Année politique Suisse 1982 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
 
Kultur
In Erwartung weitreichender Entscheidungen im Bereich der Kulturpolitik [1] (Kulturinitiative, Kulturartikel in totalrevidierter Bundesverfassung) wurden als Ausdruck eines offenbar geschärften Bewusstseins um deren Bedeutung verschiedentlich grundsätzliche Stellungnahmen formuliert. Dabei bezogen sich viele, meist zustimmend, auf einen erweiterten Kulturbegriff, wie er vom Europarat und von der UNESCO definiert worden ist. Kultur wäre demnach alles, was dem Einzelnen erlaubt, sich gegenüber der Welt, der Gesellschaft und seiner Umgebung zurechtzufinden, diese zu verstehen und allenfalls zu verändern. Eine darauf basierende Kulturpolitik müsste jedem die Möglichkeit zu eigenständiger persönlicher Selbstentfaltung geben. Ein umsichtiger Kritiker dieser «kulturellen Demokratie» mahnte jedoch, dass ein so stark erweiterter Kulturbegriff die Gefahr in sich birgt, seines Inhalts entleert zu werden und eine einigermassen klar umgrenzte Kulturpolitik zu erschweren oder zu verunmöglichen [2]. Die Auseinandersetzung um den «richtigen» Kultur- und Kunstbegriff ist deshalb auch eine Auseinandersetzung um die Förderungswürdigkeit durch den Staat und andere Institutionen, wie eine Diskussion an der Generalversammlung der Nationalen UNESCO-Kommission in Winterthur zeigte. Diese verabschiedete sieben Thesen zur Stellung des künstlerisch Tätigen, die diejenigen kulturpolitischen Traktanden begleiten sollen, die zur Diskussion anstehen. Die Thesen befassen sich namentlich mit der Achtung der Freiheit der Kunstschaffenden aller Sparten durch den Staat sowie deren materielle Garantie durch entsprechende Förderungsmassnahmen [3]. Kultur- und Kunstförderungsentscheide sollten dabei nicht politisch motiviert sein, wie der Direktor des Bundesamtes für Kulturpflege, F. Dubois, bei anderer Gelegenheit forderte. Für den Regierungsrat des Kantons Zürich sind hingegen politische Kriterien durchaus von Bedeutung. Er ist im Prinzip zur Unterstützung von oppositionellen Kulturschaffenden bereit, gedenkt diesen Vorsatz aber vorderhand nicht allzu häufig anzuwenden. So verweigerte er dem Schriftsteller und Kabarettisten Franz Hohler eine Ehrengabe aus dem kantonalen Literaturkredit wegen dessen kritischen Äusserungen zur Atomenergie. Erziehungsdirektor Gilgen soll in diesem und in einem früheren Fall den Vorschlag der Literaturkommission unterstützt haben, im Regierungskollegium jedoch überstimmt worden sein [4]. Eine traditionelle kulturpolitische Leitlinie markierte im weitern der schweizerische Delegationsleiter alt Botschafter E. Thalmann an der zweiten Weltkulturkonferenz in Mexico, als er sich gegen eine staatliche Instrumentalisierung der Kultur und für den Föderalismus aussprach, der allein eine diversifizierte Kulturförderung und ein friedliches Zusammenleben aller Kulturgruppen gewährleisten könne. Thalmanns Plädoyer für das schweizerische Modell wurde im eigenen Land entgegengehalten, dass der Jurakonflikt, das Verhältnis der Deutschschweiz zur Romandie und zum Tessin sowie die kulturelle Ode in weiten Gebieten durchaus auch ein föderalistisches Ungenügen signalisierten [5].
Die im Vorjahr eingereichte «Eidgenössische Kulturinitiative» verlangt jedenfalls eine umfassende Neuorientierung der eidgenössischen Kulturpolitik und eine rasche Verstärkung der Kulturförderung des Bundes. Ihre Urheber wollen allerdings nicht, dass sich die Debatte auf das in der Initiative verlangte Kulturprozent beschränkt, sondern möchten einer weiten Fassung des Kulturbegriffs im Sinne einer verbesserten, auch immateriellen Lebensqualität zum Durchbruch verhelfen. Auf der Basis eines autonom durchgeführten Vernehmlassungsverfahrens legten sie dazu ein entsprechendes Bündel von kulturpolitischen Forderungen vor, das namentlich auch die Aus- und Weiterbildung sowie die soziale Sicherheit der Kulturschaffenden betont. Der Bundesrat führte seinerseits über die Grundanliegen der Initiative wie über deren Text, verbunden mit einer Erhebung über die gegenwärtigen Kulturförderungsmassnahmen, eine Vernehmlassung durch. Erste Ergebnisse zeigten eine weitgehende Ablehnung der Initiative durch die Kantone [6].
1982 wurden aber auch konkrete kulturpolitische Entscheide gefällt. Der Jahresbeitrag an die 1920 gegründete Stiftung Schweizerische Volksbibliothek wurde von bisher linear gekürzten 500 000 Fr. auf höchstens 1 Mio Fr. erhöht, je nach Massgabe ihrer reellen Bedürfnisse und der Mittel, die sie selbst aufzutreiben imstande ist. Für die Erneuerung des Bücherbestandes und für die Einrichtung eines Bibliozentrums der Deutschen Schweiz soll sie zudem aus dem Prägegewinn einer Sondermünze einen einmaligen Beitrag von 1 Mio Fr. erhalten. Der entsprechende Bundesbeschluss, der rückwirkend auf den 1. Januar 1982 in Kraft gesetzt wurde und bis zum 31. Dezember 1987 gelten soll, wurde von den beiden Räten oppositionslos gutgeheissen [7]. Neben Bibliotheken zählen auch die Museen zu den kulturellen Institutionen. In Winterthur öffnete nach vierjähriger Bauzeit das Technorama seine Tore, das als erstes allgemeintechnisches Museum bedeutende Dokumente der schweizerischen Technik- und Industriegeschichte bewahrt. Für die Restaurierung und Herrichtung des Schlosses Prangins bei Nyon, das die Kantone Waadt und Genf der Eidgenossenschaft geschenkt hatten, genehmigte der Bundesrat einen Projektierungskredit von 460 000 Fr. Das Schloss soll als westschweizerischer Sitz des Landesmuseums dienen [8].
Unvermindert prekär präsentiert sich die Situation beim Film. Spielfilmprojekte lassen sich auch mit einem maximalen Bundesbeitrag kaum mehr realisieren, weil die Restfinanzierung nicht gesichert werden kann. Deshalb müssen häufig ausländische Förderungsgremien und Fernsehanstalten das Zustandekommen garantieren, womit jedoch auch umfangreiche Rechtsabtretungen notwendig sind. Der zu über 53% vom Ausland abhängige Schweizer Film kann deshalb kaum mit finanziellen Rückflüssen aus den Nachbarstaaten rechnen. Um die Produktion überhaupt noch zu ermöglichen, erhöhte der Bundesrat den maximalen Einzelbeitrag an ein als wertvoll eingestuftes Produktionsvorhaben von bisher 300 000 Fr. auf 10% des jährlichen Filmkredits. Dieser wurde zudem mit dem Budget für 1983 auf 4,592 Mio Fr. erhöht und bleibt weiterhin nur zu 5% von der linearen Subventionskürzung betroffen.'Im weitern ermächtigte der Bundesrat das EDI, ein Vernehmlassungsverfahren zu einer Teilrevision des Filmgesetzes durchzuführen. Als wichtigste Neuerung soll anstelle des EDI eine unabhängige zwölfköpfige Filmförderungskommission in letzter Instanz über Förderungsbeiträge entscheiden. Deren Beschlüsse sollen nicht mehr an den Bundesrat, sondern an die Pro Helvetia-Rekurskommission weitergezogen werden können. Finanzielle Forderungen wurden auch in andern kulturellen Sparten erhoben. Ein erstes schweizerisches Dramatikertreffen in Bern stellte ein eigenes Förderungsmodell vor, namentlich mit Autorenstipendien, und verlangte ein verstärktes finanzielles Engagement vom Bund und von den Städten und Kantonen mit jährlich subventionierten Theatern [9].
 
[1] Allgemein zur Kulturpolitik: A. Fisch, «Staat und Kultur. Kulturpolitik in einer Zeit abhanden gekommenen Staatsbewusstseins», in Schweizer Monatshefte, 62/1982, S. 693 ff.
[2] Vgl. W. Martel, «Grundlagen staatlicher Kulturpolitik, insbesondere des Bundes», in Schweiz. Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung, 83/1982, S. 101 ff.
[3] NZZ, 112, 17.5.82; 114, 19.5.82; 122, 29.5.82; TA, 112, 17.5.82 ; JdG, 117, 22.5.82.
[4] Dubois: JdG, 20, 26.1.82. Fall Hohler: TA, 272, 22.1 1.82 ; 273, 23.11.82 ; NZZ, 273, 23.11.82. Die kantonale Literaturkommission trat aus Protest zurück. Vgl. SPJ, 1981, S. 160.
[5] NZZ, 177, 3.8.82; 24 Heures, 178, 3.8.82; TA, 184, 11.8.82; BaZ, 194, 21.8.82.
[6] Initianten : JdG, 155, 7.7.82; NZZ, 154, 7.7.82; TA, 154, 7.7.82; BaZ, 156, 8.7.82; Bund, 157, 9.7.82; vgl. SPJ, 1981, S. 159. Ähnliche Postulate wie die Forderungen der Initianten enthält die UNESCO-Empfehlung über die Stellung der künstlerisch Tätigen; vgl. NZZ, 112, 17.5.82; SPJ, 1980, S. 155. Bundesrat: Presse vom 19.8.82; Ww, 34, 25.8.82; BBl, 1982, III, S. 70. Stellungnahmen: NZZ, 288, 10.12.82; 295, 18.12.82; 298, 22.12.82; 299, 23.12.82; TLM, 358, 24.12.82; Vat., 298, 24.12.82; BaZ, 306, 31.12.82. Vor allem die Prozentklausel stiess dabei auf Ablehnung; ähnlich erging es einer stadtzürcherischen «Pop-Initiative», die einen Anteil von 1% aus dem Kulturkredit für bestimmte Musiksparten verlangt. Sie wurde vom Gemeinderat an den Stadtrat (Exekutive) zurückgewiesen, bei Ablehnung von dessen Projekt einer Pop-Halle; vgl. NZZ, 257, 4.11.82; SPJ, 1981, S. 161.
[7] BBl, 1982, II, S. 349 ff., III, S. 1142 f. ; Amd. Bull. StR, 1982, S. 429 ff.; Amtl. Bull. NR, 1982, S. 1709, S. 1826; NZZ, 115, 21.5.82; 222, 24.9.82; 264, 12.11.82; Bund, 117, 22.5.82; BaZ, 223, 24.9.82; Presse vom 15.12.82.
[8] Technorama: BaZ, 103, 5.5.82; NZZ, 105, 8.5.82; Presse vom 10.5.82; vgl. SPJ, 1978, S. 144. Schloss Prangins: Presse vom 22.4.82; vgl. SPJ, 1980, S. 155.
[9] Situation beim Film: T. Maurer, Die Filmmanufaktur. Kleine ökonomische Entwicklungsgeschichte des neuen Schweizer Films, Zürich 1982; BaZ, 9, 12.1.82; Vat., 11, 15.1.82; NZZ, 17, 22.1.82. Filmkredit: erhöhter Einzelbeitrag: AS, 1982, S. 1656; NZZ, 219, 21.9.82; Vat., 219, 21.9.82; erhöhter Jahreskredit: Botschaft des BR... zum Voranschlag... für das Jahr 1983, S. 11; NZZ, 282, 3.12.82; 287, 9.12.82; Subventionskürzung: AS, 1982, S. 1572 ff. Revision Filmgesetz: Presse vom 21.12.82; vgl. SPJ, 1981, S. 160. Dramatikertreffen: Bund, 129, 7.6.82; TW, 130, 8.6.82.