Année politique Suisse 1980 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
 
Kirchen
Die in den vergangenen Jahren vom eidgenössischen Parlament abgelehnte Volksinitiative für eine vollständige Trennung von Kirche und Staat gelangte am 2. März zur Abstimmung. Im Vorfeld des Volksentscheides wurden vor allem der mögliche Verlust kantonaler Kirchenhoheit und föderalistischer Substanz hervorgehoben, im weitern aber kaum neue Argumente vorgebracht. Das auffallendste Merkmal war deshalb die recht intensive Kampagne der Initiativgegner, die mit der Gelegenheit, das Verhältnis zwischen Kirche und Staat grundsätzlich zu diskutieren, begründet wurde. Da die Sozialdemokratische Partei, wohl aus Rücksicht auf ihre Wähler, Stimmfreigabe beschloss, wurde die Initiative nur von den Parteien links von der SP und von der Jungliberalen Bewegung zur Annahme empfohlen. Letztere begründete ihre Parole mit dem Hinweis, dass die kantonalen Ordnungen die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Einzelnen nicht genügend garantierten [21]. Bei einer Stimmbeteiligung von 34,4% entstieg den Urnen mit 281 475 Ja und 1 052 575 Nein ein eindeutiges Verdikt gegen die Initiative. Auch ein Graben Deutsch-Welsch war für einmal nicht sichtbar. Eine Nachanalyse der Abstimmung zeigte, dass der föderalistische Reflex, mit Ausnahme der Westschweiz, beim Entscheid der Gegner nicht in erster Linie bestimmend war, sondern dass die Motive für Ja und Nein eher in finanziellen Überlegungen gründeten [22].
Eine zu Jahresbeginn in Zürich konstituierte Aktion «Kirche wohin?» nahm die Politik der Kirchen unter Beschuss, insbesondere deren entwicklungspolitisches Engagement. Sie forderte, die Kirchen sollten sich auf ihren wesentlichen Auftrag, der nicht politisch sei, besinnen, sich parteipolitisch nicht verstricken und auch Menschenrechtsorganisationen im Ostblock unterstützen. Das Zentralsekretariat der EVP stellte umgehend fest, die Kirche bedürfe eines «Hofer-Klubs» gegen angeblich linke Tendenzen nicht [23]. Zumindest der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) dürfte sich mit seiner Stellungnahme zur Weiterführung des Antirassismusprogramms des Weltkirchenrats der erwähnten Kritik entziehen können. Er regte an, das Programm zur Bekämpfung des Rassismus zu einem Programm zur Verwirklichung der Menschenrechte, auch in Ost und West, auszuweiten und entsprechend die Vergabungspraxis des Sonderfonds zu überprüfen [24].
Dass auch ein unparteiliches Verhalten in politischen Konflikten Amtsträger in Schwierigkeiten bringen kann, zeigte ein Fall im Südjura: Eine an der deutschsprachigen Kirchgemeinde Moutier wirkende protestantische Pfarrerin wurde von ihrer Stelle abgewählt, weil sie in der Jurafrage eine versöhnliche und neutrale Haltung einnahm, was probernischen Kreisen missfiel [25].
Seit einiger Zeit wird ein Stillstand in der ökumenischen Bewegung beobachtet, der vor allem durch einen restaurativen Kurs der Katholischen Kirche, für den das im Vorjahr gegen den Theologen Hans Küng ausgesprochene Lehrverbot nur ein Beispiel war, bedingt sein soll. Immerhin fand im Herbst in Interlaken mit einer ökumenischen Konsultation der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen der Schweiz die erste grossangelegte ökumenische Gesprächsrunde der Schweizer Kirchen seit vielen Jahren statt [26]. Der 1975 aufgenommene, allerdings nicht offizielle Dialog zwischen Führungskräften aus Kirche und Wirtschaft führte zur Publikation einer Thesenreihe «Leitlinien für die internationale Geschäftstätigkeit», in der die Beziehungen zur staatlichen Ordnung der Gastländer und zur Allgemeinheit und das Verhalten als Arbeitgeber umrissen sowie fünf Grundsätze für wirtschaftliche Beziehungen mit totalitären und rassistischen Systemen formuliert wurden. Eine Wirtschaftskreisen nahestehende Interpretation machte jedoch deutlich, dass von Fall zu Fall zwischen ethischen Postulaten und wirtschaftlichen Interessen zu entscheiden sei [27].
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C.M.
 
[21] BaZ, 22, 26.1.80; 46, 23.2.80; LNN, 21, 26.1.80; NZZ, 25, 31.1.80; 33, 9.2.80; (sda), 48.27.2.80; TW, 30, 13.2.80; TA, 41, 19.2.80; 24 Heures, 42, 20.2.80; 44, 22.2.80; Vat., 43, 21.2.80; Bund, 45, 23.2.80; JdG, 48. 27.2.80; SPJ, 1979, S. 162. Vgl. auch U. Cavelti, «Vor der Volksabstimmung über die Trennung von Kirche und Staat ». in Civitas, 35/1979-80, S. 177 ff ; L. Rumpf, «Vers une votation sur la séparation de l’Eglise et de l' Etat », in Les Cahier protestants, 1980, 1, S. 21 ff.
[22] BBl, 1980, II, S. 204 ff.; Presse vom 3.3.80; Vox, Analysen eidgenössischer Abstimmungen, 2.3.80; auch Vat., 69, 22.3.80; LNN, 105, 6.5.80; Bund, 109, 10.5.80; NZZ, 111, 14.5.80.
[23] NZZ (sda), 62. 14.3.80 ; Vat., 62, 14.3.80 ; BaZ, 67, 19.3.80 ; 77, 31.3.80 ; Vr, 61, 27.3.80 ; TA, 74, 28.3.80. «Hofer-Klub»: Populäre Bezeichnung für «Schweizerische Fernseh- und Radio-Vereinigung», vgl. SPJ, 1974, 5.149.
[24] TA, 90, 18.4.80; Bund, 92, 21.4.80; Vat., 102, 2.5.80.
[25] TA, 87, 15.4.80; TLM, 106, 15.4.80; 269, 25.9.80; 270, 26.9.80; BaZ, 89, 16.4.80; Bund (sda), 169, 22.7.80; 226, 26.9.80.
[26] BaZ, 103. 3.5.80; 282, 1.12.80; LNN, 246, 22.10.80; TA, 250, 27.10.80; E. Wildbolz. «Rückzug auf Bastionen? Das Verdikt gegen Hans Küng und die Ökumene», in Reformatio, 29/1980. S. 69 ff. — Als schweizerisches Novum schuf die Katholische Kirchgemeinde Luzern eine Beratungsstelle für die Jugendsekten-Problematik; vgl. LNN, 198, 27.8.80; Vat., 198, 27.8.80; BaZ, 211, 9.9.80. Zu den Jugendreligionen vgl. auch R. Krieger, «'Neue Jugendreligionen' — Gefahr und Zeitzeichen», in Civitas, 35/1979-80, S. 231 f.
[27] Lib., 59, 10.12.80; NZZ, 292, 15.12.80; H. Ruh, «Kommentar zu den 'Leitlinien'», in Gewerkschaftliche Rundschau, 73/1981, S. 4 ff. Vgl. SPJ, 1978, S. 147.