Année politique Suisse 1981 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
 
Regierung
Als Ursachen der bereits vorgenommenen und noch geplanten Anpassungen seines Regierungsprogramm nannte der Bundesrat in seinem Bericht vor allem Währungsschwankungen, Teuerung, wirtschaftlichen Strukturwandel und andauernde Bundesdefizite, ausserdem die Einreichung neuer Volksinitiativen sowie die teils initiative, teils hinhaltende Aktivität des Parlaments. Er unterliess auch nicht einen Hinweis auf die hemmende Wirkung der Stellenplafonierung in der Bundesverwaltung. Immerhin betonte er, dass rund die Hälfte der 1980 angekündigten Vorhaben dem Parlament zugeleitet worden seien. Einen Teil der übrigen gedachte er zu verschieben oder zu reduzieren ; dafür wurden neue Projekte ins Programm aufgenommen, so dass dessen Umfang praktisch unverändert bleiben sollte [1].
Gegen diesen immer noch beträchtlichen Umfang des Restprogramms wandte sich verbreitete Kritik, insbesondere aus bürgerlichen Kreisen. Dem Bundesrat wurde Befangenheit in departementalem Denken vorgeworfen, die ihn an einer Gesamtschau und an der Konzentration auf Schwerpunkte hindere; auch fehle eine enge Verknüpfung mit dem Finanzplan. Als lastende Brocken wurden vor allem der UNO-Beitritt und die Totalrevision der Bundesverfassung empfunden [2]. Die Ratschläge aus den einzelnen Parteien fielen freilich sehr unterschiedlich aus. Ein Versuch der Bundesratsparteien, zu einer gemeinsamen Prioritätenordnung für den Rest der Legislaturperiode zu gelangen, missglückte [3], und auch die Parlamentskommissionen, die den Bericht vorzuberaten hatten, sahen davon ab, die Debatten durch überparteiliche Motionen zu aktivieren. Dafür machten im Nationalrat einzelne Fraktionen von diesem Instrument Gebrauch, und zwar nicht nur oppositionelle wie bei der Behandlung der Richtlinien im Vorjahr, sondern auch diejenige der SVP; sie verlangte — nicht zuletzt aus finanziellen Gründen — eine Konzentration auf die Bereiche Bundeshaushalt, Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen, Gewährleistung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft sowie äussere und innere Sicherheit des Landes. Die anderen bürgerlichen Fraktionen hegten angesichts der grundsätzlichen Unverbindlichkeit der Richtlinien zu grosse Zweifel am Wert der neuen parlamentarischen Kompetenz, um sich ihrer zu bedienen. Die laut gewordene Kritik forderte immerhin Bundespräsident Furgler dazu heraus, den Führungswillen der Landesregierung zu betonen; die grosse Kammer gab ihrerseits keinem der zum Zwischenbericht eingereichten Vorstösse ihre Zustimmung [4]. Im Ständerat wurde die Auseinandersetzung grundsätzlicher geführt. Der Aargauer Binder (cvp) beanspruchte unter Hinweis auf die neue Verfassung seines Kantons wie auch auf den Expertenentwurf zur Totalrevision der Bundesverfassung ein parlamentarisches Mitentscheidungsrecht für die politische Planung. Furgler, zur Zeit der Mirage-Krise ein Vorkämpfer der Parlamentsrechte, verwies ihn auf die traditionellen Interventionsmöglichkeiten. Im übrigen gab er die Zusage, dass das angekündigte Programm nicht vollumfänglich durchgeführt werden solle [5].
Aus dem Verlauf der Debatten über den Zwischenbericht wurden unterschiedliche Konsequenzen gezogen. SVP-Nationalrat Blocher (ZH) beantragte in einer aus allen bürgerlichen Regierungsfraktionen unterstützten Motion die Abschaffung des Zwischenberichts. Ständerat Binder dagegen verlangte für das Parlament die gesetzliche, wenn nötig sogar verfassungsmässige Befugnis, über Richtlinien und Finanzplan beschliessen zu können [6].
Nicht nur auf die Regierungsplanung versuchte man vom Parlament her — in reduzierendem Sinne — einzuwirken, sondern auch auf die Verwaltungstätigkeit. Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats unternahm es, die Personalbeschränkung zur Dauerinstitution auszubauen, um unmittelbar die Verwaltung zu grösserer Wirtschaftlichkeit zu veranlassen, darüber hinaus aber zugleich die planende Aktivität des Staates zu zügeln. Der sogenannte Personalstopp war 1974 als Sparmassnahme eingeführt und für fünf Jahre gesetzlich verankert worden. Seither wird er durch die Budgetbeschlüsse des Parlaments fortgesetzt. Wie aus den Erhebungen einer Arbeitsgruppe hervorgeht, hat diese Stellenplafonierung zwar die Entwicklung des Bundespersonalbestandes seit 1974 wirksam gebremst, doch ist es der Verwaltung da und dort gelungen, die Begrenzung zu umgehen. Deshalb erstrebt die Geschäftsprüfungskommission der grossen Kammer mit einer parlamentarischen Initiative eine Erneuerung und Verschärfung des Erlasses von 1974: künftig soll jede Erhöhung des Gesamtplafonds vom Bundesrat begründet und von besonderen Delegationen der eidgenössischen Räte begutachtet werden [7].
In seiner Stellungnahme zu dieser Initiative betonte der Bundesrat, dass die andauernde Zunahme der Verwaltungsaufgaben zu einem guten Teil dem Parlament anzulasten sei. Die von der Kommission gerügten Umgehungen erklärte er mit der Überbeanspruchung des Personals. Entschieden wandte er sich gegen eine Einflussnahme des Parlaments auf die Regierungsplanung mit Hilfe der Personalbeschränkung. Er stimmte grundsätzlich einer neuen gesetzlichen Verankerung der Stellenplafonierung zu, verlangte aber dass Bestandeserhöhungen weiterhin im Rahmen der Budgetbeschlüsse bewilligt werden könnten. Die Personalgewerkschaften lehnten die Initiative rundweg ab; der Föderativverband kritisierte zudem das Entgegenkommen des Bundesrates [8].
Wenn auch die Regierung in den erwähnten Fällen ihre Position gegenüber dem Parlament zu behaupten gedachte, so musste sie sich doch verschiedentlich Führungsschwäche vorhalten lassen. Man übte Kritik am Aufschub wichtiger Entscheide, insbesondere in der Energie- und Medienpolitik, und klagte über eine allzu vage Information, die den Eindruck des ständigen Aufschiebens der Probleme noch verstärke und zu Spekulationen Anreiz gebe. Der scheidende Bundeskanzler Huber wies seinerseits auf Gefahren für das Kollegialsystem hin, die in einer zunehmenden Personifizierung der Politik sowie in der wachsenden Beanspruchung der Bundesräte durch die Departementsleitung oder durch internationale Verpflichtungen lägen [9].
Ausser Kurt Furgler, der sein Präsidialjahr mit Glanz auszufüllen strebte, und Willi Ritschard, der sich in der Öffentlichkeit für die Verlängerung der Finanzordnung engagierte, stand besonders Pierre Aubert im Rampenlicht. Diesmal waren es Spannungen zu seiner eigenen Partei, die für Schlagzeilen sorgten. Der Chef des EDA schien der SPS kein genügend wirksamer Vertreter im Regierungskollegium zu sein [10]. Da aber turnusgemäss auf 1982 seine Wahl zum Vizepräsidenten des Bundesrates — mit nachfolgendem Bundespräsidium — erfolgen sollte, musste sich die Fraktion entscheiden [11]. Sie tat dies in positivem Sinne, und der Angefochtene erhielt in der Vereinigten Bundesversammlung eine ansehnliche Stimmenzahl [12].
 
[1] BBl, 1981, III, S. 665 ff. Vgl. dazu SPJ, 1979, S. 23.
[2] Presse vom 22.10.81; wf, Kurzkommentare, 43, 26.10.81; NZZ, 253, 31.10.81. Vgl. auch Presse vom 6.11.81 (NR-Kommission) sowie Amtl. Bull. NR, 1981, S. 1468 ff.; Amtl. Bull. StR, 1981, S. 486 ff.; ferner BaZ, 272, 20.11.81.
[3] Einzelne BR-Parteien veröffentlichten Mehr-Punkte-Programme (CVP: NZZ, 242, 19.10.81; SP: SP-Information, 108, 14.12.81; für die SVP vgl. die nachstehend erwähnte Motion im NR). Gemeinsame Prioritätenordnung: NZZ, 258, 6.11.81; Information des SPS-Sekretariats; vgl. auch SPJ, 1980, 5.192.
[4] Amtl. Bull. NR, 1981, S. 1468 ff. Im NR verlangte auch die LdU/EVD-Fraktion in einer Motion die Beschränkung auf bestimmte Schwerpunkte, darunter Konzentration der Landwirtschaftssubventionen und materielle Steuerharmonisierung. Die Liberalen legten eine der SVP-Motion ähnliche Empfehlung vor. Zur Richtlinien-Debatte von 1980 vgl. SPJ, 1980, S. 22. Der NR überwies dagegen eine Motion zum Finanzplan, in der er Vorschläge für die Wiederherstellung des Budgetgleichgewichts bis 1987 verlangte (vgl. unten, Teil I, 4d, Réductions de dépenses).
[5] Amtl. Bull. StR, 1981, S. 486 ff. Zur Mirage-Krise vgl. P. Urio, L'affaire des Mirages. Décision administrative et contrôle parlementaire, Genève 1972, S. 129 ff. Vgl. auch AT, 296, 19.12.81.
[6] Verhandl. B.vers., 1981, IV, S. 39 (Motion Blocher) und 73 (Motion Binder):
[7] Das Bundesgesetz über Massnahmen zur Verbesserung des Bundeshaushaltes von 1974 bestimmte, dass der Personalbestand bis 1977 gar nicht und in den beiden folgenden Jahren durch das Parlament höchstens um je 1/2% erhöht werden dürfe (AS, 1975, S. 65 ff. ; vgl. SPJ, 1974, S. 75). Der für die allgemeine Verwaltung (incl. Gerichte, aber ohne Regiebetriebe) bewilligte Plafond blieb 1975 -1981 unverändert auf 32 775 Stellen. Er wurde offiziell nie ganz erreicht, praktisch aber durch Ausweichmassnahmen überschritten (BBl, 1981, II, S. 689 ff. ; vgl. BaZ, 119, 23.5.81). Initiative: BBl, 1981, II, S. 685 ff.
[8] Bundesrat: BBl, 1981, III, S. 929 ff. Personalverbände zur Initiative: TA, 118, 23.5.81 (Föderativverband); Vat., 148, 30.6.81 (Christliches Verkehrs- und Staatspersonal VGCV); VO, 27, 9.7.81 (VPOD). Personalverbände zur Stellungnahme des BR: TW, 284, 4.12.81 (Föderativverband); Vat., 282, 4.12.81 (VGCV).
[9] Huber: Amtl. Bull. NR, 1981, S. 954; SGT, 150, 1.7.81. Andere Stimmen: BaZ, 121, 26.5.81; 218, 18.9.81; JdG, 154, 6.7.81; 261, 9.11.81; TA, 222, 25.9.81; R. Reich in Schweizer Monatshefte, 61/1981, S. 836 ff. Vgl. dazu unten, Teil I, 6a (Kernenergie) und 8b (Radio und Fernsehen).
[10] Furgler: vgl. Sonntags-Blick, 52, 27.12.81. Ritschard: vgl. unten, Teil I, 5 (Régime financier). Aubert : Lib., 131, 9.3.81; Presse vom 10. u. 11.3.81; BaZ, 62, 14.3.81 (Interview mit BR Ritschard); Ww, 12, 18.3.81; Blick, 89, 16.4.81 (Interview mit Aubert); TA, 198, 28.8.81; vgl. auch unten, Teil IIIa (Sozialdemokratische Partei).
[11] Presse vom 16.9.81; Suisse, 266, 23.9.81; Woche, 3, 25.9.81.
[12] Amtl. Bull. NR, 1981, S. 1801. Aubert erhielt 190 Stimmen. BR Honegger wurde mit 210 Stimmen zum Bundespräsidenten für 1982 gewählt.