Année politique Suisse 1983 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
 
Arbeitnehmer
Für die Organisationen der Arbeitnehmer standen — noch eindeutiger als im Vorjahr — die Beschäftigungsprobleme im Mittelpunkt. «Arbeit für alle» lautete die Parole des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) für den 1. Mai. Schon im Januar legte eine SGB-Delegation dem neuen Volkswirtschaftsminister Furgler die Vorstellungen des Verbandes über die zu verfolgende Beschäftigungspolitik dar. Ein Appell der Delegiertenversammlung vom April empfahl insbesondere Lebensqualität fördernde Massnahmen in den Bereichen Energiesparen/Alternativenergien, Umweltschutz, öffentlicher Verkehr und Wohnungsbau [24]. Vor allem aber beherrschte das Postulat einer Arbeitszeitverkürzung die gewerkschaftliche Tätigkeit. So lancierte der SGB im September das von seinem Kongress ein Jahr zuvor beschlossene Volksbegehren für eine schrittweise Einführung der 40-Stunden-Woche. Dabei liess er im Unterschied zu früheren Arbeitszeitinitiativen die Frage der Lohngestaltung nicht mehr offen, sondern schloss die Möglichkeit einer gleichzeitigen Lohnreduktion aus [25]. Damit sollte einer Entwicklung vorgebeugt werden, wie sie das neue Friedensabkommen der Metall- und Uhrenindustrie einzuleiten schien; hatte doch der Schweizerische Metall- und Uhrenarbeitnehmer-Verband (SMUV) einer hälftigen Kostenverteilung zwischen den Sozialpartnern zugestimmt [26]. Nationalrat Fritz Reimann (sp, BE), Präsident des SMUV wie des SGB, verteidigte das erwähnte Abkommen gegen die Kritik aus anderen Branchenverbänden, unterstützte aber gleichzeitig die Forderungen der Initiative [27]. Den Übergang zur 40stündigen Arbeitswoche verlangte eine ganze Reihe von gewerkschaftlichen Organisationen [28].
Die Einbettung des Arbeitszeitpostulats in umfänglichere, auch auf Lebensqualität ausgerichtete Konzepte findet sich in neuen Programmen mehrerer Einzelgewerkschaften. So plädiert die Gewerkschaft Bau und Holz (GBH) in ihrem Arbeitsprogramm für eine «alternative», umweltfreundliche Bautätigkeit (Energiesparmassnahmen, Ausbau des öffentlichen Verkehrs, land- und forstwirtschaftliche Strukturverbesserungen, Wohnbausanierung u.a.m.), welche die Ausfälle in den Bereichen Nationalstrassen und Abwasserreinigung wettmachen soll. Ein verteilungspolitisches Leitbild des Christlichen Metallarbeiter-Verbandes (CMV) sieht geregelte Teilzeitarbeit für beide Geschlechter, Nivellierung der Lohnskalen, sozialere Steuertarife und Strukturhilfe an bedrohte Regionen vor. Thesen des Christlichen Holz- und Bauarbeiterverbandes (CHB) rufen nach einer organisierten Förderung des Arbeitnehmersparens, um den Erwerb von Eigenheimen zu erleichtern. Der Schweizerische Eisenbahner-Verband (SEV) beschränkte sich dagegen in seinen Richtlinien auf arbeits- und verkehrspolitische Postulate; er sprach sich für eine entschiedene Förderung des öffentlichen Verkehrs aus und drohte mit einer Volksinitiative gegen Privatisierungstendenzen [29].
Der Konflikt in der Gewerkschaft Druck und Papier (GDP) wegen einer Fälschung bei der Präsidentenwahl von 1981 konnte beigelegt werden. Nachdem ein Gutachten des deutschen Bundeskriminalamtes den Verdacht gegen den Zürcher Sektionspräsidenten F. Aeberli entkräftet hatte, erklärte die Delegiertenversammlung einen Aeberli belastenden Passus des Zweijahresberichtes für ungültig, und die bernischen Gerichtsbehörden stellten das Strafverfahren gegen den Verdächtigten ein [30].
Die trendmässige Zunahme des tertiären Wirtschaftssektors wird in gewerkschaftlichen Kreisen als Gefahr für die Mitgliederbestände empfunden. Der Präsident des Christlichnationalen Gewerkschaftsbundes (CNG), G. Casetti, sprach sich deshalb für eine gezielte Rekrutierungsarbeit im Dienstleistungsbereich aus. In der welschen wie in der deutschen Schweiz sind Umstrukturierungen und Neugründungen vorgesehen [31]. Ob freilich die Angestellten des dritten Sektors solcher Werbung zugänglich sein werden, erscheint fraglich. Wohl wurde etwa im Schweizerischen Bankpersonalverband und im Schweizerischen Kaufmännischen Verband (SKV) eine härtere Haltung gegenüber den Arbeitgebern verlangt, doch gleichzeitig zeigten sich die Delegierten des SKV nicht geneigt, die Mitgliederbeiträge über den Teuerungsausgleich hinaus zu erhöhen, so dass diese erheblich unter gewerkschaftlichen Ansätzen bleiben [32],
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P.G.
 
[24] 1. Mai: Vr, 29.4.83. 1982 hatte es noch geheissen: «Arbeit, Freiheit, Frieden» (BaZ, 29.4.82). SGB-Delegation: NZZ, 15.1.83. Delegiertenversammlung: NZZ, 12.4.83.
[25] Lancierung der Initiative: vgl. oben, Teil I, 7a (Durée du travail) ferner Gewerkschaftliche Rundschau, 75/1983, S. 314 ff. Kongress von 1982: Presse vom 16.10.82. Frühere Initiativen: vgl. SPJ, 1973, S. 118 (POCH); 1977, S. 126 und 1978, S. 123 (SGB, nicht zustande gekommen).
[26] Friedensabkommen : vgl. oben, Teil I, 7a (Conventions collectives de travail); ferner NZZ, 16.7.83; BaZ, 10.8.83.
[27] Kritik: TA, 13.7.83 (W. Renschler, VPOD); NZZ, 16.7.83 (Gewerkschaft Textil Chemie Papier). Verteidigung: SZ, 15.7.83; 19.7.83 (Interview).
[28] So der Schweiz. Eisenbahner-Verband (Presse vom 2.6.83), die PTT-Union (Presse vom 9.1 1.83), die Gewerkschaft Bau und Holz (Presse vom 14.10.83), der Christliche Metallarbeiter-Verband (TA, 12.11.83; Vat., 14.11.83), der Schweiz. Kaufmännische Verband (Presse vom 28.5.83) und die Fédération romande des employés (24 Heures, 7.11.83). Vgl. auch die Arbeitszeitforderungen des Bundespersonals (oben, Teil I, 7a, Durée du travail).
[29] GBH: NZZ, 10.9.83; 14.10.83; TA, 14.10.83. CMV: Aktiv, 21, 9.11.83; 22, 23.11.83; vgl. BaZ, 14.11.83. CHB: Vat., 26.9.83; Aktiv, 18, 28.9.83. SEV: BaZ, 2.6.83; Bund, 2.6.83; VO, 2.6.83. Zur Frage neuer gewerkschaftlicher Zielsetzungen vgl. auch NZZ, 16.7.83.
[30] Gutachten: Presse vom 11.5.83. Delegiertenversammlung: NZZ, 18.6.83. Strafverfahren: Presse vom 11.8.83. Vgl. SPJ, 1982, S. 210.
[31] BaZ, 21.4.83. Die grossen Gewerkschaftsverbände zeigen rückläufige Mitgliederbestände. Zahlen von Ende 1983 (in Klammem Ende 1982 und 1981): SGB 456 204 (458 856; 459 150); CNG 109 603 (111 359; 105 392, ohne SVEA). Die VSA stagnierte 1983: Jahresende 151 972 (1982: 152 067; 1981: 144 871). (Informationen der Sekretariate). Vgl. auch oben, Teil I, 4a (Konjunkturlage).
[32] Bankpersonal: BaZ, 28.5.83. SKV : Bund, 30.5.83; TA, 30.5.83.