Année politique Suisse 1982 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
Sprachen
In einer besonderen kulturell-sprachlichen Situation befinden sich die Kantone
Graubünden und Tessin. Eine gemeinsame beratende Schweizerisch-italienische Kommission für Kulturfragen, deren Einsetzungsprotokoll zu Jahresbeginn unterzeichnet wurde, soll die kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Kantonen mit den in den Regionen Lombardei und Piemont beheimateten kulturellen Institutionen fördern. Im Rahmen der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen genehmigte der Ständerat ein neues Bundesgesetz über Beiträge an die Kantone Graubünden und Tessin zur Förderung ihrer Kultur und Sprache, das die bisher in dieser Sache gültigen Erlasse ersetzt. Teilweise auch als Kompensation für die mit der Aufhebung der Primarschulsubventionen wegfallenden Sprachzuschläge erhalten die Kantone Graubünden und Tessin neu Direktbeiträge von 3 bzw. 2 Mio Fr. Vom Beitrag an Graubünden sind 1,5 Mio Fr. für den rätoromanischen Dachverband Ligia Romontscha/Lia Rumantscha (LR) und 450 000 Fr. für denjenigen der Italienischbündner, Pro Grigioni Italiano (PGI), bestimmt, unter der Voraussetzung, dass der Kanton Graubünden selbst einen Beitrag von 400 000 Fr. an die LR und von 100 000 Fr. an die PGI leistet. Aufgrund des Berichts einer Arbeitsgruppe über Zustand und Zukunft des Rätoromanischen und des Italienischen in Graubünden fasste die Landesregierung erste grundsätzliche Beschlüsse zu künftigen weitergehenden Massnahmen. So sollen das Rätoromanisch als Maturitätsprüfungsfach anerkannt und wichtige eidgenössische Erlasse und Amtsdruckschriften, wie auch solche der PTT, in diese Sprache übersetzt werden. Andere Vorschläge werden zurzeit geprüft, wie die Errichtung von Lehrstühlen für rätoromanische Sprache und Kultur an der ETH, der Ausbau von Radio-und Fernsehprogrammen und die Schaffung vermehrter Arbeitsplätze in den entsprechenden Bündnertälern
[10].
Weitergehende Forderungen enthält die von Nationalrat Longet (sp, GE) eingereichte parlamentarische Initiative, die die
Anerkennung des Rätoromanischen als Amtssprache und Bundesmassnahmen zur Erhaltung von bedrohten Sprachgemeinschaften und ihres Gebietes verlangt. Ausserdem schlug die Vereinigung Helvetia Latina die Gründung eines nationalen Solidaritätsfonds zur Erhaltung rätoromanischer Sprache und Kultur vor und die Parlamente der Kantone Genf (durch Überweisung einer entsprechenden Motion) und Jura bewilligten Kredite von 87 000 bzw. 15 000 Fr. (je 25 Rappen pro Einwohner) zur Erhaltung der vierten Landessprache
[11].
Sie illustrierten damit ein offenbar im Entstehen begriffenes
Gemeinschaftsbewusstsein der Lateinischen Schweiz. Dessen Herausbildung war auch Thema einer umstrittenen Publikation, die sich entschieden gegen Föderalismus, Zweisprachigkeit und das Verständnis zwischen den Sprachgruppen vermittelnde Institutionen wendet und dagegen den allerdings nicht neuen Gedanken der
Volkstumsblöcke mit einem Vetorecht der ethnischen Minderheiten portiert. Obwohl diese Konzeption in der Westschweiz weitgehend auf Ablehnung stiess, scheinen auch besonnene Kreise den Eindruck zu haben, dass der Föderalismus allein zum Schutze der sprachlichen Eigenart nicht mehr genügt
[12]. Immerhin werden die Beziehungen zwischen den Sprachgruppen auch vom Bundesrat als mögliches Problem anerkannt. Er befürwortete ein Postulat der Fraktion der CVP zur Einsetzung einer Expertenkommission, die Vorschläge zur Erhaltung und Förderung des Sprachfriedens ausarbeiten soll. Als konkrete Massnahme gewährte er dem Kanton Solothurn aus dem Prägegewinn einer Gedenkmünze einen Beitrag von 1 Mio Fr. zur Herrichtung des Schlosses Waldegg als Begegnungszentrum der Sprachregionen
[13].
Im weitern setzte die Landesregierung eine interdepartementale Arbeitsgruppe ein, welche die Frage der
Dezentralisierung der Bundesverwaltung, der auch verschiedene parlamentarische Vorstösse galten, gesamtheitlich studieren soll
[14].
[10] Kommission: NZZ, 23, 29.1.82; 31, 8.2.82; 33,10.2.82 ; 99, 30.4.82; 139, 19.6.82; 24 Heures, 140, 19.6.82. Neues Bundesgesetz: BBl, 1981, III, S. 737 ff.; Amtl. Bull. StR, 1982, S. 584 ff. und S. 607 ff. (insbes. S. 621 ff.); NZZ, 135, 8.7.82; 245, 21.10.82; 282, 3.12.82; 24 Heures, 245, 21.10.82; Vat., 281, 3.12.82; vgl. SPJ, 1981, S. 161 f. ; die bisherigen Beiträge beliefen sich auf 640 000 Fr. für LR und PGI und auf 1,5 Mio Fr. an den Kanton Tessin. Weitere Massnahmen: Presse vom 22.12.82. Lehrstuhl an Universität: vgl. auch oben, Teil I, 8a (Hochschulen). Publikationen zur Sprachenfrage in Graubünden: verschiedene Beiträge zur Situation des Rätoromanischen in Mitteilungen/Neue Helvetische Gesellschaft, 1982, S. 3 ff; A. Krättli, «Rätoromanisch — bedrängt und eingeengt», in Schweizer Monatshefte, 62/1982, S. 382 ff.; «Sprachenrecht-Verfassungsgerichtsbarkeit. Graubünden. Sprache des Gerichtsverfahrens», in Schweiz. Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung, 83/1982, S. 356 ff.; J.-J. Friedli, «Landessprache Ja — Amtssprache Nein? Zur Verwendung des Rätoromanischen in der amtlichen Statistik», in Forum Statisticum, 1982, Nr. 16, S. 80 ff.
[11] Parl. Initiative Longet (sp, GE): Verhandl. B.vers., 1982, V, S. 17; TLM, 351, 17.12.82. Helvetia Latina (vgl. SPJ, 1980, S. 156) : Suisse, 72,13.3.82 ; BaZ, 62, 15.3.82. Genf: TLM, 40, 9.2.82 ; JdG, 266, 15.11.82. Jura : TLM, 78, 19.3.82; 112, 22.4.82; JdG, 99, 30.4.82. Publikationen zur Sprachsituation: Die viersprachige Schweiz, Zürich 1982; G.-A. Chevallaz, «Les cantons romands et la Suisse alémanique», in Documenta, 1982, Nr. 2, S. 131£
[12] A. Charpilloz / G. Grimm-Gobat, La Romandie dominée, Lausanne 1982. Reaktionen: 24 Heures, 114, 18.5.82; Suisse, 142, 22.5.82; TLM, 144, 24.5.82; BaZ, 119, 25.5.82; 289, 10.12.82; LNN, 120, 26.5.82; JdG, 123, 29.5.82; Bund, 132, 10.6.82; SZ, 134, 12.6.82; NZZ, 151, 3.7.82; 272, 22.11.82. Verschiedene Vorfälle unterschiedlichen Gewichts signalisierten die wachsende Empfindlichkeit der Romands, so u.a. die ungleiche Subventionierung der Flughäfen Zürich und Genf (vgl. oben, Teil I, 6b, Luftverkehr), das fehlende Trema auf einer neuen Schreibmaschinentastatur, der Einstieg des Deutschschweizers W. K. Rey als Grossaktionär bei den Ateliers de Constructions Mécaniques de Vevey, die Chancenlosigkeit von Jean Clivaz für das SGB-Präsidium, usw. Dagegen kann von fortschreitender Germanisierung der Westschweizer Kantone nach den Ergebnissen der Volkszählung 1980 nicht mehr gesprochen werden, hat doch der Anteil der Französischsprachigen (Ausnahme Kanton Genf) zugenommen, auch in Biel und den drei Distrikten des Berner Jura (TLM, 121, 1.5.82; 202, 21.7.82; Suisse, 138, 18.5.82).
[13] Bund: Bund, 113, 17.5.82. Postulat CVP-Fraktion: Verhandl. B. vers., 1982, V, S. 27; TLM, 273, 30.9.82; Vat., 239, 14.10.82 ; SZ, 300, 23.12.82. Ein Postulat Bacciarini (fdp, TI) mit ähnlichem Anliegen wurde bereits vom NR überwiesen : Amtl. Bull. NR, 1982, S. 1792 f.; TLM, 277, 4.10.82. Schloss Waldegg: SZ, 165, 19.7.82.
[14] Arbeitsgruppe : NZZ, 231, 5.10.82. Vorstösse : Postulat Robbiani (sp, TI), überwiesen, Amt. Bull. NR, 1982, S. 1435; TLM, 258, 15.9.82; Motion Vannay (sp, VS), als Postulat überwiesen, Amtl. Bull. NR, 1982, S. 1424 f.; TLM, 260, 17.9.82; Interpellation Donzé (sp, GE), Amtl. Bull. StR, 1982, S. 193 f.
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