Année politique Suisse 1982 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
 
Presse
Im Bereich der Presse [8] waren 1982, mit Ausnahme des im Bericht zur Medien-Gesamtkonzeption enthaltenen Pressekonzepts, auf institutioneller Ebene keine nennenswerten Ereignisse zu verzeichnen. Umso mehr fanden deshalb personelle, konzeptionelle und strukturelle Änderungen bei den Verlagen Beachtung.
Der Vorsitzende der dreiköpfigen Chefredaktion des CVP-Zentralorgans «Vaterland», Alois Hartmann, wurde entlassen, weil er offenbar die auseinanderstrebenden Erwartungen, die verschiedene Kreise an diese Zeitung stellen, nicht unter einen Hut bringen konnte. Ein vom amtierenden Tagesschau-Chefredaktor Hermann Schlapp verfasster Bericht über den Zustand dieser Zeitung, den Hartmann erst zuletzt zu Gesicht bekam, war in den Augen der meisten Beobachter dabei das auslösende Moment. Verwaltungsratspräsident A. Egli (später Bundesrat) dementierte, dass der «Schlapp-Bericht» entscheidend für die Absetzung Hartmanns gewesen sei. Schlapp wurde sofort zum neuen und alleinigen Chefredaktor ernannt. Einen überraschenden Wechsel gab es auch bei der viertgrössten schweizerischen Tageszeitung, der «Berner Zeitung», wo der bisherige Chefredaktor Peter Schindler plötzlich ausschied und nach einer längeren Interimsphase durch Urs P. Gasche ersetzt wurde. Begründet wurden diese Massnahmen mit einem neuen redaktionellen Konzept, das namentlich eine bessere Präsenz auf dem Stadtberner Markt anstrebt [9]. Einiges Aufsehen erregte die Einstellung des Gratisanzeigers «Züri-Leu» und der Verkauf der Verlagsrechte an den «Tages-Anzeiger»-Verlag durch die «Jean-Frey»-Gruppe, die im weitern auch 70% der Anteile des ebenfalls gratis verteilten offiziellen Publikationsorgans «Tagblatt der Stadt Zürich» sowie eine Frauenzeitschrift an denselben Verlag veräusserte. Der «Tages-Anzeiger» musste aber zusehen, wie mit der «Züri-Woche» ein fast identisches Nachfolgeblatt des «Züri-Leu» neu erschien. Einen unbestreitbaren Misserfolg hatte der Ringier-Verlag zu verzeichnen, der sein vor Jahresfrist mit grossem Aufwand lanciertes Nachrichtenmagazin «Die Woche» wegen Ausbleiben von Käufern und Inserenten einstellte. Dagegen soll die französische Ausgabe «L'Hebdo», obwohl ebenfalls defizitär, weitergeführt werden [10].
Der Westschweizer Pressekonzern Lousonna SA entschied sich für die Umgestaltung seiner Unternehmensstruktur, indem er seine Beteiligungen im Pressebereich und im Buchhandelsgeschäft an die Direktoren der einzelnen Firmen verkaufte und selber nur noch im Vertrieb tätig sein will, wo er faktisch das gesamte Netz in der Westschweiz kontrolliert. Diese freiwillige Entflechtung und Redimensionierung eines Presseriesen stiess bei Kommentatoren jedoch auf Skepsis, weil sie vermuteten, dass damit den einzelnen, nunmehr voneinander unabhängigen Firmen der Vorstoss in Richtung Radio und Fernsehen erleichtert werden soll, ohne den Argwohn der Kartellkommission, die sich auch mit Fragen der multimedialen Konzentration beschäftigt, zu erregen [11].
Die Beschränkung der Pressefreiheit durch Staat und Wirtschaft kam 1982 erneut ins Gerede. Die neue Doktrin des Bundesgerichts, wonach die blosse Anwesenheit bei Unruhen als Landfriedensbruch gilt, wandten Zürcher Gerichtsinstanzen gegen den Volksrecht-Redaktor Martin Enkelmann an, der wegen Aufenthalt an einem Demonstrationsort zu einer bedingten Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Diese Verurteilung gab Anlass zu vielfältiger und vehementer Kritik, die auf eine Einschränkung der Informations- und Kontrollfunktion der Presse verwies, wenn ein Journalist nicht am Ort des Ereignisses zugegen sein könne. Aufgrund dieser und anderer Vorfälle lancierten rund 850 Schweizer Journalisten den Appell «Demokratie braucht Augenzeugen» [12].
Einen Einfluss auf die Presse von ganz anderer Seite machte die Annoncenagentur Publicitas deutlich, die ihren Konzernsitz in Panama hat und mit ihren Tochterfirmen über zwei Drittel des Inserategeschäfts der Schweizer Tagespresse kontrolliert. Sie verbot dem «Vaterland» unter Prozessandrohung, mit den «Luzerner Neuste Nachrichten» (LNN) ein gemeinsames Samstagsmagazin herauszugeben, weil das «Vaterland» seine Inserateseiten mit dem «Luzerner Tagblatt» der Publicitas verpachtet hat. Das gemeinsame Magazinprojekt stiess schon zuvor auf einige Verwunderung, da sich die beiden Zeitungen in einem harten Konkurrenzverhältnis befinden. Damit hatte sich auch die Schweizerische Kartellkommission mit ihrem Bericht zur Freitags-Grossauflage der LNN, die als Gratisanzeiger gestreut wird, zu befassen. Sie kam zum Schluss, dass dies ein durchaus branchenübliches Vorgehen sei, das nicht schlechthin als Verdrängungsmassnahme bezeichnet werden könne [13].
 
[8] Publikationen zu verschiedenen Aspekten der Presse : J. Tobler, Die Wortmischer. Presse zwischen Anmassung und Anpassung, Bern 1982; P. Nobel, Leitfaden zum Presserecht, Zofingen 1982; D. Weber, Die Regelung des Binnenbereichs der Presse durch Redaktionsstatute, Winterthur 1982.
[9] «Vaterland»: BaZ, 72, 26.3.82; 83, 8.4.82; LNN, 72, 27.3.82; 82, 8.4.82; 203, 2.9.82; NZZ, 81, 7.4.82; Vat., 83, 10.4.82; AT, 83, 10.4.82. «Berner-Zeitung»: BaZ, 58, 10.3.82; 212, 11.9.82; BZ, 72, 27.3.82; NZZ, 73, 29.3.82; LNN, 77, 2.4.82; Bund, 212, 11.9.82.
[10] «Tages-Anzeiger», «Jean-Frey»-Gruppe: NZZ, 2, 5.1.82; 115, 21.5.82; 97, 28.4.82; 101, 4.5.82; TA, 2, 5.1.82; 97, 28.4.82; 98, 29.4.82; 125, 3.6.82; 299, 23.12.82; BaZ, 97, 27.4.82; 102, 4.5.82; 106, 8.5.82; 272, 20.11.82; Vr, 81, 28.4.82; 82, 29.4.82. «Die Woche»: Presse vom 26.10.82; vgl. SPJ, 1981, S. 165.
[11] Suisse, 183, 2.7.82; 24 Heures, 151, 2.7.82; BaZ, 152, 3.7.82; 156, 8.7.82; JdG, 152, 3.7.82; Lib., 127, 3.7.82; vgl. SPJ, 1981, S. 168.
[12] Vgl. oben, Teil I, 1b (Öffentliche Ordnung); BaZ, 52, 3.3.82; 74, 29.3.82; 75, 30.3.82; 81, 6.4.82; 120, 26.5.82; NZZ, 51, 3.3.82; 70, 25.3.82; 119, 26.5.82; Vr, 59, 25.3.82; TA, 79, 5.4.82; Bund, 120, 26.5.82; 127, 4.6.82; Vat., 127, 4.6.82.
[13] Publicitas: LNN, 87, 16.4.82; BaZ, 89, 17.4.82. LNN-Grossauflage: «Die Grossauflage der Luzerner Neuste Nachrichten », in Veröffentlichungen der Schweizerischen Kartellkommission, 17/1982, S. 35 ff. ; LNN, 136, 16.6.82; Vat., 136, 16.6.82; NZZ, 191, 19.8.82; vgl. SPJ, 1979, S. 165.