Année politique Suisse 1982 : Wirtschaft / Landwirtschaft
Tierische Produktion
Zu ausgiebigen Kontroversen um die Lenkung der tierischen Produktion kam es im Rahmen der parlamentarischen Behandlung der
Futtermittelinitiative. In Übereinstimmung mit dem Bundesrat, der das Volksbegehren bereits 1981 zur Verwerfung ohne Gegenvorschlag empfohlen hatte
[22], lehnte auch der Nationalrat die angestrebten Massnahmen «gegen übermässige Futtermittelimporte und Tierfabriken sowie für bestmögliche Nutzung des einheimischen Bodens» knapp mit 71 zu 68 Stimmen als zu weitgehend ab. Zur Unterstützung des gegenteiligen Antrages der vorberatenden Kommission, die Initiative Volk und Ständen zur Annahme zu empfehlen, fanden sich namentlich die bäuerlichen Kreise aus der SVP und zum Teil aus den anderen bürgerlichen Fraktionen mit der weitgehend geschlossenen Linken zusammen. Sie machten geltend, nur durch die vorgeschlagene Futtermittelbewirtschaftung liessen sich Überschüsse in der Produktion von Fleisch, Preiszusammenbrüche und das weitere Fortschreiten der Konzentration in der Landwirtschaft zu Lasten der bäuerlichen Betriebe mit landeseigener Futterbasis wirksam verhindern. Zudem riefen die Verbraucher immer mehr nach einer naturnäheren Produktion ohne Schadstoffe und seien angesichts des Hungerelendes in der Dritten Welt gegen die Verftitterung von Getreide an das Vieh der Reichen. Die Gegner der Initiative wandten sich nicht gegen die Ziele des Volksbegehrens an sich, sondern gegen den vorgeschlagenen Weg. So genüge es, die 1979 neu eingeführten Lenkungsvorschriften (z.B. Höchstbestände in der Tierhaltung, Bewilligungspflicht für Stallbauten) im Landwirtschaftsgesetz auszubauen. Eine rigorose Bewirtschaftung der Futtermittel setze ausserdem eine eigentliche Kontingentierung der Tierbestände voraus, was einen nicht mehr zu bewältigenden administrativen Aufwand verursache und auch ordnungspolitisch bedenklich sei. Obschon sich die zuständige Kommission der Kleinen Kammer mit Stichentscheid ihres Präsidenten mittlerweile den Ablehnungsantrag des Bundesrates und der Volksvertreter zu eigen gemacht hatte, nahm hier die Plenumsdebatte eine überraschende Wendung. Vom Neuenburger Liberalen J.-F. Aubert darauf aufmerksam gemacht, dass die gesetzliche Frist von vier Jahren zur abschliessenden Behandlung von Initiativen durch die Behörden in diesem Fall inzwischen bereits überschritten worden war, folgte die Mehrheit der Ständeräte dem Antrag des Staatsrechtlers, die Initiative dem Volk ohne Empfehlung der eidgenössischen Räte zu unterbreiten. Trotz einiger Opposition sah sich daraufhin der Nationalrat zu einer entsprechenden Korrektur seines früheren Beschlusses veranlasst
[23].
Ob mit der umstrittenen Futtermittelinitiative nach 1977 (Fristenlösungsinitiative) wieder einmal ein Volksbegehren ohne Empfehlung des Parlaments dem Souverän zum Entscheid vorgelegt wird, ist allerdings immer noch nicht endgültig entschieden. Wie die Wortführer der Initianten verschiedentlich erklärten, könnte nämlich das Volksbegehren immer noch zurückgezogen werden, falls auf Gesetzesebene rasche Verbesserungen an die Hand genommen würden
[24]. Der Präsident des Zentralverbandes schweizerischer Milchproduzenten (ZVSM), R. Reichling (svp, ZH), hatte deshalb bereits früher Anträge gestellt, die im Rahmen der Beratungen der Futtermittelinitiative zu einer nationalrätlichen Kommissionsinitiative ausgebaut wurden. Parallel dazu und mit dem Einverständnis des Bundesrates überwiesen beide Kammern eine Motion der CVP-Fraktion. Diese Vorstösse bezwecken, die Ziele der Futtermittelinitiative mit einer erneuten Änderung der Vorschriften über die Produktionslenkung im Landwirtschaftsgesetz zu verwirklichen. Aber im Unterschied zur Motion sieht die Kommissionsinitiative zusätzlich und als Notlösung auch eine einzelbetriebliche Futtermittelkontingentierung vor
[25]. Während der Bundesrat diesen Alternativvorschlägen dadurch Rechnung trug, dass er unverzüglich das Vernehmlassungsverfahren für eine entsprechende Gesetzesrevision einleitete, drohte die Vereinigung zum Schutz der kleinen und mittleren Bauern (VKMB) wiederholt mit der sofortigen Lancierung einer neuen Futtermittelinitiative, falls das hängige Begehren zurückgezogen werden sollte
[26]. Dass sich die Initiative der Bauernverbände so oder so als besonders wirkungsvolles politisches Druckmittel erwiesen hat und weiterhin erweisen wird, stand ohnehin vielerorts ausser Zweifel
[27].
Nicht nur bei der Fleischerzeugung auf Importfutterbasis, sondern auch in der Milchwirtschaft ist der Produktionsdruck anhaltend gross. Dies umso mehr, als neben züchterischen Fortschritten und verbesserter Technik die 1977 eingeführte Kontingentierung die
Milchproduktion in der Einschätzung der Bauern als Garant regelmässig fliessender und sicherer Einkommen aufgewertet hat
[28]. Um vorab dem höher gelegenen Berggebiet zusätzliche Erleichterungen zu verschaffen, lockerte der Bundesrat die Milchkontingentierung erneut. Wer masslos übermarcht, soll hingegen rascher als bisher zur Kasse gebeten werden. Obschon die bestehende Gesamtmilchmenge grundsätzlich beibehalten wird, können Produzenten neuerdings unter bestimmten Voraussetzungen auch Gesuche um Ausdehnung der Produktionsmöglichkeiten stellen
[29]. Dass die Milchkontingentierung freilich nach wie vor Unmut schafft, äusserte sich namentlich in gewohnt kämpferischen Aktionen der dissidenten Union des producteurs suisses (UPS), wobei namentlich die Propagierung eines organisierten Schwarzverkaufs von Milch und Milchprodukten zu reden gab
[30].
Die seit längerer Zeit erwartete Revision des Lebensmittelgesetzes hat insbesondere durch die «
Hormonaffäre» von 1980 (Hormonspuren in Kalbfleischproben) zusätzliche Aktualität erhalten. Mit seiner Stellungnahme zu einem schon 1981 vorgelegten Untersuchungsbericht der nationalrätlichen Geschäftsprüfungskommission (GPK) zur Hormonangelegenheit erklärte sich nun der Bundesrat bereit, nicht nur die von der GPK empfohlenen Verbesserungen der Lebensmittelkontrolle in die Gesetzesrevision rniteinzubeziehen, sondern unabhängig davon den Schwarzhandel mit Tierarzneimitteln zu bekämpfen und die Kontrolle über die Verwendung landwirtschaftlicher Hilfsstoffe zu verstärken
[31]. Noch vor Ablauf des Jahres wurde das EDI emächtigt, das Vernehmlassungsverfahren zu einem Vorentwurf für ein neues Lebensmittelgesetz zu eröffnen. Der neue Erlass soll nach menschlichem Ermessen Gewähr dafür bieten, dass den Konsumenten aus dem Genuss von Nahrungsmitteln keine gesundheitlichen Schäden erwachsen. Dem umstrittenen, aber ebenfalls von der GPK angeregten Entscheid, die Verantwortung für die Fleischkontrolle von den Tierärzten auf die Kantonschemiker zu übertragen, wich der Entwurf allerdings ebenso aus wie der Frage, inwiefern die Aufgabenteilung unter den Departementen und Bundesämtern neu zu regeln ist
[32]. Damit Lebensmittel nicht nur die Gesundheit nicht schädigen, sondern auch nicht zur Täuschung Anlass geben und möglichst frei von Fremdstoffen sind, verfügte der Bundesrat überdies mittels einer Reihe von Änderungen der Lebensmittelverordnung schärfere Deklarationsvorschriften und strengere Qualitätsgarantien
[33].
Trotz der neuen
Tierschutzgesetzgebung und der dazu gehörigen Verordnung von 1981 streben die Tierschützer primär im Bereich der Nutztierhaltung und der Tierversuche weitere Verbesserungen an
[34]. Aber auch seitens der Produzenten gibt man sich nicht zufrieden. Im Hinblick aufdie neuen Tierschutzvorschriften (z.B. schrittweise Anpassung und schliesslich Aufhebung der Batteriehaltung) zielten namentlich Vorstösse aus der Eier- und Geflügelwirtschaft auf einen besseren Schutz der eigenen Erzeugnisse vor Importwaren, die weniger strengen Auflagen unterliegen
[35].
[22] Vgl. SPJ, 1981, S. 89. Vgl. ebenfalls SPJ, 1978, S. 86 (Einreichung der Initiative) und 1980, S. 86.
[23] Amtl. Bull. NR, 1982, S. 790 ff., 1 504 ff. und 1826 ; Amtl. Bull. StR, 1982, S. 414 ff., 646 und 727 ; BBl, 1982, III, S. 1136 f. (Bundesbeschluss); vgl. ebenfalls SPJ, 1979, S. 95 f. sowie Ww, 16, 21.4.82. Zur Kritik an der Wirksamkeit der als indirekter Gegenvorschlag zur Futtermittelinitiative gedachten Revision des Landwirtschaftsgesetzes von 1979 vgl. TA, 113, 18.5.82; Vat., 301, 29.12.82.
[24] Amtl. Bull. NR, 1982, S. 802 f. und 807 (Voten der SVP-Bauernpolitiker Hofmann, BE, und Reichling, ZH); Amtl. Bull. StR, 1982, S. 415 f. (Gerber, svp, BE).
[25] Kommissionsinitiative: NZZ, 91, 21.4.82; 135, 15.6.82; 189, 17.8.82; BaZ, 222, 23.9.82. Motion: Amtl. Bull. NR, 1982, S. 786 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1982, S. 310 ff. (Motion Zumbühl, cvp, NW); die Motion wurde freilich von den Futtermittelinitianten als zuwenig weitgehend beurteilt; vgl. Amtl. Bull. NR, 1982, S. 788 f. (Votum Reichling, svp, ZH).
[26] BR : NZZ, 135, 15.6.82 ; 299, 23.12.82 ; TA, 135, 15.6.82. VKMB : NZZ, 28, 4.2.82 ; 262, 10.11.82 ; SGT, 36, 13.2.82; BaZ, 210, 9.9.82; vgl. auch Union, 8, 31.3.82.
[27] SGT, 36, 13.2.82; TA, 135, 15.6.82; 196, 25.8.82; Bund, 139, 18.6.82; BaZ, 210, 9.9.82; AT, 222, 23.9.82. Siehe ferner Domaine public, 630, 18.3.82; 644, 1.7.82.
[28] NZZ, 32, 9.2.82; IBZ, 44, 5.11.82; 46, 19.11.82; vgl. SPJ, 1977, S. 88 f. Vgl. ebenfalls BaZ, 254, 30.10.82, sowie Zentralverband schweiz. Milchproduzenten (Hrsg.), Die schweizerische Milchwirtschaft zu Beginn der achtziger Jahre, Bern 1982.
[29] AS, 1982, S. 601 ff. ; vgl. auch Presse vom 22.4.82 sowie ein überwiesenes Postulat Hari (svp, BE) zur Milderung von Härtefällen (Amtl. Bull. NR, 1982, S. 538). Zu Bestrebungen des ZVSM und der Verwaltung, die Milchkontingentierung durch einen Austausch von Kontingenten so zu verbessern, dass eine standortgerechtere Verlagerung der Milchproduktion in Gebiete ohne Alternative möglich wird, vgl. Vat., 290, 15.12.82.
[30] Suisse, 79, 20.3.82; VO, 16, 22.4.82; TA, 152, 5.7.82; NZZ, 180, 6.8.82; Union, 22, 18.8.82 ; vgl. auch Amtl. Bull. NR, 1982, S. 1814 (Interpellation Chopard, sp, AG). Zu einer Demonstration der UPS in La Chaux-de-Fonds, vgl. welsche Presse vom 8.4.82; Union, 10, 21.4.82.
[31] BBl, 1982, II, S. 106 ff. (Stellungnahme des BR); Amtl. Bull. NR, 1982, S. 679 ff. (Kenntnisnahme vom Bericht der GPK).
[32] Presse vom 11.11.82; vgl. ebenfalls Ww, 4, 27.1.82; Bund, 39, 17.2.82 sowie eine als Postulat überwiesene Motion des Genfer Tierarztes Tochon (cvp) in Amtl. Bull. NR, 1982, S. 1778 f.
[33] AS, 1982, S. 342 ff. und 1966 ff.; vgl. Presse vom 13.1. und 21.10.82; BaZ, 88, 16.4.82. Zu einem vorübergehenden Verkaufsverbot von spanischem Olivenöl vgl. oben, Teil I, 2 (Relations économiques bilatérales).
[34] Amtl. Bull. NR, 1982, S. 538 (überwiesenes Postulat Kunz, fdp, BE); BaZ, 230, 2.10.82; vgl. SPJ, 1982, S. 90. Vgl. ferner Civitas, 37/1982, S. 90 ff. Zu einer Kundgebung in Basel gegen Tierversuche vgl. BaZ, 231, 4.10.82; zu den Reaktionen der Pharma- und Chemieindustrie vgl. NZZ, 230, 4.10.82. Zu einer geplanten Konvention des Europarates über Tierversuche vgl. Presse vom 11.12.82; L'Hebdo, 52, 30.12.82.
[35] Bund, 66, 20.3.82 ; NZZ, 69, 24.3.82. Zu einer Auseinandersetzung um den Vorwurf der Firma Denner, vom bestehenden, privatrechtlich abgestützten Kostenausgleichsystem zugunsten einheimischer Geflügelproduzenten profitierten vorwiegend Grossmästereien, insbesondere die Migros-eigenen Vertragsproduzenten statt die eigentlichen Bauernbetriebe vgl. TA, 118, 25.5.82; Ww, 21, 26.5.82; NZZ, 126, 4.6.82.
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