Année politique Suisse 1982 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung
Grund- und Mittelschulen
Zum Zwecke der Koordination auf der Stufe der Primar- und Mittelschulen war 1970 ein Konkordat gegründet worden, das den einheitlichen
Spätsommerschulbeginn anstrebte. In den Kantonen Zürich und Bern kamen im Juni Vorlagen vor's Volk, deren Annahme den Durchbruch in der deutschen Schweiz bedeutet hätte. Wie in früheren Volksentscheiden wurden die Vorlagen jedoch recht deutlich verworfen. Die angeführten Argumente pro und kontra sind altbekannt; es scheint, dass in den Abstimmungen viel Unterschwelliges mitentscheidend gewesen ist. Mit dem Verspielen dieser «letzten Chance» fand das« föderalistische Trauerspiel», wie die Presse titelte, ein Ende
[8]. Unverzüglich wurden die Arbeiten für eine Bundeslösung an die Hand genommen. Die Nationalratskommission zur Behandlung der Volksinitiative, der drei Standesinitiativen sowie der parlamentarischen Einzelinitiative zur Vereinheitlichung des Schulwesens schlug dem Bundesrat vor, den Schuljahrbeginn einheitlich auf den Herbst festzulegen. Der Bundesrat schickte daraufden Entwurf für eine Verfassungsänderung in die Vernehmlassung, die den Termin auf «zwischen Mitte August und Mitte Oktober» fixieren will, womit er die Formulierung aus dem Schulkoordinationskonkordat übernommen hat. Bereits ist Opposition gegen diesen zentralstaatlichen Lösungsversuch angemeldet worden
[9].
Diese Kontroverse verhinderte, dass alle Kräfte auf das eigentliche Ziel der inneren Koordination, die nach wie vor auf Konkordatsebene angestrebt wird, konzentriert werden konnten. Im Bereich der Abstimmung von Rahmenlehrplänen und Lehrmittel konnte die Pädagogische Kommission der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) Teilerfolge erzielen. Auch wurden erste Ergebnisse des Hauptreformprojektes Sipri (Überprüfung der Situation der Primarschulen) vorgelegt
[10].
Zur Verwirklichung der
Chancengleichheit für Mädchen und Knaben wurden wichtige Schritte getan. In verschiedenen Kantonen sind Gesetzesrevisionen im Gange, die auf Empfehlung der EDK diesem Grundsatz Rechnung tragen wollen. Anderseits setzten sich auch gewerkschaftliche und feministische Kreise für gleiche Erziehung und Ausbildung von Mädchen und Buben ein. An einem nationalen Aktionstag wurde Bilanz gezogen. Über zwei Fälle von Ungleichbehandlung musste schliesslich das Bundesgericht befinden
[11].
Die
privaten Bildungsinstitute, die insgesamt rund 100 000 Schüler umfassen, beschlossen, die Öffentlichkeitsarbeit zu fördern. Als zentrale Aufgabe bezeichnete die Arbeitsgemeinschaft Schweizerischer Privatschulen, der auch die konfessionellen Schulen angehören, die staatliche Anerkennung durch Verankerung im Bildungsartikel und in den kantonalen Schulgesetzen. Das amerikanische System der Bildungsgutscheine, das die freie Schulwahl garantieren soll, wurde vermehrt diskutiert
[12].
Auf Mittelschulstufe stand die Diskussion um eine
Reduktion der Maturitätstypen und Maturitätsfächer im Vordergrund. Zwar wurde mehrheitlich eine Vereinfachung gewünscht, aber nur wenige Erziehungsdirektionen konnten sich für einen der EDK-Vorschläge erwärmen
[13]. Diesen Reduktionsbestrebungen entgegen lief der Vorstoss der Mittelschulturnlehrer, die prüfen wollen, ob Sport zum Maturfach erklärt werden soll
[14].
Eine Anpassung der Maturitätsanerkennungsverordnung ist auch nötig geworden, um den gebrochenen Bildungsgang (Anschluss an die Sekundarstufe I), die Erwachsenenmatura und den veränderten Fächerkatalog zu regeln. In diesem Sinne beantragte die EDK, die längerfristig eine Totalrevision anstrebt, dem EDI eine Teilrevision
[15].
Am Notendruck und den
Selektionsmechanismen, insbesondere beim Übertritt von der Primar- zur Sekundarstufe, entfachten sich von neuem Diskussionen. Aufsehen erregte das Plädoyer eines Genetikers für eine selektionsfreie Schule
[16]. Die Gewerkschaft Erziehung lancierte in Solothurn eine Volksinitiative «Bildung ohne Selektion und Konkurrenzkampf»
[17]. In Bern wurde eine POCH-Initiative «Fördern statt auslesen» vom Souverän deutlich verworfen
[18]. Eine Initiative des LdU, die den prüfungsfreien Übertritt in die Realschule forderte, wurde vom Schafthauser Volk abgelehnt. Die Erziehungsdirektion des Kantons Bern hat im Sommer 1982 Grundsätze zur Entwicklung des bernischen Bildungswesens in die Vernehmlassung geschickt, die im Bereich der Selektionierung ebenfalls wichtige Änderungen postulieren
[19]. Im Kanton Basel-Stadt lehnte der Regierungsrat in einem Antrag an den Grossen Rat zwei in den letzten Jahren eingereichte Begehren ab, die eine Verlängerung der Primarschule und eine 3jährige Orientierungsstufe verlangen
[20]. Die Selektionsprüfungen auf die Zeit nach dem 4. Schuljahr herausschieben will auch eine Initiative in der Waadt, die eine Beobachtungsstufe im 5. und 6. Schuljahr anstrebt
[21].
In Genf wurde eine Initiative für ein schulfreies Wochenende in der Volksabstimmung klar abgelehnt. Das Begehren hätte die Viertagewoche gebracht, da nach französischem Vorbild bereits der ganze Donnerstag schulfrei ist
[22]. In der Waadt hingegen stimmte der Grosse Rat, einem Volksbegehren Rechnung tragend, einem Gesetzesentwurf über die schulische
Fünftagewoche zu und legte den Einführungstermin auf den August 1983 fest. Das Schulpensum soll dabei nicht reduziert werden
[23].
Die
Revision der kantonalen Schulgesetze kam z.T. nur langsam voran. Die schulpolitischen Ansichten waren oft so widersprüchlich, dass Kompromissvorlagen an einer heterogenen Opposition scheiterten. So wurde im Kanton Neuenburg ein Schulgesetz, aus dem die strittige Frage der Orientierungsstufe bewusst ausgeklammert worden war, vom Volk deutlich verworfen
[24]. Nicht besser erging es einem totalrevidierten Schulgesetz im Kanton Graubünden. Obwohl alle bürgerlichen Parteien das Gesetz unterstützten, scheint eine gewisse Angst vor zuviel Zentralisierung die Vorlage zu Fall gebracht zu haben
[25]. Die Totalrevision des Berner und des Walliser Schulgesetzes ging nur langsam voran
[26]. Einige bemerkenswerte Veränderungen sind im Entwurf für ein totalrevidiertes Schulgesetz des Kantons Tessin enthalten, das der Vernehmlassung zugeleitet wurde. Familie und Gemeinschaft sollen stärker als bisher Mitsprache- und Mitentscheidungsrechte erhalten. In der Verwaltungsstruktur sind unter anderem Schüler- und Elternversammlungen vorgesehen
[27].
[8] Vgl SPJ, 1980, S. 144; 1981, S. 152; Mitteilungen der Schweiz. Dokumentationsstelle für Schul- und Bildungsfragen... (abgekürzt: Mitteilungen), 21/1982, Nr. 81/82, S. 3 f.; Presse vom 7.5.82 und 7.6.82; TA, 114, 19.5.82; 125, 3.6.82; NZZ, 120, 27.5.82.
[9] NZZ, 134, 14.6.82; 223, 25.9.82; 231, 5.10.82; 265, 13.11.82; TA, 192, 20.8.82.
[10] BaZ, 165, 19.7.82; TA, 178, 4.8.82.
[11] SGT, 30, 6.2.82; TA, 141, 22.6.82; Suisse, 174, 23.6.82.
[12] Vgl. SPJ, 1981, S. 153; SGT, 62, 16.3.82; Bund, 225, 27.9.82; NZZ, 229, 2.10.82; 269, 18.11.82.
[13] LNN, 113, 17.5.82; TA, 132, 11.6.82; NZZ, 163, 17.7.82.
[15] Mitteilungen, 21/1982, Nr. 81/82, S. 23 f.; NZZ, 254, 1.11.82.
[16] TA, 52, 4.3.82; 64, 18.3.82; 69, 24.3.82.
[18] Bund, 265, 12.11.82.
[21] 24 Heures, 46, 25.2.82; 113, 17.5.82.
[22] Suisse, 56, 25.2.82; 59, 28.2.82; 61, 2.3.82; JdG, 55, 8.3.82.
[23] Vgl. SPJ, 1980, S. 145 f.; 24 Heures, 214, 14.9.82; 215, 15.9.82; 220, 22.9.82.
[24] TLM, 294, 21.10.82; 333, 29.11.82.
[25] NZZ, 55, 8.3.82; 56, 9.3.82.
[26] Wallis: 24 Heures, 74, 30.3.82x256, 3.11.82. Bern: TW, 172, 173, 176, 182, 188, 27.7.-14.8.82.
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