Année politique Suisse 1983 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Strafrecht
Im Zug der langfristig angelegten Reform des Strafrechts traf der Bundesrat Vorentscheide zur
Revision der Bestimmungen zum Schutze von Leib und Leben, Sittlichkeit und Familie. Im Vernehmlassungsverfahren zu den entsprechenden Vorschlägen der Expertenkommission Schultz, das bis Ende 1981 gedauert hatte, war zum Teil massive Kritik laut geworden. Sie hatte sich vor allem gegen die vorgeschlagene Liberalisierung des
Sexualstrafrechts gerichtet. So lehnte es die Mehrheit der Vernehmlasser ab, dass das Schutzalter auf 14 Jahre gesenkt werde. In der weiteren Diskussion bemängelten z.B. die städtischen Polizeidirektoren, dass die Experten eine Lockerung der strafrechtlichen Handhaben gegen die Pornographie befürwortet hatten. Es wurde vermerkt, dass in der Öffentlichkeit das Pendel zurückschwinge: der liberale Kurs der Kommission gerate mit den sich wieder wandelnden Wertmassstäben der Bevölkerung in Konflikt
[21].
Unter diesen Umständen entschloss sich der Bundesrat, einen vorsichtigeren Reformweg einzuschlagen. Um der Gefahr eines Referendums gegen das ganze Paket zu begegnen, beauftragte er das EJPD, ihm
zwei getrennte Gesetzesentwürfe zu unterbreiten : einen über strafbare Handlungen gegen Leib und Leben und die Familie sowie einen über das Sexualstrafrecht. Das Schutzalter sollte bei 16 Jahren belassen werden und der Inzest strafbar bleiben. Demgegenüber folgte er den Vorschlägen der Experten, künftig auf Antrag auch die Vergewaltigung in der Ehe zu verfolgen sowie hetero- und homosexuelles Verhalten strafrechtlich gleichzubehandeln. In der Frage der Pornographie hatte das EJPD eine Differenzierung sowie die Ansetzung einer Altersgrenze für den Schutz von Jugendlichen zu prüfen. Als neue Materie sollten Darstellungen reiner Gewalttätigkeiten, insbesondere im Videobereich, erfasst werden
[22].
Ferner beauftragte das EJPD Prof. H. Schultz, bis zum Frühjahr 1985 die
Allgemeinen Bestimmungen des StGB auf ihre Revisionsbedürftigkeit zu überprüfen und einen Vorentwurf auszuarbeiten. Von der Einsetzung einer neuen Expertenkommission wurde noch abgesehen
[23].
Was den
Strafvollzug betrifft, so zeigte es sich, dass es den Kantonen wegen der Knappheit der öffentlichen Mittel und den Problemen der interkantonalen Zusammenarbeit schwerfällt, die bundesgesetzlich verordneten Verbesserungen vorzunehmen. Noch immer fehlen in der deutschen Schweiz und in der Romandie je zwei Heime für besonders schwierige jugendliche Rechtsbrecher (Therapieheim, Anstalt für Nacherziehung). Die eidgenössischen Räte fanden sich deshalb bereit, die den Kantonen gesetzte Frist für die Schaffung solcher Einrichtungen nochmals um zwei Jahre zu verlängern
[24].
[21] Zum Vernehmlassungsverfahren vgl. Bund, 2.6.83; ferner SPJ, 1981, S. 149 f. Polizeidirektoren: NZZ, 6.5.83. Vgl. auch AT, 2.6.83; SZ, 3.6.83; Vat., 3.6.83; ferner G. Arzt, «Sexualdelikte und Strafrechtsreform», in Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins, 119/1983, S. 1 ff. u. 291 ff. ; F. Riklin, «Zur Reform des Sexualstrafrechts in der Schweiz», in Recht, 1/1983, S. 53 ff.
[22] Presse vom 2. u. 3.6.83; PZ, 43, 1.12.83; NZZ, 30.12.83. Zu den Videoprodukten vgl. Motionen Guntern (cvp, VS) (Amtl. Bull. StR, 1983, S. 122 f.) und Zbinden (cvp, FR) (Amtl. Bull NR, 1983, S. 1394 ff.).
[23] NZZ, 30.12.83. Vgl. auch das von der Caritas veröffentlichte Reformprogramm zum schweizerischen Strafwesen. Weltanschauliche Aspekte, Strafrecht und Strafverfahrensrecht, Straf- und Massnahmenvollzug, Luzern 1983.
[24] BBl, 1983, III, S. 405 ff.; Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1322 ff., 1371, 1555; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 492 f., 532, 585 ; AS, 1983, S. 1346; vgl. auch BaZ, 30.6.83 ; NZZ, 8.10.83. Vgl. ferner SPJ, 1973, S. 16 und 130. Auf Mängel im modernen Strafvollzug wurde ausserdem anlässlich der Entweichung L. Gellis aus der Genfer Strafanstalt hingewiesen ; vgl. CdT, 13.8.83 ; einfache Anfrage Ziegler (sp, GE) in Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1879 sowie unten, Teil I, 2 (Relations bilatérales).
Copyright 2014 by Année politique suisse
Dieser Text wurde ab Papier eingescannt und kann daher Fehler enthalten.