Année politique Suisse 1980 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
 
Sprache
Zu dem seit einiger Zeit wieder stark diskutierten Verhältnis Deutsch-Welsch versuchten verschiedene Veranstaltungen, so ein Seminar der Neuen Helvetischen Gesellschaft und ein Kolloquium des eidgenössischen Personalamtes, Beiträge zur Klärung zu erbringen. Klagen über die Verschlechterung der Beziehungen, die in der Westschweiz zunehmend lauter wurden, wiesen vor allem auf die Dominanz des vielzitierten «goldenen Dreiecks» (Basel-Zürich-Bern) hin. Tatsächlich wurde dem wirtschaftlichen Aspekt mehr Bedeutung zugemessen, dabei aber auch deutlich gemacht, dass das durchschnittliche Volkseinkommen in der Westschweiz eher höher liegt als in der deutschen Schweiz und dass Disparitäten eher im Innern der Sprachregionen bestehen. Immerhin konnte nicht von der Hand gewiesen werden, dass die Entscheidungszentren der Grossbetriebe, insbesondere der Sitz der grössten Banken, Versicherungen und Handelsfirmen, im besagten «goldenen Dreieck» liegen, und dass viele Grossbetriebe der Romandie von Deutschschweizern kontrolliert werden. Bundesrat Chevallaz bezeichnete die Vertiefung des Föderalismus und den Abbau der wirtschaftlichen und politischen Zentralisierung als Bedingung für die Sicherung der friedlichen Koexistenz von Kantonen und Regionen. Von einem Vormarsch der deutschen Sprache könne aber nicht die Rede sein [16]. Gerade autonomistische Kreise im Südjura befürchteten allerdings eine Verschiebung der Sprachgrenze im Sinne einer Germanisierung, sei es auch bloss durch wachsende Zweisprachigkeit, was jedoch von den Behörden des Berner Juras entschieden zurückgewiesen wurde. Vorwürfe wurden auch an die Stadt Bern gerichtet, die Anderssprachige zur Anpassung zwinge. Eine parlamentarische Einzelinitiative Crevoisier verlangt in diesem Zusammenhang ein spezielles Statut für Bern als Bundesstadt mit gleichen Möglichkeiten für Behördemitglieder und Beamte aller Sprachgemeinschaften, insbesondere Schulen und öffentliche Information in allen Amtssprachen [17]. Wie schon im Vorjahr befassten sich weitere parlamentarische Vorstösse mit den Problemen der Mehrsprachigkeit in den Institutionen [18]. Im Sommer schlossen sich zudem Romands, Tessiner und Rätoromanen aus Bundesverwaltung und Parlament zur Vereinigung Helvetia Latina zusammen, die darüber wachen will, dass Kultur, Sprache und Geist der lateinischen Schweiz in der Bundesverwaltung erhalten bleiben und auf allen Stufen der Beamtenschaft angemessen vertreten sind. Die Reaktionen waren nicht nur wohlwollend: Kritiker befürchteten die Institutionalisierung kulturpolitischer Konflikte, und der Bundespersonalverband fühlte sich unangenehm konkurrenziert [19].
Weiterhin prekär blieb die Situation des Rätoromanischen. Immerhin konnte die Lia Rumantscha/Ligia Romontscha (LR) den Entwurf für ein neues Sprachengesetz zuhanden der Bündner Regierung verabschieden, die ihn den Gemeinden zur Vernehmlassung zustellte. Uneinigkeit im Lager der Rätoromanen scheint der effizienten Durchsetzung ihrer Anliegen nicht eben förderlich zu sein. Die Auseinandersetzungen um die Ernennung eines neuen Sekretärs der LR liessen die Diskussion um die Vertretung der einzelnen rätoromanischen Idiome und damit auch die Bedeutung von Konfessionsarithmetik und Parteitaktik wieder aufleben [20],
 
[16] Seminar der Neuen Helvetischen Gesellschaft : TLM, 160.8.6.80; Bund, 132, 9.6.80; NZZ, 132, 10.6.80; BaZ (sda), 134, 11.6.80; vgl. auch «Wirtschaftlich relevante Aspekte der Beziehungen zwischen der deutschen und der französischen Schweiz», in Mitteilungen/Neue Helvetische Gesellschaft, 1980, S. 35 ff.; G. A. Chevallaz, «Dialogue entre Suisses, le 6 juin 1980 à Lenzbourg», ebenda, 1980, S. 40 ff. ; « Les relations entre Suisse Romande et Suisse Alémanique», ebenda, 1980, S. 63 ff. Kolloquium des eidg. Personalamts in Montreux : TLM, 304-306, 30.10.—1.11.80; JdG, 255, 31.10.80; 24 Heures, 254, 31.10.80; Bund, 257. 1.11.80 ; NZZ, 256, 3.11.80; daneben auch BaZ, 254, 29.10.80. Zu den wirtschaftlichen Besorgnissen in der welschen Schweiz vgl. auch unten. Teil III b (Industrie, Handel und Banken). Vgl. im übrigen die Antwort des BR auf das 1978 überwiesene Postulat Delamuraz (fdp, VD) in Gesch. ber., 1980, S. 229 ff.; vgl. dazu SPJ, 1978, S. 146.
[17] Jura: TA, 181, 7.8.80; Bund, 210, 8.9.80. Parlamentarische Initiative Crevoisier (psa, BE): Verhandl. B.vers., 1980, IV, S. 17; Ldb, 72, 27.3.80; TLM, 237, 24.8.80.
[18] Einfache Anfrage Crevoisier (psa, BE) betreffend Redaktion Bundesgesetzgebung: Amtl. Bull. NR, 1980, S. 405 ; TLM (ats), 61, 1.3.80. Motionen Donzé (sp. GE) betreffend Kompetenzerweiterung des zentralen Sprach- und Übersetzungsdienstes (auch vom NR angenommen): Amtl. Bull. NR, 1980, S. 1675 f.; vgl. SPJ, 1979, S. 161 ; und betreffend Einführung der Simultanübersetzung im StR (Kenntnisnahme ohne Beschlussfassung): Amtl. Bull. StR, 1980, S. 168 ff.; NZZ, 69, 22.3.80. Motion Christinat (sp. GE) betreffend deutschsprachige Ubersetzungen (als Postulat überwiesen): Amtl. Bull. NR, 1980, S. 1676 ff.; Suisse, 354, 19.12.80. Parlamentarische Initiative Crevoisier betreffend Übersetzung sämtlicher Publikationen in die Amtssprachen (abgeschrieben), ersetzt durch Postulat NR-Kommission betreffend Ausdehnung der Übersetzungen auf weitere Publikationen (angenommen): Amtl. Bull. NR, 1980, S. 1672 ff.; NZZ (sda), 245, 21.10.80;2 4 Heures, 245, 21.10.80. Parlamentarische Initiative Crevoisier betreffend Schaffung einer Kommission zur Auswahl der amtlichen Texte, die in eine andere Amtssprache übersetzt werden müssen (Behandlung hängig): Verhandl. B.vers., 1980, IV, S. 19.
[19] TLM, 164, 12.6.80; 317, 12.11.80; Bund (sda), 136. 13.6.80; 24 Heures, 136, 13.6.80; BaZ, 232, 3.10.80.
[20] NZZ, 72, 26.3.80; (sda), 125, 2.6.80; 130, 7.6.80; (sda), 134, 12.6.80; Vat., 284. 6.12.80; vgl. auch G. Capaul, «Nova lescha da lungatgs piI Grischun», in Civitas, 36/1980-81, S. 80 ff.; und SPJ, 1979, S. 162 und S.193.