Année politique Suisse 1982 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
 
Konjunkturpolitik
Trotz der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage wurde kein radikaler Kurswechsel in der Konjunkturpolitik vorgenommen. Zu einer über das angestrebte Ziel von 3% hinausgehenden Expansion der Geldmenge, wie dies der SGB in einer Eingabe angeregt hatte, kam es nicht. Auch 1983 will die Nationalbank die bereinigte Notenbankgeldmenge im selben Rahmen wachsen lassen [10]. Das Hauptaugenmerk der Behörden galt weiterhin der Inflationsbekämpfung. Dies geschah mit der Begründung, dass langfristig nur in einem stabilen Klima eine gesunde Wirtschaftsentwicklung möglich sei. Insbesondere sprach sich die Landesregierung gegen die staatliche Unterstützung notleidender Betriebe aus, da mit derartigen Hilfsaktionen der erforderliche Strukturwandel nur hinausgeschoben würde. Einen sinnvollen Beitrag zur Bewältigung der sich in Gang befindlichen Anpassungsprozesse könne die öffentliche Hand hingegen mittels einer zielgerichteten Förderung der Ausbildung und Forschung leisten. Das zu diesem Zweck vom Bundesrat konzipierte Massnahmenpaket stellen wir unter dem Stichwort Strukturpolitik vor [11].
Zuerst nur vereinzelt, mit der wachsenden Arbeitslosigkeit dann aber doch nachdrücklicher, wurde ein teilweises Abrücken von dieser angebotsseitig orientierten Politik in Richtung auf eine staatliche Belebung der Nachfrage gefordert. Man hütete sich aber — auch auf Seiten der Gewerkschaften — die Lage zu dramatisieren und eine grundlegende konjunkturpolitische Wende zu verlangen. Die politischen Parteien benutzten die wirtschaftlichen Probleme auch kaum zu Profilierungsversuchen; es kam, zumindest unter den vier Regierungsparteien, eher zu einem Schulterschluss. Dies offenbarte sich auch weitgehend während der Debatte über die aktuelle Wirtschaftslage im Nationalrat, deren Auslöser gleichzeitig eingereichte dringliche Interpellationen sämtlicher sieben Fraktionen bildeten und an der sich nicht weniger als 53 Redner beteiligten. Eigentliche Arbeitsbeschaffungsaktionen, wie etwa das Vorziehen geplanter Investitionen, kündigte der Bundesrat erst für 1983 an. Dem vorausgegangen war eine gemeinsame Stellungnahme der Regierungsparteien, worin neben dieser Massnahme der Ausbau der Exportrisikogarantie und die Verstärkung des regionalpolitischen Instrumentariums postuliert worden war. Einen ersten Niederschlag fanden diese Bestrebungen anlässlich der parlamentarischen Behandlung des Rüstungsprogramms mit der Verdreifachung einer Lastwagenbestellung bei einer Ostschweizer Firma [12].
Im September ordnete der Bundesrat die vollständige Freigabe der von der Privatwirtschaft gebildeten Arbeitsbeschaffungsreserven an [13]. Es sind Bestrebungen im Gang, dieses Instrument attraktiver zu gestalten. Der Revisionsentwurf, der namentlich vorsieht, die freiwillige Reservebildung bereits bei der Einzahlung steuerlich zu begünstigen, fand anlässlich der im Berichtsjahr durchgeführten Vernehmlassung grundsätzlich Zustimmung. Allerdings lehnen die Wirtschaftsverbände die Kompetenz des Parlamentes zur Obligatorischerklärung im Falle einer unbefriedigenden freiwilligen Beteiligung ab [14].
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Preisüberwachung
Die Preisüberwachung ist in den Augen der Mehrzahl der Nationalökonomen nicht nur ein wenig wirksames, sondern zudem ein systemwidriges Mittel zur Inflationsbekämpfung. Erneut zeigte sich aber, dass sie beim Stimmbürger sehr, hohes Ansehen geniesst. Der Bundesrat hatte der von den Konsumentinnenorganisationen eingereichten Volksinitiative für die Einführung der Preiskontrolle bei Kartellen und marktmächtigen Unternehmen einen Gegenvorschlag gegenübergestellt, der die Möglichkeit einer allgemeinen Preisüberwachung in Zeiten starker Teuerung vorsieht. Da auf eidgenössischer Ebene ein doppeltes Ja zu Initiative und Gegenvorschlag nicht zulässig, ein doppeltes Nein hingegen erlaubt ist, sprachen die Initianten, die Linke, aber auch einige liberale Parlamentarier von einem taktischen Manöver mit dem Zweck, die Stimmen der Befürworter aufzuspalten. Sie betonten, dieser Verdacht sei umso naheliegender, als die Lösungsvariante des Gegenvorschlags – Preisüberwachung in Ausnahmesituationen — sich auch auf den Notrechtsartikel 89bis BV abstützen lasse. Die Angst, dass ihr Begehren trotz mehrheitlicher Bejahung des Anliegens am doppelten Nein scheitern könnte, entbehrte nicht der Berechtigung. Bereits dreimal war in den vergangenen zwölf Jahren dieser Fall eingetreten. Im Parlament setzten sich die Sozialdemokraten, der Landesring und die extreme Linke für die Initiative, die bürgerlichen Fraktionen mit Ausnahme der Liberalen für den Gegenvorschlag ein. Beide Kammern sprachen sich für den Gegenvorschlag aus und empfahlen die Initiative zur Ablehnung. In der Volkskammer verlief die Ausmarchung allerdings äusserst knapp; dies vor allem bei der Schlussabstimmung, wo die CVP Stimmfreigabe beschlossen hatte, und rund ein Drittel ihrer Abgeordneten die Initiative unterstützten [15].
Die wenig dezidierte Haltung der bürgerlichen Parteien zeigte sich dann ebenfalls bei der Parolenausgabe zuhanden der Volksabstimmung vom 28. November. Die CVP überliess den Entscheid ihren Kantonalsektionen, wovon sich eine Minderheit für die Initiative aussprach. Noch grössere Heterogenität herrschte beim Freisinn, setzten sich doch siebzehn Kantonalparteien für ein Nein zu Initiative und Gegenvorschlag ein, während die Gesamtpartei den Gegenvorschlag unterstützte. Bei der SVP votierten einige wichtige Sektionen ebenfalls für ein doppeltes Nein und stellten sich damit in Gegensatz zur Landesorganisation, welche den Gegenvorschlag befürwortete. Gegen jegliche Form der Preisüberwachung kämpften im weitern die Liberalen, die Republikaner, der Vorort und der Gewerbeverband. Für das Volksbegehren setzten sich neben den Konsumentenorganisationen die Linksparteien, der Landesring, die EVP, die NA und die Gewerkschaften ein [16].
Obwohl die Gegner in der Abstimmungskampagne die dem Laien schwer verständlichen ordnungspolitischen Einwände in den Hintergrund rückten, um umsomehr die Gefahr einer Bürokratisierung der Wirtschaft heraufzubeschwören, hatten sie gegen die äusserst populäre Idee der Preisüberwachung keine Chance. Bei einer Stimmbeteiligung von nur 33% obsiegte die Initiative mit 727 394 Ja zu 529 221 Nein; der Gegenvorschlag unterlag mit 238 162 Ja zu 847 762 Nein. Es war der rund 22% der Stimmenden ausmachenden Minderheit, welche jegliche Preisüberwachung ablehnte, also nicht gelungen, das Begehren mit Hilfe des doppelten Nein zu bezwingen. Die aussergewöhnliche Beliebtheit der staatlichen Eingriffe in den Preisbildungsmechanismus geht auch daraus hervor, dass dies die erste siegreiche Volksinitiative seit 1949 ist. Nur gerade in den ländlichen Kantonen AI, AR, NW, OW, SZ, TG, UR und VS fand die Preisüberwachungsinitiative keine Zustimmung; der Gegenvorschlag vermochte in keinem Stand durchzudringen. In der Westschweiz und im Tessin fiel die Zustimmung zur Initiative etwas deutlicher aus als in der Deutschschweiz. Eine nach der Abstimmung durchgeführte Meinungsumfrage ergab, dass — entgegen ersten Vermutungen — Männer dem Begehren ebenso häufig zustimtnten wie Frauen. Gemäss dieser Analyse votierten praktisch alle Sympathisanten der SP und des LdU, rund die Hälfte derjenigen der CVP und immerhin ein Drittel der Anhänger von FDP und SVP für die Initiative [17]. Der Bundesrat beschloss, die nun in die Verfassung aufgenommene Preiskontrolle für Kartelle und marktmächtige Unternehmen nicht in das revidierte Kartellgesetz zu integrieren, sondern mit einem eigenen Gesetz zu regeln [18].
 
[10] SNB, Geschäftsbericht, 1982, S. 24 f. ; Gewerkschaftliche Rundschau, 74/1982, S. 98. Vgl. auch unten, Teil I, 4b (Geldmenge).
[11] Amtl. Bull. NR, 1982, S. 677; F. Honegger, «Wirtschaftslage und Wirtschaftspolitik», in Documenta, 1982, Nr.1, S.14 ff.; BaZ, 205, 3.9.82.
[12] Gewerkschaften: Gewerkschaftliche Rundschau, 74/1982, S. 97 ff.; TW, 277, 25.11.82. Für eine radikale Kritik an der schweizerischen Konjunkturpolitik von Gewerkschaftern vgl. H. Schläppi und D. Nordmann, « Eine notwendige Neuorientierung der Wirtschaftspolitik», in Gewerkschaftliche Rundschau, 74/1982, S. 267 ff. Parlament: Amtl. Bull. NR, 1982, S. 1123 f. ; 1163 ff. und 1236 ff. ; vgl. auch die als Postulat überwiesene Motion des Genfer Sozialdemokraten Donzé (Amtl. Bull. StR, 1982, S. 721 f.). Programm für 1983: wf, Dok., 48, 29.11.82; NZZ, 303, 29.12.82; TA, 304, 30.12.82. Lastwagenbeschaffung: Amtl. Bull. StR, 1982, S. 213 ff.; Amtl. Bull. NR, 1982, S. 1203 ff. sowie oben, Teil I, 3 (Rüstungsbeschaffung). Die Wirtschaftsvertreter äusserten sich zur Idee der staatlichen Nachfragebelebung weitgehend ablehnend (wf, Dok., 6.12.82; Vorort, Jahresbericht, 1981/82, S. 9 ff.). Allgemein zum Thema siehe auch E. Tuchtfeldt, Über die Grenzen und Machbarkeit in der Wirtschaftspolitik, Zürich 1982 und H.R. Wuffii, «1982 und 1932 – Zweierlei Krisen», in Schweizerische Monatshefte, 62/1982, S. 813 ff.
[13] AS, 1982, S. 1499 f.; NZZ, 191, 19.8.82.
[14] SPJ, 1981, S. 59; BaZ, 192, 19.8.82; wf, Dok., 1-2, 11.1.82 und 4, 25.1.82; Vorort, Jahresbericht, 1981/82, S. 112 ff.
[15] Amtl. Bull. NR, 1982, S. 99 ff. und 566; Amtl. Bull. StR, 1982, 5.111 ff. und 180; BBl, 1982, I, S. 858 f.; SPJ, 1982, S. 59. Vorwurf des taktischen Manövers: Amtl. Bull. NR, 1982, S. 123 (NR Bäumlin, sp, BE) ; Amtl. Bull. StR, 1982, S. 119 f. (StR Aubert, lp, NE) ; TA, 274, 24.11.82 ; BaZ, 277, 26.11.82. Vgl. ebenfalls TLM, 69, 10.3.82 und oben, Teil I, 1c (Volksrechte).
[16] LNN, 273, 24.11.82. CVP-Sektionen für die Initiative: BE, SO, SH, TI, VD. FdP-Sektionen mit doppeltem Nein: alle ausser BE, ZG, BS, GR, TI, VS, NE, JU. SVP-Sektionen mit doppeltem Nein: ZH, BE, SZ, TI. Die Bündner SVP empfahl Zustimmung zur Initiative.
[17] Presse vom 21.11.82; Vox, Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 28. November 1982, Bern 1982.
[18] TA, 291, 14.12.82; NZZ, 300, 24.12.82; BaZ, 306, 31.12.82; vgl. ebenfalls SHZ, 50, 16.12.82.