Année politique Suisse 1983 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Bürgerrecht
Die Reform des Bürgerrechts (Art. 44, 44 bis, 45 und 54 BV) wurde nun auch vom Nationalrat behandelt. Dieser schloss sich im Februar dem Vorschlag des Ständerates an, dass dem Stimmbürger — nicht zuletzt aus taktischen Gründen — zwei separate Vorlagen zu präsentieren seien : Übertragung des Bürgerrechts in der Familie einerseits, erleichterte Einbürgerung für die «zweite Ausländergeneration» anderseits; seiner Kommission folgend, lehnte er eine entsprechende Bevorzugung der Flüchtlinge und der Staatenlosen ab. Die Differenz zwischen den Kammern wurde in der Junisession dadurch bereinigt, dass man für die Einbürgerungserleichterung der beiden umstrittenen Bewerbergruppen den Vorbehalt formulierte: «... sofern sie sich in die schweizerischen Verhältnisse eingelebt haben». Damit versuchte man der in der Bevölkerung manifesten Flüchtlingsfeindlichkeit zu begegnen [9].
Bis zur Volksabstimmung vom 4. Dezember reflektierten Parteistellungnahmen und Medienargumente im grossen ganzen die mehrheitlich positive Einstellung der Räte zu den beiden Vorlagen. Die Presse engagierte sich mit eingehenden Artikeln, verschwieg aber auch nicht, dass im Volk beträchtlicher Unmut angesichts der Häufung von Asylgesuchen bestand, welcher sich wohl auf die Abstimmung auswirken würde [10]. Der Volksentscheid ergab eine deutliche Annahme der Bürgerrechtsregelung für die Familie. Dagegen lehnte der Souverän die erleichterte Einbürgerung von jungen, in der Schweiz aufgewachsenen Ausländern, von Flüchtlingen und von Staatenlosen mit 55% Neinstimmen ab; 18 ablehnende Ständestimmen standen 5 befürwortenden gegenüber. Insgesamt bot die Diskussion der Vorlagen Gelegenheit, einige wesentliche Gesichtspunkte zu erörtern, z.B. die Eigenheiten des schweizerischen Bürgerrechts, das ambivalente Verhältnis der Schweizer zur «zweiten Ausländergeneration» und die Tatsache, dass es private Organisationen sind, welche die Hauptlast der Eingliederung von Ausländern und Flüchtlingen tragen. Andere Themen traten dagegen stark zurück: so die unterschwellige Furcht vieler Arbeitnehmer vor dem Anwachsen der Flüchtlingszahlen in einer Zeit ungesicherter Beschäftigung, die Frage, was für Einstellungen zur Gastheimat die jungen Ausländer eigentlich hegen oder auch die zu erwartende Verknappung der Armeebestände, die man durch die Einbürgerung der zweiten Ausländergeneration hätte mildern können [11].
 
[9] Amtl. Bull. NR, 1983, S. 44 ff., 714 f., 1054; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 131, 322, 383; BBl, 1983,1I, S. 703 ff. ; NZZ, 17.3.83; 14.6.83; 22.6.83. Vgl. SPJ, 1982, S. 11.
[10] Parteistellungnahmen: AT, 2.11.83; 24 Heures, 21.11.83; TA, 1.12.83. Presseartikel: BaZ, 2.7.83; AT, 12.11.83 ; NZZ, 26.11.83 ; 24 Heures, 26.11.83 ; JdG, 28.11.83. Flüchtlingsfeindlichkeit: BaZ, 3.2.83; LNN, 3.2.83. Vgl. auch SPJ, 1982, S. 42 und unten, Teil I, 2 (Asile politique).
[11] Volksabstimmung: BBl, 1984, I, S. 616 f.; Presse vom 5.12.83. Wesentliche Gesichtspunkte: NZZ, 18.11.83; 24 Heures, 10.12.83. Wenig diskutierte Themen: TLM, 14.9.83; SGT, 5.12.83; Suisse, 5.12.83; TW, 5.12.83.