Année politique Suisse 1983 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
Gerichte
Die 1980 und 1981 vorgenommenen personellen Verstärkungen hatten die Überlastung der eidgenössischen Gerichte nicht zu beheben vermocht. Eine dauernde Lösung des Problems wurde mit der
Revision des Organisationsgesetzes für die Bundesrechtspflege angestrebt, an der seit 1978 eine.von Bundesrichter H. Dubs präsidierte Expertenkommission gearbeitet hatte. Im April sandte das EJPD deren Vorschläge in die Vernehmlassung. Die Experten gedachten die Geschäftslast des Bundesgerichts vor allem durch die
vermehrte Einfügung von Beschwerdeinstanzen (eidgenössische Rekurskommissionen, kantonale Verwaltungsgerichte) abzubauen, machen doch die stark zunehmenden staatsund verwaltungsrechtlichen Beschwerden einen wesentlichen Teil der Pendenzen aus. Ausserdem sollten die
Streitwertgrenzen erhöht, verschiedene Verfahren vereinfacht und die Zahl der Richter pro Streitfall grundsätzlich auf drei reduziert werden. Im Gegensatz zur Meinung der Kommission regte das EJPD zusätzlich die Einführung eines Zulassungsverfahrens an, allerdings nur für Fälle, die bereits von einer richterlichen Instanz entschieden worden sind. Schliesslich wünschte es auch eine Regelung für Urteilsrevisionen, die durch Entscheide von Instanzen des Europarats aufgrund der Menschenrechtskonvention veranlasst werden
[28].
Die Reformvorschläge der Experten und des EJPD ernteten ein uneinheitliches Echo. Bürgerliche Stimmen sahen in der vermehrten Gesetzgebungstätigkeit den Hauptgrund für die stärkere Beanspruchung des Bundesgerichts. Gegen die Beschränkung des Zugangs zum Gericht für den Bürger wurden Bedenken erhoben. Einzelne Kantone wandten sich auch dagegen, dass der Bund Vorschriften über die kantonale Verwaltungsgerichtsbarkeit erlassen solle
[29].
Während die Vernehmlassungsfrist noch lief, griff die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats einen neuen Notruf des Bundesgerichts auf und drang im Juni auf ausserordentliche Massnahmen, um die Zeit bis zum Inkrafttreten der Gesetzesrevision zu überbrücken. Wenige Wochen später erteilte der Europäische Gerichtshof der Menschenrechte der obersten Gerichtsinstanz des Landes die bereits erwähnte Rüge wegen Verschleppung
[30]. Im Oktober schlug darauf der Bundesrat vor, bis Mitte 1988 die
Zahl der Ersatzrichter (von 15 auf 30) und der Urteilsredaktoren zu erhöhen und darüber hinaus auch ehemalige Bundesrichter als Ersatzrichter einzustellen, um aus ihrer Erfahrung Nutzen zu ziehen
[31].
[28] Presse vom 7.4.83; Bund, 27.8.83; JdG, 30.11.83. Zur Überlastung vgl. SPJ, 1979, S. 27; 1980, S. 24; 1981, S. 24; 1982, S. 16. Über die Vorbereitung der Gesetzesrevision vgl. auch SPJ, 1978, S. 23.
[29] Gesetzgebungstätigkeit: JdG, 18.7.83; NZZ, 19.10.83 (FDP). Zugang zum Gericht: Vat., 14.10.83 (0W); 9.11.83 (NW); NZZ, 19.10.83 (CNG). Verwaltungsgerichtsbarkeit: Vat., 14.9.83 (UR); SZ, 7.10.83 (SO).
[30] Notruf des Bundesgerichts: Gesch.ber., 1982, S. 306. Geschäftsprüfungskommission : Amtl. Bull. NR, 1983, S. 835 f., 844 ff.; SZ, 16.6.83. Europäischer Gerichtshof: TA, 16.7.83 ; NZZ, 23.8.83 ; vgl. oben, Grundrechte. Über spezifische Probleme des Bundesversicherungsgerichts vgl. BaZ, 2.11.83.
[31] BBl, 1983, IV, S. 473 ff.; NZZ, 20.10.83.
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