Année politique Suisse 1981 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
 
Parlament
Die Realisierung der Vorschläge für eine Reform des Parlaments, die von einem Studienausschuss beider Räte 1978 vorgelegt worden waren, schritt langsam weiter. Die vom Nationalrat mit dieser Aufgabe betraute Kommission beantragte zunächst eine Anpassung der Bezüge der Parlamentarier und ihrer Fraktionen an die Geldentwertung. Die 1972 zum letztenmal erhöhten Ansätze wurden im allgemeinen um 50% heraufgesetzt, wodurch man der inzwischen eingetretenen Teuerung knapp Rechnung trug; dazu kamen spezielle Entschädigungen für ausserordentliche Belastungen sowie die Möglichkeit eines vom fakultativen Referendum befreiten Ausgleichs zu Beginn jeder neuen Legislaturperiode. Beide Räte stimmten der Revision zu; ein liberaler Antrag auf Beibehaltung des Referendums für den künftigen Teuerungsausgleich unterlag [24]. Als neues Thema griff die Reformkommission der Volkskammer die Interessenbindungen der Parlamentarier auf. Sie kündigte Vorschläge für eine Verpflichtung der Ratsmitglieder zur Bekanntgabe solcher Bindungen sowie zum Ausstand bei Interessenkollisionen an [25]. Ausserhalb des offiziellen Reformverfahrens verlangten Vertreter der SP grundsätzlich die Öffentlichkeit für Verhandlungen parlamentarischer Kommissionen. Das mit dem Hinweis auf Indiskretionen und mit einem Bedürfnis nach Transparenz begründete Begehren wurde aber im Interesse einer effizienten Kommissionsarbeit abgelehnt [26].
Das in den meisten Reformvorschlägen wirksame Bestreben, den Entscheidungsanteil des Parlaments gegenüber der Exekutive zu erhöhen, kontrastiert aber mit dem unverminderten Bedürfnis zahlreicher Parlamentarier, die verschiedensten Anliegen aufs Tapet zu bringen, um dadurch nicht so sehr den Gang der Dinge zu beeinflussen als die Sympathien bestimmter Wählergruppen zu gewinnen. Angesichts der Flut von persönlichen Vorstössen ging Nationalratspräsident Butty (cvp, FR) mehr und mehr zu einem summarischen Behandlungsverfahren über. Er zog damit Proteste auf sich, doch seine Nachfolgerin Hedi Lang (sp, ZH) machte sich in der Wintersession die eingeführte Praxis weitgehend zu eigen [27]. Zudem setzte die grosse Kammer auf Antrag der Fraktionspräsidenten eine ausserordentliche Session auf den Januar 1982 an, um dringende Vorlagen beraten zu können. Die Ständeherren versagten zuerst ihre Zustimmung, um die Volkskammer zu mehr Disziplin zu veranlassen, lenkten aber später ein [28]. Verschiedene Kommentatoren wiesen darauf hin, dass das Milizparlament durch die wachsende Geschäftslast an seine Grenzen stosse, ja dass die Berufspolitiker im Parlament schon deutlich die Führung übernommen hätten [29].
 
[24] BBl, 1981, I, S. 1157 ff.; Amtl. Bull. NR, 1981, S. 331 ff., 628; Amtl. Bull. StR, 1981, S. 240 ff.; AS, 1981, S. 1602 ff. Vgl. SPJ, 1972, S. 21 f. ; 1978, S. 22 f. ; 1979, S. 26; 1980, S. 24. Über die zahlenmässigen Auswirkungen vgl. BaZ, 66, 19.3.81; 24 Heures, 65, 19.3.81.
[25] Presse vorn 9.5.81. Vgl. SPJ, 1979, S. 26. Die Bildung einer auf marktwirtschaftlich orientierte Mitglieder beschränkten « Gruppe Schweiz- Dritte Welt» gab Anlass zu Vorstössen für eine Kontrolle der parlamentarischen Gruppenbildung; vgl. NZZ, 69, 24.3.81; Suisse, 164, 13.6.81; Ww, 25, 17.6.81; gleichlautende Postulate Donzé (sp, GE), vom StR abgelehnt (Amtl. Bull. StR, 1981, S. 380 f.), und Uchtenhagen (sp, ZH) (Verhandl. B. vers., 1981, II, S. 75).
[26] Eine Motion Gassmann (sp, JU) wurde vom StR abgelehnt (Amtl. Bull. StR, 1981, S. 376 ff.), eine Motion Nanchen (sp, VS) / Baechtold (sp, VD) vom NR abgeschrieben (Verhandl. B.vers., 1981, III, S. 61).
[27] Eine zunehmende Zahl von Vorstössen wurde jeweils am Schlusstag der Session ohne irgendwelche Voten erledigt (Amtl. Bull. NR, 1981, S. 387 ff., 849 ff, 1306 ff., 1734 fr.; vgl. TA, 235, 10.10.81; Ww, 44, 28.10.81). Proteste: Amtl. Bull. NR, 1981, S.1318. Vgl. auch SPJ, 1980, S. 24.
[28] Amtl. Bull. NR, 1981, S. 1249 f.; Amtl. Bull. StR, 1981, S. 434, 512 f.
[29] BaZ, 236, 9.10.81; SGT, 237, 10.10.81; TA, 238, 14.10.81. Das Ungenügen des Milizsystems betonte auch der amerikanische Politologe H.H. Kerr in einer Analyse, die einerseits eine weitgehende Repräsentativität des schweizerischen Parlaments feststellte, anderseits aber eine starke Neigung seiner Mitglieder zur Übernahme privatwirtschaftlicher Funktionen auf Kosten ihrer Gesetzgebungs- und Kontrollkapazität (Parlement et sociéteè en Suisse, Saint-Saphorin, 1981).