Année politique Suisse 1982 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Sozialdemokratische Partei
Der Rückschlag, den die Sozialdemokratische Partei (SP) in der Stadt Zürich hinnehmen musste, wurde in seinem Ausmass als «Erdrutsch» im politischen Kräfteverhältnis bezeichnet. Der «Zerfall der Stammwählerschaft» alarmierte die höchsten Parteigremien. Der Misserfolg wurde insbesondere dem prononcierten Linkskurs der Stadtzürcher Parteiführung angelastet, was zu einer tiefen Spaltung der SP und einer eigentlichen Lähmung geführt habe. Parteipräsident Hubacher plädierte für einen dritten Weg zwischen linker und rechter Ideologie, für eine «Politik des Möglichen» [9]. Weitere Einbussen der Sozialdemokraten bei den Wahlen im Kanton Bern waren jedoch Indiz dafür, dass nicht nur die Flügelkämpfe für die Misserfolge verantwortlich gemacht werden konnten. Es scheint, dass die SP auch für eine wachsende Staatsverdrossenheit büsste, für die sie nur zum Teil verantwortlich war. Die Parteileitung arbeitete ein Schwerpunktpapier aus, das zur Überwindung der internen ideologischen Diskussion beitragen und den Kampf um konkrete politische Forderungen in den Vordergrund treten lassen sollte. Der SP-Fraktionspräsident, F. Morel (FR), rügte zwar die Parteiführung, da im Papier eine Analyse der Wahlniederlage fehle und forderte eine kompromisslosere Haltung gegenüber den Vertretern des linken Hügels. Obwohl viele Parlamentarier in der Sache ihrem Fraktionspräsidenten zuzuneigen schienen, wurden ebenfalls die von der Parteileitung formulierten politischen Schwerpunkte gebilligt [10].
Die am Parteitag von 1981 eingesetzte, neue Programmrevisionskommission kam in ihrer Arbeit termingerecht voran. Im neuen Entwurf wurde die Selbstverwaltung nicht mehr als einzige, sondern bloss als eine der Antworten zur Lösung der zukünftigen Probleme bezeichnet und gegen die notwendige, übergreifende Staatstätigkeit abgegrenzt. Die linke Kommissionsminderheit kritisierte die Vorschläge als unverbindlichen Steinbruch und wollte diese nur als Diskussionsbeitrag für eine basisdemokratische Parteivernehmlassung akzeptieren. Die Presse ihrerseits empfand die Anträge verglichen mit denjenigen der ersten, stärker alternativ orientierten Kommission als Abwendung von der Utopie, bezeichnete sie aber als Selbstbedienungsladen für alle innerparteilichen Tendenzen. Punkto Oppositionsrolle und Mitbeteiligung in Staat und Regierung gingen die entsprechenden Zielvorstellungen kaum über das Gedankengut des Winterthurer Programmes von 1959 hinaus; mit den Ideen der Selbstverwaltung trug es aber auch progressiveren Ansprüchen Rechnung [11]. Die SP-Fraktion der Bundesversammlung stellte sich hinter den Entwurf, obwohl eine gewisse Weichheit der Linie nicht zu verkennen sei; auch der Parteivorstand stimmte den Mehrheitsanträgen deutlich zu [12]. Obschon die Formulierung, Selbstverwaltung sei nur eine der möglichen Strategien auf einen Beschluss der Delegierten vom Vorjahr zurückging, akzeptierte der Vorstand am Parteitag 1982 die Streichung dieser ausdrücklichen Einschränkung. Kontroversen provozierte am Kongress in Lugano auch die ersatzlose Eliminierung des Feminismus-Kapitels, das freilich später in neuer Form wieder aufgenommen werden soll. Erfolg hatte anderseits ein Freiburger Antrag, der die Abschaffung des verfassungsmässigen Auftrages der Armee, für innere Ruhe und Sicherheit zu sorgen, sowie ein vollständiges Waffenausfuhrverbot forderte. Das Programm wurde schliesslich mit 85% Ja-Stimmen verabschiedet. Die Parteiführung zeigte sich vom Ergebnis befriedigt, da es gelungen sei, das parteipolitische Zentrum zu stärken [13].
In Basel ging allerdings der innerparteiliche Spaltungsprozess weiter und führte schliesslich zu einer Neugründung. Ein Parteischiedsgericht betrachtete zwar die Aktionsgemeinschaft Sozialdemokraten und Gewerkschaften (ASG) als zulässig, da sie nicht als eigentliches Parteiorgan auftrete, folgte jedoch der Argumentation der klagenden Geschäftsleitung, dass die ASG Parteibeschlüsse nicht öffentlich bekämpfen dürfe. Nachdem es aber zu Ausschlüssen unbotmässiger Kantonsparlamentarier gekommen war, schritten die Rechtsdissidenten zur Gründung der Demokratisch-Sozialen Partei Basel-Stadt (DSP), die sich als Erbin und Sachwalterin der traditionellen sozialdemokratischen Politik versteht [14]. Um ihre Übereinstimmung mit den Baslern zum Ausdruck zu bringen, machten sich auch die Freien Gewerkschafter und Sozialdemokraten in Uster (ZH) diese Namensbezeichnung zu eigen [15]. In der Zürcher Stadtpartei hingegen hatte der Wahlmisserfolg weder organisatorische noch personelle Konsequenzen. Die Partei rügte sowohl das Verhalten der rechtsoppositionellen Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft als auch jene Sektion, die in den Gemeinderatswahlen mit der äussersten Linken eine Listenverbindung eingegangen war. Die Delegiertenversammlung bestätigte die Parteiführung und lehnte einen Antrag ab, der eine Entwicklung wie in Basel provozieren wollte [16]. Die Diskussion um den Kurs der Stadtpartei wurde im Herbst nochmals angefacht. Anlass war die Erklärung des SP-Regierungsrates, A. Bachmann, wegen Divergenzen mit der Partei auf eine erneute Kandidatur zu verzichten. Parteipräsident Hubacher reagierte in energischem Ton auf die Vorwürfe, die sich namentlich auf die Militär- und Energiepolitik und auf die Informationsreise einer SPS-Delegation in die DDR bezogen [17].
Am 1. Mai fusionierte die SP Oberwallis mit der aus der 68er-Bewegung hervorgegangenen Alternativgruppierung «Kritisches Oberwallis» zur Sozialistischen Partei Oberwallis. Der neuen Partei wurde nach langen Verhandlungen der faktische Status einer Kantonspartei zugestanden. Mit der SP Unterwallis zusammen besteht als gemeinsames Organ ein — allerdings praktisch kompetenzloses — kantonales Komitee [18].
Die SPS protestierte zwar gegen die Frauenfelder Wehrschau; anderseits nahm aber Parteipräsident Hubacher ebenfalls wiederholt und nicht zuletzt am Parteitag selber klar Stellung gegen die Absicht der Jungsozialisten, eine Initiative zur Abschaffung der Armee zu lancieren. Er begründete die Forderung nach einem Rüstungsreferendum gerade mit der grundsätzlich positiven Einstellung der Sozialdemokraten zur Landesverteidigung [19]. Die Vorbereitungen für die Einreichung des entsprechenden Volksbegehrens will die SP nun alleine zu Ende führen; gut ein Viertel der notwendigen Unterschriften war bereits von der militärpolitisch radikaleren SAP gesammelt worden. Umgekehrt beschlossen die Jungsozialisten, ihre auch in den eigenen Reihen umstrittene Initiative von einem überparteilichen Komitee aus zu lancieren; zu dessen Konstituierung kam es jedoch vorläufig nicht. An ihrer Generalversammlung verabschiedeten die Jungsozialisten im weiteren 21 Thesen zur Jugendpolitik, in denen sie unter anderem die Legalisierung des Eigenkonsums von Cannabis-Produkten, die freie Wahl zwischen zivilem Ersatzdienst im Inland und Dritte-Welt-Einsatz sowie die Einrichtung von «Politotheken» als Infrastruktur für politische Basisaktivitäten forderten [20].
 
[9] Woche, 10, 2.3.82; BaZ, 57, 9.3.82; TA, 58, 11.3.82; LNN, 60, 13.3.82; Blick, 63, 17.3.82; vgl. auch oben, Teil I, 1e (Zürich). Zur internationalen Dimension der Probleme der traditionellen Arbeiterparteien siehe BaZ, 123, 29.5.82.
[10] Schwerpunktpapier: BaZ, 100, 30.4.82; TA, 102, 5.5.82; vgl. auch Suisse, 127, 7.5.82; NZZ, 111, 15.5.82; BaZ, 113, 17.5.82 ; SP-Information, 118,17.5.82; Presse vom 18.5.82. Morel: TA, 113, 18.5.82; BaZ,118, 24.5.82. Schwerpunkte gebilligt: Suisse, 149, 29.5.82; BaZ, 124, 1.6.82; TA, 124, 2.6.82; Vr, 106, 4.6.82.
[11] SPS, Programmentwurf 1982, Juli 1982 ; SPS, Text der Kommissionsminderheit zur Programmrevision, Juli 1982; vgl. ferner SPJ, 1981, S. 203 sowie SP-Information, 110, 18.1.82; NZZ, 48, 27.2.82; TW, 184, 10.8.82; Presse vom 11. u. 14.8.82 ; SGB-Pressedienst, 24,12.8.82 ; Vr, 164, 25.8.82 ; Rote Revue/Profil, 61/1982, Nr. 10 und 11.
[12] SP-Information, 122, 30.8.82; 124, 27.9.82; TA, 299, 2.10.82; NZZ, 232, 6.10.82; 236, 11.10.82; Ww, 45, 10.11.82.
[13] Parteitag: Presse vom 12., 13. u. 15.11.82 ; SP-Information, 128, 22.11.82; bei der Streichung der expliziten Einschränkung wurde geltend gemacht, dass die Bedeutung der Selbstverwaltung im neuen Programm ohnehin relativiert worden sei. Parteiführung: TA, 271, 20.11.82; Rote Revue/Profil, 61/1982, Nr. 12.
[14] BaZ, 35, 42, 72, 112, 150, 11.2.-1.7.82; Ww, 8, 24.2.82; NZZ, 61, 15.3.82; LNN, 118, 24.5.82; SP-Information, 120, 5.7.82. Vgl. überdies Aktionsgemeinschaft Sozialdemokraten und Gewerkschaften, Informations-Bulletin, 1, 15.2.82; 2, 25.3.82 sowie SPJ, 1980, S. 193; 1981, 5.202.
[15] Vr, 22, 2.2.82; NZZ, 126, 4.6.82; 221, 23.9.82; TA, 270, 19.11.82.
[16] TA, 48, 27.2.82; 56, 9.3.82; Woche, 10, 12.3.82; Vr, 72, 15.4.82; 92, 13.5.82; 130, 8.7.82. Vgl. auch oben, Teil I, 1e (Zürich) sowie SPJ, 1981, S. 202.
[17] NZZ, 205, 4.9.82; 207, 7.9.82; 219, 21.9.82; SP-Information, 123, 13.9.82; Rote Revue/Profil, 61/1982, Nr. 4. Zur DDR-Reise vgl. auch NZZ, 149, 1.7.82; 160, 14.7.82; BaZ, 154, 6.7.82.
[18] BaZ, 67, 20.3.82; 101, 3.5.82; Suisse, 87, 28.3.82; Lib., 152, 1.4.82; 165, 19.4.82; 177, 3.5.82; TLM, 115, 25.4.82.
[19] Wehrschau: NZZ, 193, 21.8.82; vgl. dazu auch oben, Teil I, 3 (Image der Armee). Hubacher: SP-Information, 120, 5.7.82 ; Vr, 130, 8.7.82. Von den annähernd 1100 SP-Sektionen traten rund 90% für die obligatorische Militärdienstpflicht ein (Woche, 13, 2.4.82). Zu einer SPS-Arbeitstagung zur Friedensbewegung und zur Aussenpolitik sowie zu einer Friedenswoche in Basel vgl. oben, Teil I, 2 (Principes).
[20] Unterschriften : BaZ, 302, 27.12.82. Jungsozialisten: Presse vom 1.9.82. Generalversammlung: Presse vom 21.6.82; vgl. auch BaZ, 140, 19.6.82; TA, 139, 19.6.82. Zum Rüstungsreferendum, zur Initiative der Jungsozialisten und zum zivilen Ersatzdienst vgl. oben, Teil 1, 3 (Rüstungsprogramm, Image der Armee, Dienstverweigerer).