdem von der Ablehnung jeglichen Einsatzes in der Gesamtverteidigung über differenzierte Vorschläge bis zur Forderung nach Chancengleichheit der Frau auch für die höchsten Armeechargen. Eine engagierte Frauenorganisation kritisierte darüberhinaus bestimmte, gegen die Würde der Frau gerichtete Schiessausbildungspraktiken in einer Truppeneinheit, die auf bedenkliche Vorstellungen von den Geschlechterrollen schliessen lassen [25].
Leitbilder, die mehr an Spionageromane und Indianerspiele erinnerten, stellte der zuständige Departementsvorsteher, Bundespräsident Chevallaz, im Zusammenhang mit dem Fall um den Geheimdienstobersten A. Bachmann bei verschiedenen Beamten des Nachrichtendienstes der Armee fest. Durch eine Reihe von Vermutungen, Verdächtigungen und Dementis zusätzlich genährt, zog die bereits 1979 geplatzte Affäre um die Aktivitäten des Nachrichtenoffiziers immer weitere Kreise und nahm zum Teil groteske Formen an. Ins Rollen gebracht hatte den Stein die peinliche Aktion des Schweizer Kundschafters A. Schilling. Der ehemalige Oberleutnant war im Vorjahr in Osterreich gefasst, verurteilt und dann in die Schweiz abgeschoben worden, als er im Auftrag Bachmanns im Nachbarland Truppenmanöver hatte beobachten wollen [26]. Nachdem gegen Schilling ein militärgerichtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war, beschäftigte sich hauptsächlich die nationalrätliche Geschäftsprüfungskommission (GPK) mit der Angelegenheit [27]. Auf den vom freisinnigen Kommissionsmitglied G. Nef (SG) verursachten Eklat und die vom Luzerner Christlichdemokraten A. Müller-Marzohl erhobene Forderung nach weiteren Abklärungen sind wir in anderem Zusammenhang eingegangen [28]. Eine gründliche parlamentarische Prüfung der nachrichtendienstlichen Vorfälle erschien umso gerechtfertigter, nachdem Bundespräsident Chevallaz der «Weltwoche» ein aufsehenerregendes Interview gewährt hatte. Nach früheren Ausserungen seines Amtsvorgängers sowie des Generalstabschefs wirkte die Aussage des EMD-Chefs, Bachmann habe für seine Nachrichtenaufträge inklusive jenes in Osterreich auch finanzielle Mittel von privater Seite erhalten, überraschend. Verbindungen hätten insbesondere zum im Zweiten Welkrieg bekannt gewordenen Spionagedienst von Hans Hausammann («Büro Ha») und seiner Nachfolgeorganisation bestanden. Ausserungen eines hohen Bundesbeamten zufolge kommen auch Banken als Geldgeber in Frage [29]. Während die «Arbeitsgruppe Bachmann» der nationalrätlichen GPK den von ihren Ratskollegen anbegehrten umfassenden Bericht auf die Frühjahrssession 1981 in Aussicht stellte, sprach die SPS von einem «Fall Watergate nach helvetischem Zuschnitt » und verlangte sofortige Sanktionen und Reorganisationen. Die CVP doppelte nach und forderte ein «radikales Ausmisten» [30].
 
[21] Presse vom 4.3.80 ; zu BR Chevallaz insbes. 24 Heures, 53, 4.3.80; TLM, 64, 4.3.80. Vgl. zudem BaZ, 305. 30.12.80 (Interview mit dem designierten Generalstabschef); Einfache Anfrage Schalcher (evp, ZH) zur Ernennung eines Oberbefehlshabers in Friedenszeiten (Amtl. Bull NR, 1980, S. 815 f.). Zur abgelehnten Beförderung des «Subversivenjägers» E. Cincera vgl. oben, Teil I, 1b (Grundrechte).
[22] BaZ, 102. 2.5.80; 116, 20.5.80; 117, 21.5.80; 132, 9.6.80; SGT, 102, 2.5.80; 125. 31.5.80; VO, 18. 19.5.80; Vr, 96, 19.5.80; 133, 10.7.80; vgl. auch Tell, 8, 24.1.80; 27, 14.11.80; Virus. 1980, Juli/Aug., S. 9 ff.; Dez., S. 9 ff. ; Einfache Anfrage Carobbio (psa, TI) in Amtl. Bull. NR, 1980. S. 1280 f. ; zum DR 80 vgl. SPJ, 1979. S. 61 ; zur Ablehnungder Eingaben im EMD vgl. NZZ (sda). 119, 24.5.80; Vat.. 120, 24.5.80; Vr, 101.27.5.80; TW, 125, 31.5.80. Protestaktion: TW, 159. 10.7.80; 162, 14.7.80; NZZ (sda). 161, 14.7.80; Vr, 135–136, 14.–15.7.80; TA, 162, 15.7.80. Zu Ausbildungsproblemen allgemein vgl. ASMZ, 146/1980. S. 689 f. (H. Wildbolz); SAMS-Information. 4/1980, Nr. 1.
[23] Presse vom 16.1.80 und 23.1.80; NZZ (sda), 19. 24.1.80; BaZ, 21–22, 25.–26.1.80; 43. 20.2.80; ASMZ. 146/1980, S. 309 ff. (Beiträge der GVU 80-Leiter F. Muheim, J. Zumstein, H. Rapold). Zu den Szenarien und Protesten vgl. oben. Teil I, 1b (Grundrechte).
[24] BaZ, 190. 15.8.80; LNN. 230. 3.10.80; Suisse, 296, 22.10.80; Presse vom 26.11.80; Ww, 49. 3.12.80.
[25] Wyser: BaZ, 246, 20.10.80. Diskussionsphase: BaZ, 6–7.8.–9.1.80; 109, 10.5.80; 239, 11.10.80; Vr, 33, 18.2.80 ; 24 Heures, 85. 14.4.80 ; T W. 89, 17.4.80 ; 141. 19.6.80 ; 287, 6.12.80 ; Bund, 145, 24.6.80 ; 255, 30.10.80 ; zur Opposition pazifistischerseits vgl. Wir passen unter keinen Helm. hrsg. vom Schweiz. Friedensrat. Zürich 1980 und Virus. Dez. 1980, S. 3 ; zu einer entsprechenden SPS-Frauentagung vgl. Presse vom 12.5.80; SP-lnformation, 76. 14.5.80. Ausbildungspraktiken : Bund, 298, 19.12.80; Interpellation Mascarin (poch, BS) in Verhandl. B. vers., 1980, IV, S. 60. Zum Verhältnis Frau und Landsverteidigung vgl. ebenfalls NZZ, 279. 29.11.80; 289, 11.12.80 ; 294. 17.12.80; sowie SPJ, 1978, S. 50 f.
[26] BR Chevallaz : Amtl. Bull. NR, 1980, S. 674 ; vgl. auch Ww, 27, 2.7.80 ; NZZ, 153, 4.7.80. Schilling: TA, 16. 21.1.80; BaZ, 18, 22.1.80; 272, 19.11.80; vgl. dazu SPJ, 1979. S. 62.
[27] Ermittlungen : BaZ, 129.5.6.80; TA, 288, 10.12.80. GPK: Amtl. Bull. NR, 1980. S. 596 ff. und 668 ff.; vgl. auch BaZ, 12, 15.1.80; 185, 9.8.80; 194. 20.8.80; NZZ, 11, 15.1.80; 192, 20.8.80; 196. 25.8.80; Presse vom 12.8.80; TA, 191, 19.8.80 sowie oben, Teil I, 1c (Parlament).
[28] Vgl. oben, Teil I, 1c (Parlament) und unten, Teil I, 8c (Information). Vgl. überdies Presse vom 6., 10., 12. und 17.6.80.
[29] Interview: Ww, 26. 25.6.80; vgl. auch Presse vom 25. und 27.6.80; BaZ, 147, 26.6.80; VO, 26, 4.7.80; Bund, 148, 27.6.80. Banken: NZZ (ddp). 190, 18.8.80; vgl. auch Ww, 39, 24.9.80.
[30] Bericht: NZZ, 152, 3.7.80; BaZ, 269. 15.11.80. SPS: NZZ (sda), 146, 26.6.80; SP-Information, 79, 26.6.80. CVP: Vat. (ddp), 147, 27.6.80. Vgl. zudem eine Einfache Anfrage Forel (pda, VD) in Amtl. Bull. NR, 1980. S. 816. Zum Schlussbericht der GPK vgl. Presse vom 21.1.80; nach diesem Bericht bestehen keine Anhaltspunkte für eine private Finanzierung der offiziellen Nachrichtendienste.