Année politique Suisse 1983 : Allgemeine Chronik
Überblick
Die schweizerische Politik stand 1983 unter wachsenden Belastungen, und dies in mehrfacher Hinsicht. Die sich verschärfende internationale Spannung zwischen den Blöcken steigerte die Besorgnis breiter Bevölkerungskreise über den Rüstungswettlauf; anderseits wurde der Ausbau der Landesverteidigung weiter vorangetrieben, wenn auch oft mit wirtschaftspolitischen Begründungen. Sodann verhärtete die Zunahme der Arbeitslosigkeit bei stagnierender Produktion die Positionen der Sozialpartner; während die Behörden auf beschäftigungsfördernde Massnahmen setzten, riefen die Gewerkschaften zugleich nach einer Reduktion der Arbeitszeit. Schliesslich liess die Erscheinung des Waldsterbens den Fortgang der Umweltzerstörung in beunruhigender Weise zutage treten. Sie löste in der Öffentlichkeit eine «grüne Welle» aus, die sich auf den Abschluss der parlamentarischen Beratung des Umweltschutzgesetzes auswirkte und in den Nationalratswahlen spürbar wurde. Mehr psychologisch als existentiell war der Druck, der vom ansteigenden Zustrom von Drittweltflüchtlingen ausging; er erhöhte die Bereitschaft zur Unterstützung der Überfremdungsparteien und ihrer Postulate und erzwang éine'Abänderung des Asylgesetzes, die dessen Schutzwirkung leicht vermindert.
In diesem mehrpoligen Spannungsfeld kam verstärkt zum Ausdruck, dass in unserer Politik ein Stilwandel im Gange ist. Neben den traditionellen Gegensätzen zwischen Parteien oder Verbänden gewinnen neue Stossrichtungen an Bedeutung, deren Verfechter sich weniger in Wahlen oder Vertragsverhandlungen als in unkonventionellen Aktionen oder in der Lancierung von Volksbegehren äussern. Das rasche Zustandekommen der Initiative gegen einen Waffenplatz im Gebiet des Hochmoors von Rothenthurm bietet dafür ein eindrückliches Beispiel. Auch in den eidgenössischen Wahlen wirkte sich die komplexere Polarisierung aus: ihr Ergebnis liess sich auf keine einfache Formel bringen. Dominierend blieb allerdings der Rechts-Links-Gegensatz, der sich bei der anschliessenden Erneuerung des Bundesrates in nachhaltiger Weise manifestierte. Die nur leicht verstärkte bürgerliche Parlamentsmehrheit verweigerte den Sozialdemokraten ein weiteres Mal die Anerkennung einer parteioffiziellen Kandidatur, worauf diese ihre Beteiligung an der Landesregierung in Frage stellten. Dass die übergangene Nomination eine weibliche war, nährte in Frauenkreisen den Missmut über die andauernde Zurücksetzung ihres Geschlechts.
In Unternehmerkreisen und in den bürgerlichen Parteien blieb die Tendenz zum Abbau des Interventionsstaates wirksam. Das Wachstum der Ausgaben für den Sozialbereich und die Entwicklungshilfe wurde weiter gedrosselt. Andererseits gab die ungünstige Beschäftigungslage Anlass zum Einsatz vermehrter Finanzmittel.
Die Volksentscheide über Sachfragen fielen eher konservativ aus. Der Energieartikel scheiterte am Ständemehr; seine Gegner opponierten den vorgesehenen Sparmassnahmen vorwiegend aus antietatistischen oder föderalistischen Motiven. Mit der neuen Zweckbestimmung für die Treibstoffzölle kam man den Interessen des Motorfahrzeugverkehrs nicht wenig entgegen. Die Reform des Bürgerrechts gelang nur so weit, als es die Gleichstellung der Geschlechter erforderte; eine vermehrte Öffnung gegenüber Ausländern setzte sich nicht durch.
Unter dem Druck von Volksinitiativen kamen eine restriktivere Regelung für den Grundstückverkauf an Ausländer, eine Verlängerung des gesetzlichén Ferienanspruchs sowie die praktische Durchführung des Ausgleich der kalten Progression bei der direkten Bundessteuer zustande. Ohne solche Stimulierung konnte das Forschungsgesetz unter Dach gebracht werden. Zuhanden der Volksabstimmung verabschiedete das Parlament befristete Verfassungsgrundlagen für eine Schwerverkehrsabgabe und eine Autobahngebühr.
In anderen Bereichen hemmte jedoch die Gegensätzlichkeit der Standpunkte und Interessen den Entscheidungsprozess. Dies gilt namentlich für die Neuverteilung der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen, für Reformen des Kartellrechts und der Agrargesetzgebung, für die Ausrichtung der Energie- und Verkehrspolitik, für die Neuregelung der Krankenversicherung und des Schwangerschaftsabbruchs. Einen weiteren Rückschlag erlitten sodann die Arbeiten für eine Totalrevision der Bundesverfassung: der Bundesrat beschloss, die Verantwortung für deren Fortsetzung dem Parlament zu überlassen.
Der zögernde Gang der Rechtsentwicklung steht in einem Kontrast zu revolutionären Vorgängen im Bereich der Technik, die ihrerseits eine Herausforderung für die schweizerische Politik bilden. Mikroprozessoren, elektronische Datenverarbeitung und neue Kommunikationstechnologien haben unabsehbare Konsequenzen auf den Arbeitsmarkt, den Persönlichkeitsschutz und die Informationsvermittlung und sind sowohl rechtlich wie gesellschaftlich noch nicht bewältigt. Dabei fällt auf, dass die Behörden gerade im Medienbereich, wo eine staatliche Regelung noch realisierbar wäre, zunehmend der technischen Machbarkeit und privaten Interessen Priorität einräumen.
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