Année politique Suisse 1983 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
 
Konjunkturpolitik
Die Zunahme der Arbeitslosigkeit führte zu einer Anpassung der bisherigen Konjunkturpolitik. Dabei blieb die Inflationsbekämpfung allerdings weiterhin ein prioritäres Ziel. Dementsprechend lockerte die Nationalbank ihre Geldpolitik nur leicht: anstelle der vorgesehenen 3% dehnte sie die bereinigte Notenbankgeldmenge um 3,6% aus; für 1984 ist erneut ein Wachstum von 3% geplant [10]. In der Finanzpolitik jedoch kam es zu einem vorsichtigen Kurswechsel. Zwar blieb das längerfristige Ziel eines ausgeglichenen Bundeshaushaltes bestehen; auf kürzere Sicht aber entschloss sich das eidgenössische Parlament mit der Verabschiedung eines Beschäftigungsprogramms zu einer Vergrösserung des Defizits. Durch das Vorziehen staatlicher Käufe und weitere Massnahmen soll. der Auslastungsgrad der privaten Wirtschaft erhöht und dadurch die Lage auf dem Arbeitsmarkt verbessert werden. Der Fehlbetrag in der Staatsrechnung des Bundes, der 1983 855 Mio Fr. betrug, war somit nur noch teilweise Ausdruck eines strukturellen Ungleichgewichts zwischen Ausgaben und Einnahmen. Etwa ein Drittel des Defizits beruht auf einer bewusst konjunktursteuernden Finanzpolitik [11].
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Beschäftigungsprogramm
Der bundesrätliche Entwurf für das Beschäftigungsprogramm (Massnahmen zur Stärkung der schweizerischen Wirtschaft) wurde den eidgenössischen Räten Ende Januar unterbreitet. Im März hiessen beide Kammern die Vorlage mit geringfügigen Änderungen gut [12]. Das Programm bringt für den Bund Zusatzausgaben in der Höhe von rund 1 Mia Fr. mit sich, die allerdings auf mehrere Jahre verteilt werden. Es umfasst zwei Gruppen von Massnahmen. Die eine zielt auf die Belebung der Binnennachfrage ab, die andere auf die Exportförderung.
In den binnenwirtschaftlichen Bereich fällt das Kernstück des Massnahmenpakets, nämlich das sogenannte Beschaffungsprogramm. Dieses sieht Bundesaufträge an die Privatwirtschaft in der Höhe von knapp 665 Mio Fr. vor. Dabei handelt es sich irn wesentlichen um Vorhaben, die ohnehin realisiert würden. Das Programm umfasst hauptsächlich Ausrüstungsinvestitionen und Rüstungsgüter. Für letztere sind über 270 M:io Fr. bestimmt. Das zeitliche Vorziehen der Aufträge müsste konsequenterweise später zu einer entsprechenden Entlastung des Bundeshaushaltes führen. Von den Käufen der Eidgenossenschaft erwartet man, dass sie weitere Aufträge — von der Seite Dritter sowie von der Seite von Kantonen und Gemeinden — auslösen; insgesamt sollte sich so ein Auftragsvolumen von etwa 1,7 Mia Fr. ergeben. Neben den Beschaffungsvorhaben beinhaltet das Beschäftigungsprogramm in seinem binnenwirtschaftlichen Teil Massnahmen zur Förderung der Forschung (25 Mio) sowie Kredite für die Umschulung und Weiterbildung von Arbeitslosen (0,8 Mio).
Im aussenwirtschaftlichen Bereich des Pakets dominiert die Erhöhung des Bundesvorschusses an die Exportrisikogarantie um 80 Mio für 1983 und um 90 Mio für 1984. Mit dieser Massnahme lassen sich Gebührenanpassungen und Leistungsminderungen der Versicherung vermeiden, die sich angesichts zunehmender Zahlungsschwierigkeiten vieler Abnehmerländer unserer Exportindustrie aufgedrängt hätten. Des weiteren stockte das Parlament den bestehenden Rahmenkredit für die Finanzierung von sogenannten Mischkrediten (Kombination zinsloser Staatskredite mit verzinslichen Bankkrediten) um 100 Mio auf. Schliesslich fliessen kleinere Beträge in die allgemeine Exportförderung und. in die Tourismuswerbung [13].
In den eidgenössischen Räten wurde die Notwendigkeit eines Beschäftigungsprogramms mit grossem Mehr bejaht. Den Nichteintretensantrag von O. Fischer (fdp, BE) lehnte die grosse Kammer ebenso ab wie den Rückweisungsantrag von K. Villiger (fdp, LU). Trotz ihrer grundsätzlichen Zustimmung äusserten sich jedoch viele Votanten kritisch über die Vorlage. Bürgerliche Sprecher mahnten zur Zurückhaltung und unterstrichen die Notwendigkeit der späteren Kompensation der Mehrausgaben. Sie hoben zudem hervor, dass für das Vorankommen der Wirtschaft in erster Linie eine Verbesserung der Rahmenbedingungen wichtig sei. Vertreter der Linken stiessen sich an der Vorrangstellung der Rüstungsausgaben innerhalb des Beschaffungsprogramms. F. Borel (sp, NE) wollte den Kredit für Kriegsmaterial um jene 190 Mio kürzen, die für das Flab-Feuerleitgerät Skyguard bestimmt sind, da nur gutgehende Unternehmen von diesen Aufträgen profitieren würden. Der Vorschlag vermochte bloss wenige Stimmen auf sich zu vereinigen. Sowohl Sprecher des Landesrings als auch der Linken vermissten im Massnahmenpaket eine stärkere Berücksichtigung zukunftsorientierter Investitionen, etwa im Bereich des Energiesparens, des Umweltschutzes und des öffentlichen Verkehrs. Unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gaben viele Sprecher ihrer Sorge darüber Ausdruck, dass die vom Beschäftigungsrückgang am meisten betroffenen Branchen und Regionen — genannt wurden die Uhrenbranche und der Jura — im Programm zu kurz kämen [14]. Das Beschaffungsprogramm geht in seiner endgültigen Fassung um rund 25 Mio über den Vorschlag der Landesregierung hinaus. Ursprünglich hatte der Nationalrat gar noch zusätzlich 100 Mio mehr bewilligen wollen, und zwar für Lärmschutzmassnahmen an Hauptstrassen und für 50 SBB-Personenwagen. Im Differenzenbereinigungsverfahren verzichtete er dann aber auf diese Kredite [15].
Der Nationalrat behandelte mehrere im Zusammenhang mit dem Beschäftigungsprogramm stehende persönliche Vorstösse. So wandelte er eine Motion der sozialdemokratischen Fraktion in ein Postulat um, das den Bundesrat ersuchte, für den Fall eines längerdauernden Konjunktureinbruchs schon jetzt zusätzliche Arbeitsbeschaffungsprogramme vorzubereiten; bei der Erarbeitung solcher Programme wäre nach Meinung der Motionäre darauf zu achten, dass sie auch langfristig sinnvoll sind und dass sie gezielt besonders bedrohte Regionen und Branchen stützen [16].
 
[10] SNB, Geschäftsbericht, 76/1983, S. 10 und 25 f. Vgl. auch unten, Teil I, 4b (Geldmenge).
[11] Vgl. unten, Teil I, 5 (Finanzpolitik). Vgl. auch SPJ, 1982, S. 68. Vgl. ebenfalls Suisse, 3.2.83 ; NZZ, 5.2.83 ; 2.3.83; 21.5.83.
[12] BBl, 1983, I, S. 841 ff.; Amtl. Bull. NR, 1983, S. 270 ff., 368 ff. und 452 ff.; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 83 ff. und 124; BBl, 1983, I, S. 1208 ff. und 1216 ff.; 24 Heures, 1.2.83; BaZ, 18.3.83; Mitteilungsblatt fi'ir Konjunkturfragen, 39/1983, Nr. 1. Für eine Zwischenbilanz der Wirkungen des Beschäftigungsprogramms siehe BaZ, 13.12.83 sowie Gesch. ber., 1983, S. 309.
[13] Vgl. oben, Teil I, 2 (Mesures de soutien à l'exportation).
[14] Amtl. Bull. NR, 1983, S. 270 ff., 368 ff. und 452 ff ; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 83 ff und 124; BaZ, 3.3.83; 10.3.83; Bund, 9.3.83; NZZ, 19.3.83. Vgl. das Communiqué des SGB vom 31.1.83 sowie jenes der SPS vom 31.1.83; vgl. auch SAZ, 11, 17.3.83. Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Arbeitsbeschaffung durch Rüstungsaufträge siehe «Dossier: Arbeit durch Rüstung», in Friedenszeitung, Februar 1983.
[15] Die Differenz hinsichtlich der SBB-Wagen wurde mit Hilfe der Verabschiedung einer Motion bereinigt, die einen Kompromiss beinhaltet (vgl. unten, Teil I, 6b, Eisenbahnen, Anm. 31).
[16] Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1151 B. Vgl. auch die Motion des StR von 1982 sowie die entsprechende Motion von E. Rothen (sp, SO), welche gezielte Massnahmen gegen regionale Wirtschaftseinbrüche forderten; die Motionen wurden nur teilweise überwiesen, wobei der überwiesene Teil die flexiblere Handhabung des Bundesbeschlusses über Finanzierungsbeihilfen zugunsten wirtschaftlich bedrohter Regionen verlangt: Amtl. Bull. NR, 1983, S.391 ff. Vgl. ebenfalls die in Postulate umgewandelten Motionen von Reimann (sp, BE), Roy (cs, JU) und Borel (sp, NE): Amtl. Bull. NR, 1983, S. 394 ff. und 990 f.