Année politique Suisse 1980 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
Eisenbahn
Die finanzielle Lage der Eisenbahnen hat sich auch 1980 nicht zum Bessern gewendet. Allgemein wird heute aber anerkannt, dass die Ursachen der Defizite kaum im betriebswirtschaftlichen Bereich liegen, sondern weitgehend in den Strukturen des Verkehrssystems begründet sind
[11].
Die
Rechnung der SBB schloss 1979 mit einem Fehlbetrag von 624,4 Mio Fr. ab. Der Rechnungsabschluss für 1980 weist ein Defizit von 593,5 Mio Fr. aus. Die Reduktion des Fehlbetrags gegenüber dem Budget um rund 100 Mio Fr. ist in erster Linie auf die starke Zunahme des Transportvolumens (Güter und Personen je +5,2%) zurückzuführen. Damit ist das Jahresdefizit auf den niedrigsten Stand seit 1974 gesunken. Für 1981 budgetieren die Bundesbahnen einen Fehlbetrag von 654,3 Mio Fr. Beabsichtigt ist nach diesem Voranschlag eine Ausweitung des Personalbestandes um 830 Einheiten gegenüber dem Bestand von 1979. Es wird sich bei den Neueinzustellenden zum grossen Teil um Lehrlinge in bahnspezifischen Berufen handeln. Mehreinnahmen in der Höhe von etwa 50 Mio Fr. erhoffen sich die SBB von den auf den Herbst 1980 vorgenommenen Tariferhöhungen um ca. 6%. Trotzdem es sich um die erste Preiserhöhung seit 1976 handelte, die zudem weit hinter der seither eingetretenen Teuerung zurückblieb, war dieser Beschluss nicht unbestritten. Insbesondere wurden Befürchtungen laut, die Bahnen (die meisten Privatbahnen schlossen sich der Tariferhöhung an) könnten die in den letzten beiden Jahren wiedergewonnenen Kunden verärgern und sie erneut an den Strassenverkehr verlieren
[12]. Ungünstig für die finanzielle Lage der Privatbahnen wirken sich die Sparbeschlüsse der Bundesversammlung aus. Da die Abgeltungszahlungen des Bundes für die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen dieser Bahnen als Subventionen figurieren, wurden auch sie der zehnprozentigen Kürzung unterworfen
[13].
Eine wesentliche Gesundung der Finanzen der SBB hätte der von der Landesregierung 1979 präsentierte Leistungsauftrag bringen sollen. Es erwies sich aber, dass der als Übergangsregelung bis zur Inkraftsetzung der GVK intendierte Massnahmenkatalog in vielen Punkten zuwenig überdacht war. Insbesondere die grobe Aufteilung der Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Regionalverkehr zwischen Bund und Kantonen konnte nicht befriedigen. Zudem zeigte sich, dass es mit dem bestehenden Rechnungswesen der SBB nicht möglich ist, die Kosten gemeinwirtschaftlicher Leistungen differenziert für einzelne Linien aufzuschlüsseln. Noch vor der parlamentarischen Beratung zog deshalb der Bundesrat die unter dem Druck der Rechnungsdefizite ausgearbeitete Vorlage zurück und beauftragte die SBB und das EVED mit den erforderlichen Zusatzuntersuchungen
[14].
Am 29. Mai konnten die SBB die neue Flughafenlinie Zürich-Kloten in Betrieb nehmen. Die Beförderungsfrequenzen übertreffen die Erwartungen bei weitem und deuten darauf hin, dass die Bahn im Wettbewerb mit der Strasse nicht von vorneherein auf verlorenem Posten steht. Nach dem Willen der Bundesversammlung soll auch der Flughafen Genf-Cointrin seinen Eisenbahnanschluss erhalten. Beide Räte bewilligten nahezu oppositionslos den vom Bundesrat beantragten Beitrag in der Höhe von 64 Mio Fr.
[15]. Um die langfristige Projektierung neuer Linien zu erleichtern, schlägt die Landesregierung eine Anderung des Eisenbahngesetzes vor. Mit dieser Revision würde es den SBB ermöglicht, von der Planung betroffene Privatgrundstücke vorsorglich und auf längere Zeit vor Überbauungen freizuhalten
[16].
Viel zu diskutieren wird in den nächsten Jahren der Entscheid über die Linienführung einer neuen
Bahn-Alpentransversale geben. Neben einem Projekt durch den Brenner zwischen Osterreich und Italien stehen in der Schweiz die Varianten Splügen sowie Gotthard im Vordergrund. Während sich die Ostschweizer Kantone für die Splügenbahn einsetzen, optieren diejenigen der Zentral- und Nordschweiz (inkl. Zürich) zusammen mit dem Verwaltungsrat der SBB für die Gotthardlinie. Entschieden wird die Linienführung für diese neue Nord-Süd-Transitachse aber sicher auf internationaler Ebene. Die europäische Verkehrsministerkonferenz beschloss denn auch die Einsetzung einer «interministeriellen Kommission» mit Vertretern aus der BRD, Frankreich, Italien, Osterreich und der Schweiz zur Abklärung der geeigneten Linienführung
[17].
Der Bau des
Furkatunnels geht langsam seiner Vollendung entgegen. Den voraussichtlich letzten Nachtragskredit in der Höhe von 96,5 Mio Fr. bewilligte nach dem Nationalrat nun auch der Ständerat. Strafrechtliche Konsequenzen werden die Fehlplanungen und Kostenüberschreitungen keine haben. Die vom Bundesrat eingesetzte juristische Expertenkommission kam zum Schluss, dass keine Aussicht besteht, gegen die von der Untersuchungskommission des Nationalrats als für die Fehler verantwortlich bezeichneten Personen erfolgreich rechtlich vorzugehen
[18].
Die Überlebenschancen für zwei der drei von Betriebseinstellung bedrohten
Privatbahnen in der Westschweiz sind weiter gesunken. Die vom EVED eingesetzte Expertenkommission empfiehlt die Ersetzung der Bahn Aigle-Diablerets und des Teilstücks Aigle-Monthey durch einen Autobusbetrieb; der Abschnitt Monthey-Champéry soll erst nach Abschluss der Strassenkorrektion auf Busverkehr umgestellt werden. Einzig auf der Linie Nyon-St.Cergue-La Cure soll nach Ansicht der Experten der Bahnbetrieb aufrechterhalten bleiben
[19].
[11] Siehe dazu Debatte im NR zum SBB-Budget 1981: Amtl. Bull. NR, 1980. S. 1551 ff.
[12] Rechnung 1979: BBl, 1980, II, S. 353 ff. und 659; Amtl. Bull. NR, 1980. S. 771 ff.; Amtl. Bull. StR, 1980, S. 223 f. Rechnung 1980: NZZ, 92, 22.4.81. Voranschlag 1981: BBl, 1980, III, S. 1 169 ff. und 1459 f. ; Amtl. Bull. NR, 1980.S. 1551 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1980, S. 614 ff. Tariferhöhung: Bund, 20, 25.1.80; 105, 6.5.80; NZZ, 251, 28.10.80. Die Aufstockung des Personalbestandes scheint in der Tat nötig geworden zu sein, machte sich doch bei den Bahnangestellten Unmut über die mit der Leistungssteigerung beachtlich angewachsene Arbeitsbelastung breit (vgl. dazu die Berichte über die Demonstration des Zugpersonals in Bern: TW, 289, 9.12.80; TLM, 349, 15.12.80).
[13] TW, 201, 28.8.80 ; NR Weber (sp, TG) in Amtl. Bull. NR, 1980, S. 647 und 1552. Vgl. auch oben, Teil I, 5 (Mesures d'économie).
[14] SPJ, 1979, S. 112 f.; Amtl. Bull. NR, 1980, S. 783 ff. und 1267 f.; TA, 41, 19.2.80; 102, 3.5.80; BaZ, 107,8.5.80.
[15] Kloten: NZZ, 122, 29.5.80; 123, 30.5.80; SGT, 239, 11.10.80. Genf-Cointrin: SPJ, 1979, S. 117 ; Amtl. Bull. NR, 1980, S. 368 ff.; Amtl. Bull. StR, 1980. S. 393 f.; AS, 1980, S. 1480; JdG, 32, 8.2.80.
[16] BBl, 1981, I, S. 325 ff. Der Berner Grosse Rat, der 1978 seine Regierung zum Kampf gegen die geplante neue Eisenbahnlinie durch das Mittelland (NUT) verpflichtet hatte, rückte nun von seiner ablehnenden Haltung etwas ab und korrigierte seinen früheren Beschluss teilweise (Bund, 117, 21.5.80; SPJ, 1978, S. 102). Vgl. dazu auch «Neue Eisenbahnhaupttransversalen in der Schweiz», in Schweiz. Zeitschrift für Verkehrswirtschaft. 35/1980, Nr. 1, S. 8 f.
[17] Ldb, 39, 16.2.80; NZZ, 160, 12.7.80; 209, 9.9.80; LNN, 22.5.80; vgl. auch F. Hegner, «Die schweizerische Transportpolitik und ihre europäische Funktion», in Schweiz. Zeitschrift für Verkehrswirtschaft, 35/1980, Nr. 3, S. 3 ff.
[18] Zusatzkredit: SPJ, 1979, S. 113; Amtl. Bull. StR, 1980, S. 62 f.; Untersuchung: NZZ, 96, 25.4.80; vgl. auch SPJ, 1978, S. 102. Zur Kostenüberschreitung, welche gemäss dem Urteil von Experten rund dreimal höher ausfiel als bei vergleichbaren Nationalstrassentunneln, siehe TA, 57, 8.3.80.
[19] TLM, 289, 15.10.80; 353, 19.12.80; 24 Heures, 296, 21.12.80; vgl. auch SPJ, 1979, S. 113.
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