Année politique Suisse 1980 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
 
Presse
Auch die Presse [11] bekam die Verschärfung des medienpolitischen Klimas zu spüren. Insbesondere jene Stimmen, die die Pressefreiheit durch überhandnehmenden Einfluss der Wirtschaft gefährdet sehen, fühlten sich des öftern bestätigt. So wurde am Gratisanzeiger «Winterthurer Woche» zwei Redaktoren gekündigt, weil ihre politische Linie für das auf Inserateneinnahmen angewiesene Blatt offenbar nicht richtig lag; der Denner-Konzern verhängte eine Inseratensperre gegenüber Publikationen der Jean Frey AG wegen angeblich kreditschädigenden Artikeln; das Warenhaus Globus reduzierte sein Inseratenvolumen im «Tages-Anzeiger» um die Hälfte, weil dessen Berichterstattung über die Jugendunruhen nicht genehm war, und aus denselben Gründen rief ein anonymer Artikel in der «Schweizerischen Arbeitgeber-Zeitung» ziemlich unverhüllt zum Inseratenboykott gegen das grosse Zürcher Blatt auf. Verschiedene Kritiker glaubten später einen redaktionellen Kurswechsel des «Tages-Anzeigers» beobachten zu können [12].
Im Zentrum der pressepolitischen Diskussionen standen jedoch zwei Vorfälle, bei denen es um die Redaktionsleitung bekannter Zeitungen ging. Der erste Ersatzmann auf der freisinnigen Stadtzürcher Nationalratsliste, Ernst Cincera, behauptete im rechtslastigen Aargauer Monatsblatt «Abendland» die Unterwanderung der bürgerlichen Presse durch linkslastige Journalisten, was er am Beispiel der «Thurgauer Zeitung» zu zeigen versuchte; diese wies die Vorwürfe jedoch vorerst zurück. Die grossen bürgerlichen Blätter wandten sich vehement gegen Cinceras Unterstellungen, die selbst der freisinnige Pressedienst als «absolut absurd» bezeichnete. Kurz nachdem Cincera seine Attacke wiederholte hatte, wurde der ebenfalls freisinnige Chefredaktor der «Thurgauer Zeitung», Daniel Witzig, der dieses Blatt im Sinne einer echten Meinungsvielfalt geöffnet hatte, entlassen. Der Verlag bestritt einen Zusammenhang mit Cincera, Witzig sah sich aber als dessen Opfer [13]. Ebenso wurde das Mitarbeiterverhältnis mit mehreren freien Korrespondenten aufgelöst. Fast gleichzeitig wurde Jürg Tobler vom Ringier-Verlag als Chefredaktor der «Luzerner Neusten Nachrichten» (LNN) abgesetzt. Tobler hatte aus der LNN eine redaktionell aufwendige und hohen Qualitätsansprüchen verpflichtete Zeitung gemacht. Er widersetzte sich der von der Konzernleitung beschlossenen Konzeptänderung, die einen Ausbau des Regionalteils und eine «lesernahe» Gestaltung anstrebt. Die Redaktoren wandten sich gegen die befürchtete Boulevardisierung des Blattes und planten auf der Welle einer breiten Solidarisierung in der Innerschweiz die Herausgabe einer «Neuen Zeitung». Dieses Vorhaben musste jedoch trotz beachtlichen Abonnementsbestellungen wieder aufgegeben werden, weil das Inseratenvolumen nicht gesichert war [14]. Die auf höhere Profiterwartungen des Ringier-Verlags ausgerichtete Konzeptänderung der LNN, die nur mit der Entlassung des Chefredaktors möglich wurde, machte für viele deutlich, dass nicht nur die klassische Pressefreiheit dem Staate gegenüber, sondern auch die innere Pressefreiheit eines Schutzes bedarf [15]. Einer staatlichen Presseförderung wird allerdings eher mit Skepsis begegnet, wie die recht geteilte Aufnahme des Berichts über den von einer Nationalratskommission verabschiedeten Presseförderungsartikel zeigte. Über dessen Schicksal soll nach Vorschlag des Medienrechtlers Kopp erst nach Vorliegen der Medien-Gesamtkonzeption entschieden werden [16].
 
[11] Publikationen zu verschiedenen Aspekten der Presse: K. Nuspliger, Pressefreiheit und Pressevielfalt, Diessenhofen 1980; U. Haldimann, Der verkaufte Leser. Presse unter Inserentendruck, Basel 1980; K. Appert, Presse und Partei, Schwyz 1980 ; E. Bollinger, « 1980: inquiétudes pour la presse romande », in Alliance culturelle romande. Le Cap de 1980 – et nous, Chêne-Bourg 1980; D. Züst, Pressefreiheit in Schule und Hochschule unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse im Kanton Bern, Diss. Zürich 1980.
[12] «Winterthurer Woche»: Vr, 34, 19.2.80. Jean Frey AG: TA, 266, 14, 11.80; 267, 15.11.80. «Tages-Anzeiger», Inserentenboykott: SAZ, 31/32, 31.7.80; BaZ, 179, 2.8.80; TW, 179, 2.8.80; 183, 7.8.80; NZZ, 179, 5.8.80; redaktioneller Kurs: Das Konzept, Nr. 9, Sept. 1980; Vr, 176, 9.9.80; TW, 233, 4.10.80; BaZ, 233, 4.10.80. Zur TA-Berichterstattung über die Jugendunruhen vgl. auch « Der «anwaltschaftliche Journalismus» als Desinformation», in IPZ-Information, Nr 7/8, Aug. 1980, und die Replik dazu im TA, 211, 11.9.80. Als erste Zeitung führte der «Tages-Anzeiger» ein Gegendarstellungsrecht ein, vgl. TA, 215, 16.9.80.
[13] Presse vom 4.9.80; Ww, 37, 10.9.80; TA, 248, 24.10.80; Presse vom 31.10.80, 1.11.80 und 3.1 1.80; BaZ, 259, 4.11.80.
[14] Vat., 19, 24.1.80; (sda), 33, 9.2.80; 250, 27.10.80; 260, 8.11.80; 279, 1.12.80; TA, 33, 9.2.80; 249, 25.10.80; 253, 30.10.80; 266, 14.11.80; 273, 22.11.80; 280, 1.12.80; Presse vom 24.10.80; BaZ (sda), 252, 27.10.80; 255, 30.10.80; 262, 7.11.80; 268, 14.11.80; 275, 22.11.80; 282, 1.12.80; Presse vom 31.10.80; Das Konzept. Nr. 11, Nov. 1980; NZZ, 255, 1.11.80; 266, 14.11.80.
[15] Zur Pressefreiheit vgl. auch die von NR A. Müller-Marzohl (cvp, LU) eingereichte Motion betreffend Ausarbeitung von presse- und kartellrechtlichen Vorschriften zur besseren Garantierung der innern und äussern Pressefreiheit: Verhandl. B.vers., 1980, IV, S. 63; NZZ (sda), 282, 3.12.80.
[16] BBl, 1980, II, S. 189 ff.; BaZ, 49, 26.2.80; JdG, 48, 27.2.80 ; NZZ, 54, 5.3.80 ; TA, 74, 28.3.80 ; Presse vom 3.5.80; Vat. (sda), 116, 20.5.80; vgl. SPJ, 1979, S. 165.