Année politique Suisse 1981 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
Sprachgruppen
Verständnisschwierigkeiten bestehen weiterhin zwischen den Angehörigen verschiedener Sprache
[9], wobei
der Dialekt der Deutschschweizer die Kommunikationsmöglichkeiten zusätzlich beeinträchtigt. Nur zaghaft wird dagegen in Teilen der Westschweiz (Wallis, Jura) vermehrt Patois gesprochen
[10]. Der vielzitierte Graben Deutsch-Welsch, dem das Deutschschweizer Fernsehen zu Jahresbeginn eine Sendereihe widmete, wird nach einer Umfrage vor allem von jungen Westschweizern besonders empfunden. Seine Überwindung scheint am ehesten mit konkreten Massnahmen wie dem seit einigen Jahren unter dem Patronat der Neuen Helvetischen Gesellschaft durchgeführten Schüleraustausch über die Sprachgrenzen möglich zu sein, der 1981 insbesondere unter den Kantonen Freiburg und Solothurn intensiviert wurde. Nationalrat Wyss (fdp, BS) möchte zudem den Integrationsfaktor der Armee auch zwischen den Sprachregionen nutzen und jeden vierten Wiederholungskurs in ein anderes Sprachgebiet verlegen
[11].
Andere Kreise scheinen weniger das Verständnis zwischen den Sprachgruppen als das Schliessen der eigenen Reihen fördern zu wollen. Die für das reine Französisch kämpfende «Association romande de solidarité francophone» (ARSF) lancierte eine
trikoloreähnliche Romandie-Fahne, die jedoch in der Westschweiz im allgemeinen sehr reserviert bis ablehnend aufgenommen wurde. Dies nicht zuletzt deshalb, weil es in diesen föderalistisch gesinnten Kantonen eine einheitliche «identité romande» nicht gibt. Auch der Anspruch des Rassemblement jurassien (RJ), einen gemeinsamen Kampf aller Angehörigen der romanischen Sprachfamilie gegen die Bedrohung durch die deutsche Schweiz anführen zu wollen, wurde in der Westschweizer Presse sehr kritisch aufgenommen
[12].
1981 war vor allem ein Jahr der vierten Landessprache. Das private «Institut de Cuors Retoromontschs» veröffentlichte eine Studie und erliess gleichzeitig einen alarmierenden Appell zur Rettung des
Rätoromanischen. Seine Forderungen wie Anerkennung als vierte Amtssprache und die Einführung romanischer Massenmedien sowie einer romanischen Maturität und Universität wurden jedoch vielfach als übertrieben bezeichnet. Aber auch der Entwurf für ein bündnerisches Sprachengesetz erntete in der Vernehmlassung viel Skepsis und Ablehnung. Insbesondere die Einführung des sprachlichen Territorialprinzips und die Fixierung der Sprachgrenzen mit dem damit verbundenen Zentralismus und Dirigismus stiessen auf Widerstand. Die Sprachenrechtskommission gedenkt deshalb vor Ausarbeitung eines weiteren Entwurfs abzuklären, ob die Gemeindeautonomie vor dem Sprachenschutz Priorität haben soll
[13].
Die Bündner Regierung leitete zu Jahresbeginn eine Eingabe von Lia Rumantscha/Ligia Romontscha (LR) und Pro Grigioni Italiano (PGI) an den Bundesrat weiter. Die beiden Dachverbände verlangen verschiedene Massnahmen zur Spracherhaltung (Übersetzung der wichtigsten amtlichen Erlasse, erweiterte Radio- und TV-Programme) und eine Erhöhung der
Bundesbeiträge von bisher 450 000 auf 1,9 Mio Fr. für LR und von 190 000 auf 490 000 Fr. für PGI. Der Bundesrat entschied sich für ein zeitlich gestaffeltes Vorgehen: Kurzfristig (1982–83) sollen durch Verzicht auf die zehnprozentige Subventionskürzung sowie durch Beiträge aus dem Prägegewinn von Sondermünzen und aus dem Verkaufserlös von Pro Patria-Marken die Bundesleistungen um 460 000 Fr. auf 1,04 Mio Fr. erhöht werden. Mittelfristig ist mit einer für 1982 in Aussicht gestellten Botschaft eine Erhöhung der ordentlichen Bundesbeiträge auf ca. 2,4 Mio Fr. geplant, und langfristig sollen im Rahmen der Aufgabenteilung für den wegfallenden Sprachenzuschlag bei den Primarschulsubventionen den Kantonen Graubünden und Tessin zwei zusätzliche Bundesmillionen zukommen. Ausserdem beantragte die Bündner Regierung eine fünfzigprozentige Erhöhung der kantonalen Beiträge an die beiden Dachorganisationen bis zur Neuregelung der Bundesleistungen
[14].
[9] Allgemein: Eidgenössisches Personalamt, Kolloquium. Die Mehrsprachigkeit in Staat und Verwaltung. Heute und Morgen, Bern 1981; R. Viletta, « Die Regelung der Beziehungen zwischen den schweizerischen Sprachgemeinschaften», in Schweiz. Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung, 82/1981, S. 193 ff.; Jahrbuch der Neuen Helvetischen Gesellschaft, 52, 1981: Der Dialog zwischen Schweizern, Aarau 1981.
[10] 24 Heures, 142, 22.6.81; BaZ, 195, 22.8.81; TLM, 235, 23.8.81; 236, 24.8.81. F. Duboux-Genton, Dictionnaire du patois vaudois, Oron-la-Ville 1981; der Kanton Jura kennt sogar einen Patois-Schutzartikel in der Verfassung, vgl. BaZ, 196, 24.8.81.
[11] TV-Reihe: TA, 11, 15.1.81; 18, 23.1.81; 24 Heures, 11, 15.1.81. Schüleraustausch: NZZ, 107, 11.5.81; 196, 26.8.81. Postulat Wyss (fdp, BS): Verhandl. B.vers., 1981, IV, S. 68 (angenommen); BaZ, 224, 25.9.81.
[12] Fahne : BaZ, 9,12.1.81; 37, 13.2.81; 150, 1.7.81; 24 Heures, 145, 25.6.81; TA, 146, 27.6.81; TLM, 178, 27.6.81; Ww, 32, 5.8.81. RJ: NZZ, 212, 14.9.81; 24 Heures, 213, 14.9.81.
[13] Allgemein zur Situation des Rätoromanischen: Mitteilungen/Neue Helvetische Gesellschaft, 1982, S. 3 ff.; BaZ, 183, 184, 187, 189, 190, 8.-17.8.81; Bund, 192,19.8.81; 199, 27.8.81. Studie des Instituts: Presse vom 23.6.81; NZZ, 174, 30.7.81. Sprachengesetz: NZZ, 123, 30.5.81; BaZ, 183, 8.8.81; 187, 13.8.81; AT, 185, 11.8.81; SGT, 195, 22.8.81; vgl. SPJ, 1980, S. 156.
[14] Eingabe: NZZ, 17, 22.1.81; 67, 21.3.81; SGT, 47, 26.2.81; TA, 67, 21.3.81. Antwort und Beschlüsse des Bundesrats: NZZ, 161, 15.7.81; 197, 27.8.81; TW, 167, 21.7.81; Bund, 170, 24.7.81; 299, 22.12.81; SGT, 172, 27.7.81; BaZ, 299, 22.12.81; Vat., 296, 22.12.81; vgl. auch die bundesrätliche Antwort auf die in dieser Sache in beiden Räten eingereichten dringlichen Interpellationen Jost (fdp, GR) und Cavelty (cvp, GR): Amtl. Bull. NR, 1981, S. 1258 ff und Amtl. Bull. StR, 1981, S. 430 ff. Aufhebung der Subventionskürzung: AS, 1981, 5.1619 f.; Bund, 199, 27.8.81; vgl. SPJ, 1980, S.153. Bündner Regierung: NZZ, 170, 25.7.81; 257, 5.11.81; CdT, 258, 10.11.81.
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