Année politique Suisse 1982 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
 
Verkehrspolitik
In der schweizerischen Verkehrspolitik dominierten zwar auch in diesem Jahr die Auseinandersetzungen über einzelne Teilaspekte. Trotzdem ist mit der Verabschiedung von zwei Verfassungsartikeln durch den Bundesrat die Realisierung der Gesamtverkehrskonzeption (GVK) um einen wesentlichen Schritt nähergerückt. Die von der Landesregierung kurz vor Jahresende vorgestellten Leitlinien für eine gesamtheitliche Verkehrspolitik lehnen sich weitgehend an die von der Kommission für die GVK 1978 gemachten Vorschläge an. Für eine eingehende Darstellung und Beurteilung muss allerdings die im Berichtsjahr noch nicht erfolgte Publikation der zugehörigen Botschaft abgewartet werden. Herausragende Elemente der neuen Ordnung sind die gesamtheitliche Betrachtungsweise der Verkehrspolitik, die Verankerung des Grundsatzes der Eigenwirtschaftlichkeit, eine neue Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen und der Finanzierungsmodus. Bei letzterem sind für den privaten und den öffentlichen Verkehr getrennte Kassen vorgesehen, wobei nur bei gemeinsamen Aufgaben und in Ausnahmesituationen von diesem Prinzip abgewichen werden darf. Für den Privatverkehr ergibt sich gegenüber der bestehenden Ordnung keine Anderung. Die Hälfte des Treibstoffgrundzolls und. der Zollzuschlag sollen, neben allfälligen weiteren Abgaben zum Ausgleich von nicht gedeckten Kosten, für die Belange des Strassenverkehrs verwendet werden. Dem öffentlichen Verkehr soll ein Betrag im Ausmass von 5% der Steuer- und Zolleinnahmen des Bundes zur Verfügung gestellt werden. Erste Pressestimmen beurteilten den bundesrätlichen Vorschlag für eine gesamtheitliche Verkehrspolitik zwar vorwiegend positiv; herauszuhören war aber auch die Skepsis, ob angesichts der bestehenden harten Kampffronten das Projekt die Hürden der Kommissions- und Parlamentsberatungen sowie zum Schluss auch noch die Volksabstimmung unbeschadet meistern werde [1].
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Verkehrssteuern
Für die eidgenössischen Räte, welche sich kaum noch in dieser Legislaturperiode mit der Gesamtverkehrskonzeption befassen werden, stellte die Neuordnung der Verwendung der Treibstoffzölle und -zuschläge ein vordringliches finanz- und verkehrspolitisches Thema dar, galt es doch, die ergiebige Finanzquelle der Zollzuschläge (1981: ca. 1 300 Mio Fr.) nicht versiegen zu lassen. Der Bundesrat schlug dem Parlament vor, den Zuschlag in voller Höhe beizubehalten und seine Zweckbestimmung vom Nationalstrassenbau auf den allgemeinen Strassenbau zu erweitern. Beim Treibstoffgrundzoll musste die Regierung nach der Vernehmlassung auf die ursprünglich vorgesehene Aufhebung der Zweckbindung verzichten. Sie beantragte nur noch die Erhöhung des nicht gebundenen Anteils von 40 auf 50%, das heisst die Wiederherstellung der bis 1959 gültig gewesenen Regelung. Die Zweckbindung selbst wäre etwas zu lockern, um auch bauliche Massnahmen zur Entlastung des Strassennetzes und zur Verkehrsentflechtung zu finanzieren. Mit der Beibehaltung der Zweckbindung für die Hälfte des Grundzolls und dem Verzicht auf die Erweiterung der Zweckbindung auf bestimmte Bedürfnisse des öffentlichen Verkehrs entsprach die Vorlage weitgehend den Vorstellungen der Strassenverkehrsverbände. Um allfälligen grundlegenden Abänderungswünschen des Parlaments entgegenzutreten, sammelte der TCS in nur vier Monaten mehr als 140 000 Unterschriften für eine Volksinitiative, die — mit Ausnahme der Beibehaltung des zweckgebundenen Teils bei 60% — dem Regierungsvorschlag sehr nahe kommt. Die Versuche der Sozialdemokraten, zusätzliche Mittel für den öffentlichen Verkehr oder die Bundeskasse herauszuholen, hatten unter diesen Umständen weder im National- noch im Ständerat eine Chance. Hingegen präzisierte das Parlament die mit zweckgebundenen Geldern zu bestreitenden Massnahmen zur Verkehrsentflechtung, indem es neben dem in der Botschaft aufgeführten kombinierten Verkehr (Huckepack, Transport von begleiteten Motorfahrzeugen) auch die Errichtung von Bahnhofparkings (sogenannte Park-and-Ride-Anlagen) speziell erwähnte. Mit der Umleitung von Mitteln, welche der Nationalstrassenbau nicht mehr benötigt, auf den übrigen Strassenbau und den Nationalstrassenunterhalt werden die Kantone im Ausmass von etwa 400 Mio Fr. pro Jahr entlastet. Die aus diesem Grund vom Bundesrat postulierte Kompensationspflicht der Kantone durch die Übernahme von Aufgaben in andern Bereichen fand jedoch — nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen — im Parlament keine Zustimmung [2].
Die Umweltschutzorganisationen lehnten in ihrer Mehrheit die Neuordnung rundweg ab. Ihrer Meinung nach führt der durch zweckgebundene Abgaben ausgelöste Finanzierungsmechanismus zu einer Fortsetzung des expansiven Strassenbaus, ohne dass vorgängig dessen Notwendigkeit und Wünschbarkeit abgeklärt wird. Eine Bestätigung ihrer Befürchtungen erkannten sie darin, dass der Ständerat bereits mit einer Motion die Aufnahme neuer Strassenzüge in das vom Bund subventionierte Strassennetz forderte [3].
Die Automobilistenverbände — mit Ausnahme des «grünen» VCS — stellten sich demgegenüber voll hinter die Parlamentsbeschlüsse, was angesichts der Mitgliederstärke dieser Organisationen der Vorlage für die Volkabstimmung gute Erfolgsaussichten zusichert. Trotzdem zog der TCS seine Initiative nicht zurück. Er beabsichtigt sie auch während der Beratungen über die Gesamtverkehrskonzeption als Druckmittel in der Hinterhand zu halten [4].
Neuen Zündstoff hat die Kontroverse um die Einführung einer Schwerverkehrssteuer erhalten. Bisher war deren Berechtigung mit der in der Strassenrechnung ausgewiesenen massiven Kostenunterdeckung dieser Fahrzeugkategorie begründet worden. Ein vom EDI in Auftrag gegebenes Gutachten schlägt jedoch wesentliche Änderungen bei der Strassenrechnung vor. Würde man diesen folgen, ergäbe sich für den Schwerverkehr ein Überschuss. Dies rührt davon her, dass erstens bei der Verrechnung der gewichtsabhängigen Reparaturkosten Irrtümer entdeckt wurden. Zweitens wird ein grösserer Teil der ungedeckten Kosten einer neu zu schaffenden Kategorie «ausländische Fahrzeuge» überbürdet. Schliesslich begünstigt die Verteilung der nicht gewichtsabhängigen Kosten nach der neuen Methode der «dynamischen Flächenbeanspruchung» den Schwerverkehr zulasten der Personenwagen [5].
Das Strassentransportgewerbe verwendete diese Expertenvorschläge geschickt in seiner Lobbytätigkeit. Trotzdem stimmte die Kleine Kammer eher überraschend der Schaffung einer Verfassungsgrundlage für die dauernde Erhebung einer Schwerverkehrsabgabe zu. Sie ging damit über den Nationalrat hinaus, der nur eine befristete und sehr mässige Pauschalabgabe, der der Ständerat als Übergangslösung ebenfalls zugestimmt hat, nicht aber die von der Exekutive beantragte Dauerlösung mit einer leistungsabhängigen Abgabe beschlossen hatte [6]. Da der Nationalrat mit der Differenzbereinigung zuwarten will, bis die Stellungnahme des Bundesrates zu den Empfehlungen betreffend die Neugestaltung der Strassenrechnung vorliegt, bleibt das Geschäft einstweilen in der Schwebe. Ein gewisser terminlicher Druck wird immerhin durch die im Berichtsjahr eingereichte Volksinitiative des VCS für die Einführung einer Schwerverkehrssteuer ausgeübt [7].
Eindeutig weniger umstritten ist die Beschaffung neuer Gelder mittels einer Autobahnbenützungsgebühr (Vignette). Gleich wie der Nationalrat stimmte auch die Ständekammer einer Verfassungsgrundlage für die Erhebung dieser Abgabe zu, wobei allerdings noch einige Differenzen auszuräumen bleiben [8]. In den Hintergrund getreten ist hingegen die Idee einer Durchfahrtsgebühr für die beiden grossen Alpentunnel im Nationalstrassennetz. Nachdem sie bei andern politischen Gruppierungen für ihr Anliegen kaum Unterstützung gefunden hatte, stellte die CVP des Kantons Aargau die Unterschriftensammlung für eine entsprechende Volksinitiative ein [9].
Obwohl der Privatverkehr seine Wegekosten seit längerem nicht mehr aus eigenen Mitteln zu bestreiten vermag, zeigte sich in mehreren Kantonen, dass die Automobilisten und ihre Verbände in der Regel nicht bereit sind, auch nur eine Anpassung der Motorfahrzeugsteuern an die Geldentwertung zu akzeptieren. In Schaffhausen beschlossen die Stimmbürger, diese Abgaben auf dem Stand von 1968 zu belassen; in Basel ergriff der TCS erfolgreich das Referendum gegen eine geplante Erhöhung, und in Zürich drohte er damit [10].
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Sommerzeit
An die in erster Linie mit den Erfordernissen des Verkehrs in bezug auf die zeitliche Koordination mit dem übrigen Europa begründete Einführung der Sommerzeit hatte sich in ihrem zweiten Geltungsjahr offensichtlich ein Grossteil der Bevölkerung gewöhnt. Sie wird aber weiterhin politisches Thema bleiben, da die SVP des Kantons Zürich im Herbst eine Volksinitiative für ein Verbot dieser Zeitumstellung lancierte [11].
 
[1] Presse vom 18.11.82. Vgl. auch SPJ, 1978, S. 98 f. und 1979, S. 109, sowie AT, 296, 18.12.82. Siehe ebenfalls K. Huber, «Chancen und Schwierigkeiten von Gesamtkonzeptionen im schweizerischen Staatssystem», in Jahrbuch der eidgenössischen Behörden, Bern 1982, S. 165 ff. Zur Verkehrspolitik im allgemeinen siehe auch LITRA, Jahresbericht 1981/82 sowie das vom Institut für Verkehrswirtschaft an der Hochschule St. Gallen erstmals herausgegebene Jahrbuch der Schweizerischen Verkehrswirtschaft. Eine besser koordinierte und weniger sektorielle Verkehrspolitik erhofft man sich auch von der Verschiebung des BA für Strassenbau vom EDI ins EVED, wie sie das Parlament im Rahmen der Revision des Verwaltungsorganisationsgesetzes beschloss (BBl, 1982, I, S. 1169 ff. ; Amtl. Butt. NR, 1982, S. 1371 ff., 1415 ff. und 1478; Amtl. Bull. StR, 1982, S. 715 ff. und 726; AS, 1982, S. 2267 ff.).
[2] BBl, 1982, I, S. 1345 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1982, S. 820 ff., 1199 ff. und 1479; Amtl. Bull. StR, 1982, S. 387 ff., 491 und 557; BBl, 1982, III, S. 125 f. Vgl. auch SPJ, 1981, S. 103 sowie oben, Teil I, 5 (Einnahmeerhöhungen). TCS-Initiative: BBl, 1982, II, S. 492 ff. und III, S. 1010 ff.; Ww, 2, 1.9.82; BaZ, 19, 23.1.82. In St. Gallen unternimmt die SP auf kantonaler Ebene den Versuch, die Zweckbindung der Motorfahrzeugsteuern zugunsten des öffentlichen Verkehrs zu lockern. Zu der im Berichtsjahr eingereichten Initiative nahm der Regierungsrat ablehnend Stellung (SGT, 64, 18.3.82; 258, 5.11.82; Vr, 121, 25.6.82).
[3] Vr, 195, 7.10.82; SGU-Bulletin, Nr. 4, Dezember 1982, S. 2 f. Einzig der Schweiz. Naturschutzbund scherte aus und beschloss Stimmfreigabe (TA, 295, 18.12.82). Auf die Volksabstimmung vom 27.2.1983, in welcher die Neuordnung gutgeheissen wurde, und auf die vorangegangene Kampagne werden wir in unserer nächsten Jahreschronik eingehen. Motion des Ständerats: Amtl. Bull. StR, 1982, S. 404 f.
[4] TCS: TA, 284, 6.12.82; ACS: NZZ, 282, 3.12.82.
[5] NZZ, 160, 14.7.82; Vr, 212, 1.11.82. Auch in der für sie günstigsten Variante der Strassenrechnung (mit voller Berücksichtigung der Treibstoffzölle) war 1980 bei den Personenwagen erstmals die Deckung der Wegekosten nicht mehr gewährleistet, nachdem der Strassenverkehr als Ganzes schon seit 1974 in den roten Zahlen ist (wf, Dok., 37, 13.9.82). Der BR beauftragte das EVED mit der Abklärung der Möglichkeit des Einbezugs der sozialen Kosten in die Strassenrechnung (NZZ, 245, 21.10.82).
[6] SPJ, 1981, S. 103 f. und 1980, S. 98 f.; Amtl. Bull. StR, 1982, S. 312 ff.; TA, 149, 1.7.82; 252, 29.10.82; 253, 30.10.82.
[7] BaZ, 156, 8.7.82; TA, 256, 3.11.82. Initiative: BBl, 1982, III, S. 1007 ff.; siehe auch SPJ, 1981, S. 104.
[8] Amtl. Bull. StR, 1982, S. 333 ff. und 339 f.; vgl. ebenfalls SPJ, 1981, S. 104.
[9] NZZ, 39, 16.2.82; BaZ, 19, 16.2.82; BBl, 1982, II, S. 897; vgl. auch SPJ, 1981, S. 104.
[10] Schaffhausen: NZZ, 270, 19.11.82; 278, 29.11.82 (10 541 Ja: 17 742 Nein). Basel: BaZ, 126, 3.6.82; 127, 4.6.82; 163, 16.7.82; 251, 27.10.82 und 255, 1.11.82 (19 661 Ja: 23 564 Nein). Zürich: NZZ, 273, 23.11.82; 294, 17.12.82; der letzte Erhöhungsversuch war hier 1978 am Volksverdikt gescheitert (SPJ, 1978, S. 104).
[11] BBl, 1982, II, S. 968 ff.; TA, 78, 3.4.82; 202, 1.9.82; TLM, 268, 25.9.82 und SPJ, 1981, S. 105.