Année politique Suisse 1983 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Öffentliche Ordnung
Der öffentlichen Ordnung drohte 1983 von den grossangelegten Kundgebungen und Demonstrationen, wie sie vor allem aus Besorgnis über das atomare Wettrüsten oder aus Protest gegen die Mittelamerikapolitik der USA veranstaltet wurden, kaum Gefahr; diese verliefen ohne Zwischenfälle. Dagegen beschädigten kleine gewalttätige Gruppen Hochspannungsmasten und Militäranlagen durch Sprengstoff- oder Brandanschläge. Aus Bekennerbriefen ging hervor, dass Opposition gegen Atomkraftwerke oder gegen den Rothenthurmer Waffenplatz solchen inländischen Terrorismus motivierte. Die bekannten Organisationen, die gegen diese Projekte kämpfen, distanzierten sich von den Gewaltakten der Aussenseiter. Die Bundesanwaltschaft teilte im Februar 1983 mit, dass seit Beginn des Jahres 1982 28 Sprengstoffanschläge zu verzeichnen waren, wovon 17 auf politischen Beweggründen basierten. Aufklärungsbemühungen waren trotz Aussetzung hoher Belohnungen nicht eben erfolgreich [12].
Im Zusammenhang mit internationalen Terroraktivitäten wurden in zwei Fällen harte Urteile gesprochen. So verhängte das Zürcher Bezirksgericht über zwei junge Schweizer, die Sprengstoff verborgen und in den Umkreis der deutschen Rote Armee-Fraktion weitergegeben hatten, exemplärische Zuchthausstrafen [13]. Vor Bundesstrafgericht lief im Oktober der Prozess gegen die vier Exilpolen, die ein Jahr zuvor die polnische Botschaft in Bern besetzt und mehrere Personen als Geiseln genommen hatten. Obwohl sich der Hauptangeklagte Florian Kruszyk als patriotischer Widerstandskämpfer präsentierte, wurde das Unternehmen dieser schillernden Persönlichkeit hauptsächlich als kriminelle Tat bewertet. Das Verfahren endete mit strengen Urteilen. Dieser Ausgang wurde dahingehend interpretiert, dass das Bundesgericht die Unantastbarkeit der diplomatischen Missionen bestätigen und das Wirken ausländischer Terroristen, unbesehen ihrer Herkunft, streng ahnden wollte [14].
Mit einer Gefahr für die innere und die äussere Sicherheit des Landes begründete der Bundesrat Ende April die Schliessung des Berner Büros der sowjetischen Nachrichtenagentur Nowosti (APN). Das EJDP beschuldigte das Büro, vor allem über zwei der PdA angehörende schweizerische Mitarbeiter Teile der Friedensbewegung beeinflusst, Jugendliche ideologisch geschult und kriminalisiert, Desinformation betrieben und zahlreiche Demonstrationen organisiert zu haben; auch Dienstverweigerer habe es beraten. Diese Anschuldigungen wurden nicht nur von den Direktbetroffenen zurückgewiesen, sondern lösten auch in Kreisen der Friedensbewegung und bei anderen alternativen Gruppen Proteste aus, da sie als Diskriminierung oppositioneller Bestrebungen empfunden wurden. Auf bürgerlicher Seite wurde das Vorgehen der Behörden meist begrüsst; es gab aber auch kritische Stimmen. Durch Indiskretion kam der geheime Amtsbericht der Bundesanwaltschaft in die Hände der Presse und bot zu Zweifeln Anlass, ob die vorgebrachten Anklagen begründet seien. Man wies darauf hin, dass der Bericht, auf den sich der Bundesrat stützte, bereits im Dezember 1982 vorgelegen hatte und dass die Tätigkeit der beiden schweizerischen Nowosti-Angestellten nicht als hinreichend für ein Strafverfahren erachtet wurde. Die Genfer SP warf dem Bundesrat und insbesondere dem Chef des EJPD vor, sie hätten mit der Affäre eine Kriminalisierung der alternativen Bewegungen und eine Verketzerung der Linken bezweckt [15].
Im Anschluss an zwei Interpellationen wurden die Vorkommisse auch Gegenstand einer Debatte in der Juni-Session des Nationalrats. Alla Fraktionen ausser derjenigen der äussersten Linken billigten die Schliessung des Nowosti-Büros. Die Sprecher der CVP und der SP wünschten aber eine offenere Information; der Sozialdemokrat nahm auch die Friedensbewegung in Schutz. Bundesrat Friedrich rechtfertigte das Vorgehen der Regierung. Wie schon in früheren Erklärungen bestritt er, dass die Aktion auf die Friedensbewegung gemünzt gewesen sei [16]. Zur Aufdeckung des Lecks, aus dem der Geheimbericht an die Öffentlichkeit gelangt war, wurde noch eine Zeitlang erfolglos ermittelt; im Frühjahr 1984 stellte die Bundesanwaltschaft ihre Bemühungen ein [17].
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Waffenerwerb und Waffenbesitz
Der im Vorjahr vom Bundesrat unternommene Versuch, den Waffenerwerb und Waffenbesitz durch einen Verfassungsartikel und ein Gesetz unter einheitliche Regeln zu stellen, nahm im Herbst ein abruptes Ende. In der Vernehmlassung zeigten sich zwar zwei Drittel der Kantone einer Bundeslösung günstig gesinnt, aber eine Mehrheit der politischen Parteien und interessierten Organisationen (Schützen, Jäger, militärische Vereine) war bloss bereit, eine präzisere Konkordatsregelung zu akzeptieren. Als mögliche Alternative wurde vereinzelt auch ein verfassungsmässiges Recht auf Waffenerwerb mit Restriktionen gegen Missbrauch vorgeschlagen [18]. Der Bundesrat liess die Sache daraufhin gänzlich fallen, da einer Vorlage in der Volksabstimmung starke organisierte Opposition erwachsen wäre. Damit blieben freilich die ausländischen Kritiken am Waffen-Selbstbedienungssystem etlicher Schweizer Kantone unbeantwortet [19].
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Polizei
Presserecherchen ergaben, dass in vielen Polizeikorps der Gebrauch der Schusswaffe und die entsprechende Ausbildung nicht streng geregelt sind. Dagegen wurde mit Genugtuung vermerkt, wie gut die Koordination zwischen örtlichen Polizeikräften und ausserkantonalen Verstärkungen anlässlich der Genfer Palästina-Konferenz funktionierte. Die früher diskutierte Schaffung einer Bundessicherheitspolizei schien sich also nicht mehr aufzudrängen. Eine Repräsentativumfrage ergab übrigens, dass 80% der Schweizer mit ihrer Polizei «zufrieden» oder «sehr zufrieden» sind. 78% der Betragten wünschten aber keine Verstärkung der Polizeikräfte [20].
 
[12] Demonstrationen: Presse vom 5.4.83; 6.6.83; 7.11.83; vgl. ferner SPJ, 1982, S. 12 ff. sowie unten, Teil I, 2 (Relations bilatérales) und 3 (Friedenserhaltung). Anschläge auf elektrische Anlagen: Presse vom 31.1.83; BaZ, 1.2.83; NZZ, 2.2.83; 27.9.83; SZ, 13.3.83; AT, 27.9.83; vgl. unten, Teil I, 6a (Energie nucléaire). Anschläge auf militärische und andere Anlagen: SGT, 14.1.83; 24 Heures, 26.1.83; Bund, 15.3.83; BaZ, 17.3.83; Vat., 24.5.83; NZZ, 14.6.83; vgl. unten, Teil I, 3 (Infrastrukturanlagen). Aufklärungsbemühungen: NZZ, 4.2.83; BaZ, 4.3.83; Suisse, 8.4.83. Über die Wahrung der öffentlichen Ordnung gegenüber Störungen vgl. Manifest zur Verteidigungdes Rechtsstaats, hg. v. d. Vereinigung für Rechtsstaat und Individualrechte, Zürich 1983.
[13] NZZ, 23.2.83; 28.2.83; 4.7.83; TA, 31.3.83.
[14] Presse vom 3.-7. und 11.10.83. Vgl. SPJ, 1982, S. 12 und 37 f.
[15] Schliessung, amtliche Begründung und Proteste : Presse vom 30.4. sowie vom 4. u. 5.5.83 ; zu Protesten vgl. auch BZ, 3.5.83; Wochen-Zeitung, 18, 6.5.83; Presse vom 18.6.83. Bürgerliche Zustimmung: JdG, 30.4.83; NZZ, 4.5.83; Vat., 4.5.83; ferner AT, 6.5.83 (SVP) ; NZZ, 14.5.83 (Jugendorganisationen); 28.5.83 (CVP). Kritik: BaZ, 2.5.83; 4.5.83; Bund, 4.5.83; TW, 4.5.83; Wochen-Zeitung, 19, 13.5.83; vgl. auch TLM, 18.6.83. Amtsbericht: Blick, 4.5.83 ; Wochen-Zeitung, 20, 20.5.83 ; zur Indiskretion vgl. BaZ, 18.5.83; Bund, 1.6.83 ; Presse vorn 14.6.83. Zweifel: BaZ, 4.5.83; 19.5.83; BZ, 5.5.83. SP GE: JdG, 16.5.83. Auf eine Meinungsumfrage erklärten 74% die Schliessung für richtig (NZZ, 15.9.83). Vgl. auch Die Affäre Friedrich oder: Lügen haben kurze Beine. Graubuch zur Schliessung des Berner Nowosti-Büros, Hg. Schweiz. Friedensbewegung, Basel 1983, sowie unten, Teil I, 2 (Relations bilatérales).
[16] Interpellationen Oehler (cvp, SG) und PdA/PSA/POCH-Fraktion: Amtl. Bull. NR, 1983, S. 816 ff.; vgl. dazu BaZ, 8.6.83; Presse vom 22.6.83.
[17] BaZ, 24.6.83 ; NZZ, 7.7.83 ; 28.3.84. Zur Frage der Veröffentlichung aus geheimen Dokumenten, die durch Indiskretion bekannt geworden sind, vgl. unten, Teil I, 8c (Information). 1413 Personen erhoben Strafldage gegen BR Friedrich wegen Verleumdung bzw. übler Nachrede. Die eidgenössischen Räte lehnten jedoch eine Aufhebung der Immunität des Beklagten ab (Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1794 ff.; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 720). Die beiden Nowosti-Journalisten wandten sich an die Europäische Menschenrechtskommission (BaZ, 28.10.83).
[18] NZZ, 7.2.83; Vat., 3.3.83; AT, 17.3.83; TLM, 1.4.83; Presse vom 2.4.83. Vgl. SPJ, 1981, S. 17; 1982, S. 12.
[19]Presse vom 20.9.83.
[20] Polizeilicher Gebrauch der Schusswaffe: Wir Brückenbauer, 27, 6.7.83; TA, 4.11.83. Koordination des Polizeieinsatzes : Suisse, 7.7.83 ; SZ, 9.9.83 ; zur Palästina-Konferenz vgl. unten, TeilI, 2 (Missions traditionnelles). Repräsentativumfrage: NZZ, 9.3.83. Vgl. auch SPJ, 1982, S. 14.