Année politique Suisse 1981 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Sozialdemokratischen Partei
In der Sozialdemokratischen Partei wirkten die internen Auseinandersetzungen oft lähmend, und die divergierenden programmatischen Ansichten verhinderten weitgehend ein profiliertes Auftreten. Bereits im Vorjahr hatte sich in Basel eine «Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokraten und Gewerkschafter» gebildet, und in Zürich hatte eine rechtsoppositionelle «Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft» hauptsächlich das jugendpolitische Engagement der Stadtpartei kritisiert. Ausserdem schwelten in Solothurn, in Genf und im Tessin Konflikte zwischen rechtem und linkem Parteiflügel [7]. Auf der linken Seite formierte sich der Groupe d'Yverdon immer mehr zur Partei in der Partei. Auf Grund eines vertraulichen Briefes sozialdemokratischer Parlamentarier befasste sich die Geschäftsleitung in einer Klausurtagung mit den internen Spannungen und liess verlautbaren, dass die Meinungsbildung innerhalb der statutarischen Organe zu erfolgen habe und dass innerhalb der Partei Vereinigungen mit eigenen Beiträgen und Organen nicht geduldet würden [8].
In linker Opposition zur Mutterpartei befanden sich auch die Jungsozialisten. An ihrer Generalversammlung forderten sie in einer Resolution einstimmig die Legalisierung von Haschisch und Marihuana sowie eine Amnestie für Jugendliche, die im Zusammenhang mit den Krawallen verhaftet worden waren. Der Vorstand wurde beauftragt, eine Initiative für die Abschaffung der Armee vorzubereiten, worauf der Präsident der Mutterpartei sich genötigt sah, seinerseits mit einer klaren Stellungnahme für die Armee an die Öffentlichkeit zu treten [9].
Der aus der linken Intelligenz stammende Programmentwurf förderte in der Vernehmlassung die grundsätzlichen Differenzen zwischen den Parteiflügeln zutage. Die SP-Fraktion der Bundesversammlung stand ihm «fast einhellig sehr kritisch» gegenüber. Der SPS-Parteivorstand entschied an einer Klausurtagung mit 46:7 Stimmen, den Entwurf abzulehnen und am Programmparteitag die Diskussion aufgrund von neuen «10 Leitlinien» durchzuführen. Diese sollten ein Integrationspapier zwischen dem Programmentwurf und den Vemehmlassungsergebnissen darstellen [10].
Am Parteitag im Oktober vermochten Parteipräsident Hubacher und Bundesrat Ritschard einem Kompromiss den Weg zu ebnen. Eine neue Programmrevisionskommission wurde eingesetzt, die ein integrierendes Kurzprogramm ausarbeiten soll, das man am Parteitag von 1982 verabschieden will. Am grundsätzlichen Konzept der Selbstverwaltung hielt man fest. Der Begriff scheint in zunehmendem Masse eine Integrationskraft zu entfalten. Der gewerkschaftliche Flügel nahm ihn auf, indem er ihn in die reformistische Tradition der Produktionsgenossenschaften stellte. Trotzdem kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung: eine zuvor publizierte Äusserung des neuen Fraktionspräsidenten F. Morel, man solle die Partei von linken Exponenten säubern, erregte scharfen Protest und wurde mit der symbolischen Überreichung eines Besens quittiert [11].
Die von linken Kreisen immer wieder angefachte Diskussion über die Regierungsbeteiligung der SP fand ein vorläufiges Ende durch eine Umfrage in den Sektionen. Lediglich 8 von 345 antwortenden Basisorganisationen (insgesamt bestehen rund 1000 Sektionen) sprachen sich grundsätzlich gegen eine Regierungsbeteiligung aus; zahlreiche Sektionen knüpften aber Bedingungen an eine Übernahme von Regierungsverantwortung [12]. Der Parteipräsident Hubacher kritisierte öffentlich Bundesrat Aubert, da er den Wählerauftrag zuwenig beachte. Dem Vorsteher des Departementes für äussere Angelegenheiten lagen jedoch Rücktrittsabsichten fern, und die Fraktion beschloss einmütig seine Nominierung für das Amt des Vizepräsidenten der Landesregierung für 1982 [13].
Die Vereinigung der sozialdemokratischen Frauen trat im Sommer aus dem Bund der schweizerischen Frauenorganisationen aus und begründete dies damit, dass sich dieser zunehmend auf bürgerlichem Kurs bewege und sich zuwenig für die Gleichberechtigung der Frauen eingesetzt habe. Sie wählte Y. Jaggi zur neuen Präsidentin anstelle der zurückgetretenen R. Gassmann. An der Herbstkonferenz diskutierten die Sozialdemokratinnen über eine Reform ihrer Organisation. Die bisherigen Strukturen werden vorläufig beibehalten; es wurden aber feministische Vollversammlungen innerhalb der SP, eine ferninistische SPS-Fachkommission und ein explizites Minderheitsantragsrecht der Feministinnen auf allen Ebenen gefordert [14].
 
[7] Vgl. SPJ, 1980, S. 193; Vat., 19, 24.1.81; BaZ, 26, 31.1.81 (Interview mit H. Hubacher) ; Bund, 58, 11.3.81; Woche, 6, 16.10.81. In Basel trat der Polizeidirektor Schnyder aus der SP aus (BaZ, 119, 23.5.81; SGT, 120, 25.5.81).
[8] TA, 27, 3.2.81; Vr, 25, 5.2.81; BaZ, 44, 21.2.81 (Interview mit G. Peters vom Groupe d'Yverdon); NZZ, 43, 21.2.81; 44, 23.2.81; TW, 44, 23.2.81.
[9] TA, 74, 30.3.81; 77, 2.4.81; BaZ, 76, 31.3.81; Sonntags-Blick, 5.4.81 (Interview mit dem wiedergewählten Juso-Präsidenten A. Gross); NZZ, 80, 6.4.81 (Hubacher); TW, 106, 8.5.81 (Replik der Jusos).
[10] Vgl. SPJ, 1980, S. 193 f.; TA, 82, 8.4.81; NZZ, 138, 18.6.81; 220, 23.9.81; Suisse, 269, 26.9.81; TW, 225, 26.9.81; BaZ, 242, 16.10.81 (Interview mit dem Programmentwurfmitgestalter und Selbstverwaltungs-Philosophen Künzli).
[11] Aktionsgemeinschaft Sozialdemokraten und Gewerkschaften, Informations-Bulletin, 1, 16.1.81; 2, 1.7.81; 3, 15.9.81; 4, 31.12.81 (Diskussion des Programmentwurfs in rechtsoppositionellen Kreisen). Programmparteitag: Presse vom 19.10.81; Vr, 205, 23.10.81 (Referate von O. F. Walter und B. Kappeler zur Selbstverwaltung, gehalten am Parteitag); ferner Ww, 24, 10.6.81 (Porträt von F. Morel) und L'Hebdo, 6, 16.10.81 (Morel über die Zürcher Linke).
[12] TA, 208, 9.9.81.
[13] Blick, 89, 16.4.81; NZZ, 214, 16.9.81; Suisse, 266, 23.9.81. Vgl. oben, Teil I, 1c (Regierung).
[14] TW, 148, 29.6.81; Ww, 28, 8.7.81 (Porträt Y. Jaggi); BaZ, 219, 19.9.81; 220, 21.9.81.