Année politique Suisse 1981 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
Parteiensystem
Neben der politischen Polarisierung im Parteienspektrum vollzieht sich seit 1979 mehr und mehr eine Verlagerung des Gewichts zu den bürgerlichen Parteien. In vielen aktuellen politischen Fragen ist die Linke in die Defensive geraten und sieht sich in der Rolle des Verteidigers des Bestehenden, so in bezug auf die Staatstätigkeit und die Bundesstaatskompetenzen. Offensive Vorschläge, wie aus der durch den wirtschaftlichen Einbruch Mitte der 70er Jahre ausgelösten Krise des keynesianischen Politikmodells herauszukommen sei, sind von den linken Parteien noch nicht in überzeugender Form entwickelt worden. So blieb das Programm der Selbstverwaltung auf einer für die praktische Politik nicht fruchtbaren philosophischen Ebene. Auf der anderen Seite gelang es den bürgerlichen Kräften, insbesondere den Freisinnigen und im Welschland den Liberalen, durch neoliberale Problemlösungsvorschläge einen Teil des veränderungswilligen Potentials auf ihre Seite zu ziehen
[1].
Der Föderalismus, die halbdirekte Demokratie und der Regierungsproporz haben nach Meinung des Politikwissenschafters L. Neidhart zur Folge, dass Wahlversprechungen nur begrenzt wahr gemacht werden können und die schweizerischen Parteien daher an einer gewissen naturbedingten Profilneurose kranken. So arbeiteten bereits die meisten Parteien im Hinblick auf die Nationalratswahlen vom Herbst 1983 an Programmpapieren, die zu einem klaren, den veränderten Bedingungen entsprechenden Profil verhelfen sollen
[2]. Es ist aber auch die erschütterte Stellung der Parteien im politischen System, die sie nach einer neuen Standortbestimmung ringen lässt. Die weiterhin sinkende Partizipation der Stimmbürger, die Bürgerinitiativen sowie die radikale Ablehnung des Parlamentarismus und herkömmlicher Politikformen durch die Jugendbewegung warfen die Frage auf, ob die Parteien ihrer Vermittlerrolle zwischen Staat und Gesellschaft noch gerecht werden. Wie H.P. Fagagnini, Generalsekretär der CVP, feststellte, haben sie sich immer mehr von der Gesellschaft weg bewegt und zunehmend gouvernementale und verwaltende Funktionen wahrgenommen. Dafür haben neue politische Kräfte wie etwa die Ökologiebewegung Probleme aufgegriffen, die weite Teile der Bevölkerung beschäftigen, aber von den Parteien wegen mangelnder Sensibilität zuwenig beachtet worden sind
[3].
Als Folge dieser Entwicklung wurde verschiedentlich versucht, den Parteien ihre Vorzugsstellung mittels Gesetzgebung und öffentlicher Finanzierung zu sichern. Der Basler Verfassungsrechtler G. Schmid schlug vor, ihre subtile Zwischenstellung zwischen der Vertretung von Volksinteressen und der Erfüllung von öffentlichen Aufgaben durch die Verfassung zu garantieren. Ebenso befürwortet er eine behutsame Finanzierung und gléichzeitig eine gewisse Kontrolle der Parteien durch den Staat
[4].
Wenn tendenziell gewisse Aufgaben der Parteien an flexiblere Organisationen überzugehen drohen, so stellt die Gründung der ersten schweizerischen Frauenpartei «Stimme der Frau» (PSF) ein gegenläufiges Ereignis dar. Diese will in den Parlamenten feministische Interessen vertreten. Die Mitgliedschaft in der PSF schliesst eine weitere parteipolitische Organisierung aus, hingegen ist ein zusätzliches Engagement in einer Organisation der Frauenbewegung erwünscht. Bisher ist die neugegründete Formation aber auf der politischen Bühne kaum in Erscheinung getreten
[5].
Das
Verhältnis unter den Bundesratsparteien hat sich kaum verbessert. Die Partei- und Fraktionsspitzen der vier «Grossen» taten bei ihren traditionellen vierteljährlichen Treffen im Vorfeld der Parlamentssessionen ihren Willen kund, bei der Verlängerung und Anpassung der Bundesfinanzordnung ab 1983 einen breiten Konsens anzustreben. Im Herbst unterstützte auch die SP die Bundesfinanzvorlage. Auf der anderen Seite stellte der rechtsfreisinnige Nationalrat O. Fischer die seit 1959 praktizierte Regierungskoalition :in Frage und rief die bürgerlichen Parteien auf, mit der «halbsozialistischen» Politik und der SP zu brechen
[6].
[1] Die Bezeichnung «Reagan-Effekt» für die liberalen Erfolge im Welschland verweist auch auf den Zusammenhang mit der veränderten weltpolitischen Situation. Vgl. LNN, 261, 10.11.81; NZZ, 266, 16.11.81.
[2] Vgl. BaZ, 248, 23.10.81.
[3] Vgl. Vat., 49, 28.2.81.
[4] G. Schmid, Politische Parteien, Verfassung und Gesetz, Basel 1981. Der sozialdemokratische Parteipräsident Hubacher forderte in einer parlamentarischen Initiative eine finanzielle Unterstützung der in den eidgenössischen Räten vertretenen Parteien (Verhandl. B.vers., 1981, III, S. 17; BaZ, 139, 18.6.81).
[5] BaZ, 154, 6.7.81; Suisse, 188, 7.7.81.
[6] NZZ, 42, 20.2.81; 116, 21.5.81. Bundesfinanzordnung: vgl. oben, Teil I, 5 (Régime financier). O. Fischer: 24 Heures, 35, 12.2.81.
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