Année politique Suisse 1980 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
Medienpolitik
Die Notwendigkeit einer umfassenden Medienordnung wird kaum bestritten. Dies umso mehr, als interessierte Kreise die neuen technischen Möglichkeiten (z.B. grenzüberschreitendes Satellitenfernsehen) umgehend kommerziell ausbeuten und entsprechende Ordnungsbemühungen des Staates mit Faits accomplis unterlaufen möchten. Selbst bei den Parteien scheint ein langsames medienpolitisches Erwachen in Gang zu kommen, wobei aber nur die SP über ein ausformuliertes Medienkonzept verfügt. Dieses wurde allerdings am Parteitag von Ende November nicht behandelt; die Delegierten beschlossen hingegen, ein Aktionsprogramm auszuarbeiten
[1].
Die 1979 eingesetzte
Kommission für eine
Medien-Gesamtkonzeption unter der Leitung von Hans W. Kopp, die fortlaufend neue Medienprobleme zugeschoben erhält, widmete sich der vertieften Behandlung der sich stellenden Fragen und formulierte erste Vorschläge
[2]. Die Mitte 1981 auslaufende Kabelrundfunkverordnung soll durch eine auf zwei bis drei Jahre befristete Übergangsordnung abgelöst werden. Diese sieht Versuche für lokales und regionales Radio und Fernsehen vor, die neu mit Werbung finanziert würden. Konzessionen für Satellitenfernsehen sowie für nationale und sprachregionale Radio- und TV-Versuche sollten erst nach verbindlicher Klärung der Verfassungsgrundlagen für Radio und Fernsehen erteilt werden. Offenbar unter dem Eindruck der Kritik an diesen Vorschlägen, die insbesondere auf die Gefährdung der Regionalpresse hinwies, beschloss jedoch die Expertenkommission Kopp, den Entscheid über Zulassung der Werbung noch einmal zu überdenken
[3]. Gewerkschaftliche Stimmen verlangten, dass bisherige und neue elektronische Medien nicht kommerzialisiert werden dürften und dass sie unabhängig von Werbung und Wirtschaft zu organisieren seien. Private Interessen müssten den Bedürfnissen einer demokratischen Gesellschaft untergeordnet werden. Kopp bestätigte, dass der Trend gegenwärtig umgekehrt laufe, wobei er aber nicht glaube, dass der wirtschaftliche Druck auf die Kommissionsarbeit bereits so gross sei, dass man nicht mehr frei entscheiden könne
[4].
Die Berichterstattung der Medien über die Zürcher Jugendunruhen wurde von den Behörden und einigen Parteien heftig kritisiert. Insbesondere der Zürcher Stadtrat warf den Medien übertriebene Berichterstattung vor, die die Krawalle angeheizt habe. Das wiederholte Eingehen auf Hintergründe und Motive des Jugendprotestes habe der Bewegung Publizität verschafft. An einem Aktionstag in Zürich wandten sich Angestellte von Radio, TV und Zeitungen gegen den Versuch, Medienschaffende als Sündenböcke für gesellschaftliche Missstände verantwortlich zu machen
[5].
Die Kommission Kopp befasste sich auch mit Problemen der Information und schlug zuhanden des Bundesrats ein Gesetz vor, das jedermann zum Einholen von Auskünften über die Tätigkeit der Bundesverwaltung berechtigt. Dieses Recht auf Information soll nur bei wirklich geheimem Charakter der Akten eingeschränkt werden
[6]. Die Kommission traf sich dabei mit andern Stimmen, die eine umfassende
Informationspflicht für Regierung, Parlament und Verwaltung forderten und die weitverbreitete Geheimhaltung, insbesondere von parlamentarischen Kommissionssitzungen, kritisierten. Das Büro des Nationalrates hatte zu Jahresbeginn festgestellt, das Wächteramt der Presse dürfe erst wirksam werden, wenn nach Abschluss einer Kommissionstätigkeit Anhaltspunkte für eine Vertuschung vorliegen würden
[7]. Diese Situation provozierte verschiedentlich Indiskretionen, wobei vor allem die vorzeitige Veröffentlichung eines noch als vertraulich bezeichneten Kommissionsberichts zur Spionageaffäre Bachmann/Schilling einen eigentlichen Eklat auslöste. Die parlamentarische Immunität des freisinnigen Nationalrats Georg Nef, der den Bericht dem Journalisten einer Boulevard-Zeitung ausgehändigt hatte, wurde jedoch nicht aufgehoben
[8]. In einem Indiskretionsfall aus dem Vorjahr (SRG-Papier der Geschäftsprüfungskommission) wurde der verantwortliche Journalist, der seine Bezugsquelle nicht angeben wollte, zu einer Busse und zur Zahlung der Gerichtskosten verurteilt
[9]. Die Praxis, bei Indiskretionen mit Mitteln des Strafrechts gegen Journalisten zu fahnden und die Suche nach ihren Urhebern in Verwaltung und Kommissionen weniger nachhaltig zu führen oder gar zu unterlassen, bewog unter anderem Ständerat Binder (cvp, AG) zur Einreichung einer Motion, in der eine Überprüfung der Geheimhaltungsvorschriften, ein Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten und ein Gegendarstellungsrecht zur Sicherung des Persönlichkeitsschutzes gefordert werden. Ein Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten in Presse, Radio und Fernsehen verlangt ausserdem eine parlamentarische Initiative von Nationalrat Bäumlin (sp, BE)
[10].
[1] Parteien allgemein: LNN, 217, 18.9.80. SP: BaZ, 219, 18.9.80; 282, 1.12.80; Vr, 183. 18.9.80; TW, 282, 1.12.80; Vat., 279, 1.12.80. Liberale Partei: JdG, 98, 28.4.80; BaZ, 99, 28.4.80. Vgl. auch Presse, radio et télévision dans notre démocratie. Résumé des rapports présentés au Congrès du Parti libéral suisse à La Chaux-de-Fonds le 24 avril 1980.
[2] NZZ (sda), 44, 22.2.80; (sda), 66, 19.3.80; (sda), 90, 18.4.80; (sda), 130, 7.6.80; (sda), 150, 1.7.80; (sda), 216, 17.9.80 ; (sda), 271, 20.11.80; Bund (ddp), 67, 20.3.80; TA, 74.28.3.80; vgl. SPJ, 1979, S. 163 f. Dazu auch H.W. Kopp, « Die Schweiz auf dem Weg zu einer Medien-Gesamtkonzeption», in Presserecht und Pressefreiheit. Festschrift für Martin Löffler, München 1980, S. 151 ff. J.P. Müller, «Grundrechtliche Aspekte der Mediengesamtkonzeption», in Zeitschrift für Schweiz. Recht, NF, 99/1980, I, S. 31 ff.
[3] Vorschläge: Presse vom 18.10.80 ;NZZ (sda), 269, 18.11.80 ; BaZ (sda/ddp). 272, 19.11.80. Kritik: Presse vom 18.10.80; NZZ (ddp), 246, 22.10.80; 269, 18.11.80; BaZ, 249, 23.10.80; Vat. (ddp), 247, 23.10.80.
[4] Gewerkschafter: NZZ (sda), 70, 24.3.80; SGT, 108, 9.5.80. Kopp: TA, 70, 24.3.80.
[5] Kritik an Medien: BaZ, 155, 5.7.80; TW, 163, 15.7.80; TA, 165, 18.7.80; Vr, 160, 18.8.80. Aktionstag: Vr, 152, 6.8.80; 155, 11.8.80; BaZ, 186, 11.8.80; NZZ, 184, 11.8.80.
[6] Presse vom 18.10.80; TW, 265, 11.11.80. Information allgemein: B. Lempen, Information et pouvoir. Essai sur le sens de l'information et son enjeu politique. Lausanne 1980. Vgl. auch Postulat Crevoisier (psa. BE) betreffend Information der Kantone und Gemeinden über UNESCO und Europarat (überwiesen): Amtl. Bull. NR, 1980, S. 1687.
[7] Vat. (ddp), 129. 6.6.80; Bund, 134, 11.6.80; Ww, 39, 24.9.80; BaZ, 259, 4.11.80 (als Beispiel: Nach zweitägigen Kommissionsberatungen zur revidierten Arbeitslosenversicherung wird nur das nächste Sitzungsdatum und nichts zur Sache bekannt gegeben).
[8] BaZ, 130, 6.6.80; 226, 26.9.80; Vat. (sda), 129, 6.6.80; NZZ (sda). 132, 10.6.80; vgl. auch oben. Teil I, 1c (Parlament) und 3 (Organisationsfragen).
[9] Vr, 22, 1.2.80 ; NZZ (sda), 187, 14.8.80 ; (sda), 195, 23.8.80 ; (sda), 248, 24.10.80 ; Vat. (sda), 297. 23.12.80 ; vgl. SPJ, 1979, S. 164.
[10] Strafpraxis: NZZ, 223, 25.9.80; (sda), 302, 29.12.80. Motion Binder (cvp, AG): Verhandl. B.vers., 1980, IV, S. 77 f.; NZZ, 235, 9.10.80; TLM, 283, 9.10.80; BaZ, 238, 10.10.80; LNN, 243, 18.10.80. Parlamentarische Initiative Bäumlin (sp, BE): Verhandl. B.vers.. 1980, IV, S. 18; LNN, 55, 6.3.80; TW, 73, 27.3.80.
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