Année politique Suisse 1983 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Grundrechte
Bei den Bemühungen um den Ausbau und die Sicherung der Grundrechte stand 1983 weiterhin der Schutz der Persönlichkeit im Vordergrund.
Expertenentwürfe zu eidgenössischen Datenschutzgesetzen, welche die Handhabung staatlicher bzw. privater Speicherungen von persönlichen Informationen regeln sollen, lagen bereits im Januar vor, wurden aber erst Anfang 1984 in die Vernehmlassung gesandt. Dieses langsame Vorgehen rief dem Vorwurf der Verschleppung: erst 1987 würde so der Bürger durch ein Bundesgesetz wirksam gegen persönlichkeitsverletzende Datenverarbeitung geschützt. Die bundesrätlichen Richtlinien zur verwaltungsinternen Behandlung von Personendaten erfuhren eine vorläufige Verlängerung bis Ende 1986
[1]. Ein Mustergesetz für den Datenschutz auf kantonaler Ebene wurde im März von der Konferenz der Justiz- und Polizeidirektoren verabschiedet. Allerdings rechnete man auch hier mit einer mehrjährigen Verwirklichungsdauer in den zahlreichen Kantonen, welche bisher noch keine solchen Regelungen aufweisen. Über die Einführung eines Gegendarstellungsrechts in den Massenmedien orientieren wir an anderer Stelle
[2].
Erstmals wurde die Schweiz wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention verurteilt. Der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte erkannte in einem Ehrverletzungsverfahren auf Missachtung der Unschuldsvermutung, da dem Beklagten trotz Eintreten der Verjährung ein Teil der Gerichtskosten und eine Prozessentschädigung auferlegt worden waren. In einem weiteren Fall, bei dem das Bundesgericht zur abschlägigen Beurteilung einer Verwaltungsbeschwerde mehr als drei Jahre gebraucht hatte, schützte der Strassburger Gerichtshof den Anspruch auf Anhörung innerhalb einer angemessenen Frist und erklärte die Belastung der Beschwerdeführer mit Verfahrenskosten für unzulässig. Die Praxis des Europäischen Gerichtshofs veranlasste im übrigen das Bundesgericht, auf eine Beschwerde aus Basel-Stadt hin an den Persönlichkeitsschutz bei Telefonabhörungen strengere Massstäbe anzulegen: wenn nicht gewichtige öffentliche Interessen entgegenstehen, muss der Betroffene nachträglich informiert werden. Dieser Entscheid gilt allerdings nur auf kantonaler Ebene, da die eidgenössische Gesetzgebung gegenüber dem Bundesgericht unabhängig ist
[3].
Grundrechtsfragen stellten sich auch bei der Behandlung der
Volksinitiative «Recht auf Leben». In der Botschaft zu seinem Gegenentwurf distanzierte sich der Bundesrat vom Versuch, mit einer Grundrechtsbestimmung die rechtliche Bewältigung verschiedener politischer Fragen zu präjudizieren. Als Alternative schlug er eine dem Totalrevisionsentwurf von 1977 entnommene Garantie der persönlichen Freiheit («Recht auf Leben, körperliche und geistige Unversehrtheit, Bewegungsfreiheit und persönliche Sicherheit») vor
[4]. In der öffentlichen Diskussion wurden Unzulänglichkeiten und Widersprüche in Initiative und Gegenvorschlag geltend gemacht. Kritiker wiesen darauf hin, dass es rechtsverunsichernd wirke, wenn spezifische Fragen wie der Schwangerschaftsabbruch durch generelle Prinzipien der menschlichen Integrität entschieden werden. Der Ständerat fand auch den Gegenentwurf mehrdeutig und empfahl diesen mit der Initiative zur Ablehnung
[5].
Unverminderte Opposition richtete sich gegen die
Anerkennung sozialer Grundrechte durch eine Ratifizierung der bereits 1976 unterzeichneten Europäischen Sozialcharta. Der Bundesrat beantragte, von den sieben Hauptpunkten der Charta als zulässiges Minimum deren fünf zu übernehmen (Recht auf Arbeit, auf.Vereinigung, auf Kollektivverhandlungen, auf Fürsorge sowie auf Schutz der Familie), die Rechte auf soziale Sicherheit und auf Schutz und Beistand für Wanderarbeiter dagegen wegzulassen. Eine auslegende Erklärung zum Art. 6, der die Kollektivverhandlungen betrifft, könnte nach seiner Ansicht dem Problem begegnen, dass die Schweiz kein Beamtenstreikrecht anerkennt. Wie in anderem Zusammenhang näher ausgeführt werden soll, versteifte sich die vorberatende Ständeratskommission aber gerade auf diese legalistischen Hürden. Der allgemeine Zweck der Charta rückte in den Hintergrund
[6].
[1] Allgemeine Aspekte des Datenschutzes: BaZ, 12.2.83; 26.3.83. Expertenentwürfe: SZ, 6.1.83; SGT, 26.2.83. Vernehmlassung: SZ, 4.5.83; TW, 17.11.83; Presse vom 26.1.84. Verwaltungsinterne Richtlinien: BBl, 1983, II, S. 1177 f.; Presse vom 30.6.83. Vgl. SPJ, 1980, S. 15; 1981, S. 13.
[2] Arbeiten in den Kantonen: 24 Heures, 24.1.83; 22.2.83; JdG, 23.3.83; AT, 31.8.83; NZZ, 19.9.83; BaZ, 22.12.83. Bisher haben erst GE, VD und NE ein Datenschutzgesetz. Vgl. R. J. Schweizer, « Gesetzgebungsprobleme des Datenschutzes in den Kantonen », in Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel. Festschrift für Kurt Eichenberger zum 60. Geburtstag, Basel 1982. S. 657 If. Zum Gegendarstellungsrecht vgl. unten, Teil I, 8c (Medienordnung). Vgl. auch R. Frank, Persönlichkeitsschutz heute, Zürich 1983.
[3] Verletzungen: Lib., 26.1.83; Presse vom 26.3.83; BaZ, 14.7.83; 24 Heures, 14.7.83; vgl. SPJ, 1982, S. 10. Telefonabhörungen: BaZ, 10.11.83; 11.11.83; vgl. unten, Teil II, 1e sowie SPJ, 1978, S. 15.
[4] SGT, 1.3.83; Emanzipation, Nr. 5, Juni 1983; TA, 9.12.83; CdT, 15.12.83. Vgl. SPJ, 1982, S. 10 und unten, Teil I, 7d (Schwangerschaftsabbruch). Gegenentwurf: BBl, 1983, II, S. 1 ff.; Presse vom 1.3.83. Zum Totalrevisionsentwurf vgl. SPJ, 1978, S. 11 f.
[5] Unzulänglichkeiten: BaZ, 9.4.83; Vat., 2.12.83; Lib., 9.12.83. Ratsverhandlungen : Amtl. Bull. StR, 1983, S. 666 ff.; AT, 23.11.83; NZZ, 9.12.83; 14.12.83; TA, 9.12.83.
[6] Botschaft des BR: BBl, 1983, II, S. 1241 ff.; TA, 4.6.83. Diskussion: TA, 14.6.83; 25.11.83; Vr, 7.9.83; NZZ, 9.12.83. Vgl. SPJ, 1976, S. 14; 1980, S. 41 f. sowie unten, Teil I, 2 (Institutions européennes).
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