Année politique Suisse 1983 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation / Verkehrspolitik
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Gesamtverkehrskonzeption
Die Bemühungen um die Schaffung einer Rechtsgrundlage für eine koordinierte Verkehrspolitik nahmen 1983 ihren Fortgang. Im März wurde die Botschaft des Bundesrates zu zwei neuen Verfassungsartikeln veröffentlicht [1]. Inhaltlich stützt sich die Vorlage weitgehend auf die seinerzeitigen Empfehlungen der Kommission für eine Gesamtverkehrskonzeption (GVK) [2]. Sie überträgt dem Bund die Funktion, die Ziele der künfligen gesamtheitlichen Politik festzulegen sowie die einzelnen Verkehrssektoren entsprechend aufeinander abzustimmen. Die Hauptziele werden von den geplanten Verfassungsartikeln allerdings vorgegeben. Es sind dies die Befriedigung der Verkehrsbedürfnisse, der wirtschaftliche Einsatz der Mittel und der Schutz der Umwelt. Das Problem der Gewichtung dieser miteinander nicht unbedingt harmonierenden Ziele überlässt die bundesrätliche Vorlage der Gesetzgebung.
Einen Eckpfeiler der neuen Konzeption bildet die Aufgabenumverteilung zwischen Bund und Kantonen. Angestrebt wird eine Übereinstimmung von Sach- und Finanzierungskompetenzen. Ausgangspunkt bildet die Unterscheidung zwischen einer nationalen und einer regionalen Verkehrsinfrastruktur. Für erstere soll die Eidgenossenschaft sorgen, für letztere die Kantone. Somit wäre der Bund für alle Verkehrsnetze von nationaler Bedeutung (Bahnen, Strassen, Wasserwege, Flugplätze und Rohrleitungen) verantwortlich. Für die Kantone ergäbe sich ein stärkeres Engagement im öffentlichen Regionalverkehr. In diesem Bereich hätten sie die Finanzierung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen und der Infrastrukturkosten zu übernehmen. Dabei gilt es aber zu beachten, dass den Kantonen künftig ein grösserer Anteil an den Treibstoffzoll-Einnahmen zufliesst. Zudem sieht die bundesrätliche Gesamtkonzeption einen Lastenausgleich vor; er soll bewirken, dass kein Kanton unverhältnismässige Leistungen erbringen muss. Die vorgeschlagenen Verfassungsbestimmungen halten die dargelegte Aufgabenteilung allerdings nicht vollumfänglich ein. So hat der Bund Grundsätze für die Förderung und Ausgestaltung des öffentlichen Regionalverkehrs aufzustellen; angesichts des der Eidgenossenschaft zufallenden Koordinationsauftrages erweist sich ein solches Eindringen in die kantonale Domäne als unumgänglich. Im Gegenzug erhalten die Kantone das Recht, bei Planung, Bau und Unterhalt der nationalen Verkehrsnetze mitzuwirken; damit trägt man ihrem Interesse an den schweizerischen Hauptverbindungen Rechnung.
Eigentlicher Angelpunkt der Revisionsvorlage ist die Postulierung der Eigenwirtschaftlichkeit des gesamten Verkehrswesens [3]: In der Regel sollen die Benützer der Verkehrsnetze die von ihnen verursachten Kosten langfristig decken; von Bund, Kantonen oder Gemeinden veranlasste gemeinwirtschaftliche Leistungen werden von diesen Körperschaften allerdings abgegolten [4]. Offen bleibt die Frage nach den zu berücksichtigenden Kategorien von Kosten. Bisher war es üblich, nur die Wegekosten der Verkehrsträger zu berechnen. Da aber die neue Verkehrskonzeption unter anderem den Schutz der Umwelt anstrebt, müssten konsequenterweise auch soziale Kosten wie Lärm und Luftverschmutzung miteinbezogen werden; man hätte sich dann allerdings über die Bewertung dieser Auswirkungen zu einigen [5].
Das Pendant zum Postulat der Eigenwirtschaftlichkeit bildet die von der Verfassungsrevision vorgesehene Neuordnung der Finanzierung der Verkehrsausgaben des Bundes. Geplant sind zwei getrennt geführte Kassen, eine für den öffentlichen und eine für den privaten Verkehr [6]. Nur Massnahmen, die beiden Verkehrsarten nützen, dürfen aus beiden Quellen gemeinsam finanziert werden. In die Kasse für den privaten Verkehr fliessen einerseits die zweckgebundenen Anteile an den Treibstoffzöllen und andererseits die Einnahmen aus Strassènverkehrsabgaben; die im Februar vom Volk gutgeheissene Neuregelung der Treibstoffzölle hat somit bereits Eingang in die Konzeption des Bundesrates gefunden. Als Novum will die Landesregierung nun aber auch die für den öffentlichen Verkehr bestimmten Gelder aus dem allgemeinen Bundeshaushalt herauslösen: 5% der Steuer- und Zolleinnahmen der Eidgenossenschaft sollen für die Belange des öffentlichen Verkehrs — vor allem der Bahnen — reserviert werden [7]. Weitere Mittel wären durch die Transportunternehmungen aufzubringen, und zwar in Form von Vergütungen für die Benützung der künftig vom Bund bereitgestellten Infrastruktur [8]. Hinter diesem Vorschlag steht der Wunsch, den Bahnen jenen Finanzierungsmodus zugute kommen zu lassen, der sich bei den Strassen seit langem bewährt hat. Die verfassungsmässige Garantie der Mittel für den öffentlichen Verkehr würde den jetzigen Zustand beenden, in dem Investitionsvorhaben in diesem Sektor in Konkurrenz mit anderen wichtigen Staatsaufgaben stehen.
Hiervon erhofft man sich eine Verbesserung der Wettbewerbssituation der Schiene im Verhältnis zur Strasse. Gegen den erwarteten Vorteil abzuwägen sind aber die Nachteile, die sich aus der zunehmenden Zweckbindung von Bundesmitteln ergeben. Diese engt den zukünftigen Entscheidfreiraum ein. Sie behindert Anpassungen der Ausgabenstruktur an veränderte wirtschaftliche Bedingungen. Damit besteht die Gefahr eines nichtrationellen Mitteleinsatzes [9].
Die Reaktionen der politischen Parteien auf die Botschaft des Bundesrates blieben ohne Enthusiasmus. Allgemeine Zustimmung fand die gesamtheitliche Betrachtungsweise. Einzelne Bestimmungen der Revision stiessen jedoch auf Kritik. Die FDP und die CVP äusserten Vorbehalte gegenüber der vorgeschlagenen Finanzierung über Prozente an den Bundeseinnahmen. Die Sozialdemokraten hielten die für den öffentlichen Verkehr bestimmten Aufwendungen für zu gering. Der Landesring bemängelte das Fehlen einer klaren Regelung bezüglich des Agglomerationsverkehrs. In dieselbe Richtung zielte ein Argument des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS). Dieser Verband kleidete seine Stellungnahme in ein eigenes, als Gegenposition zur Vorlage des Bundesrates gedachtes «umweltgerechtes Verkehrsleitbild». Dessen Ansatzpunkt ist die Ablehnung der der offiziellen Konzeption zugrundeliegenden Annahme, wonach der Verkehr ständig zunehmen wird. Der VCS setzt sich für eine Abkehr von der Vorstellung ein, dass sämtliche Verkehrsbedürfnisse weiterhin im bestehenden Ausmass erfüllbar sind. Insbesondere der Pendlerverkehr wäre nach Ansicht des Clubs einzudämmen, und zwar, indem man Arbeitsplätze und Wohnraum enger zusammenlegen würde [10].
 
[1] Vgl. SPJ, 1982, S. 96. Die geplante Verfassungsrevision umfasst hauptsächlich die Artikel 36ter und 37 BV. Botschaft: BBl, 1983, I, S. 941 ff. ; vgl. BR L. Schlumpf, «Auf dem Weg zu einer koordinierten Verkehrspolitik», in Documenta, 1983, Nr. 2, S. 16 f.; vgl. auch Jahrbuch der Schweiz. Verkehrswirtschaft, 1983, S. 5 ff. (BR L. Schlumpf und C. Kaspar); vgl. ebenfalls Presse vom 22.3.83 sowie NZZ, 26.3.83.
[2] Vgl. SPJ, 1978, S. 98 ff.
[3] Für eine Kritik des Prinzips der Eigenwirtschaftlichkeit aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht siehe Prof. J. Niehans in Bund, 20.10.83.
[4] Als gemeinwirtschaftliche Leistung gilt zum Beispiel der regionale Personenverkehr der SBB.
[5] Vgl. S. Mauch / J. Oetterli, «Die Erfassung der sozialen Nutzen und Kosten des Verkehrs als Instrument der Gesamtverkehrspolitik», in Jahrbuch der Schweiz. Verkehrswirtschaft, 1983, S. 107 ff.
[6] In diesen Geldern nicht inbegriffen sind die Vergütungen für die vom Bund veranlassten gemeinwirtschaftlichen Leistungen.
[7] Gemäss einer Empfehlung der GVK-Kommission hätte die Finanzierung der Ausgaben für den öffentlichen Verkehr über einen Zuschlag zur Warenumsatzsteuer erfolgen sollen (BBl, 1983, I, S. 961 und 1031).
[8] Die Vergütungen hätten gemäss dem Prinzip der Eigenwirtschaftlichkeit langfristig die Kosten für Zinsen und Amortisation der Infrastruktur zu decken (BBl, 1983, I, S. 1031 f.).
[9] Vgl. in diesem Zusammenhang R. Frey / M. Rapp, «Eine Alternative zu OeV-Fonds», in Jahrbuch der Schweiz. Verkehrswirtschaft, 1983, S. 65 ff.
[10] Parteien : Bund, 22.3.83 ; NZZ, 22.3.83. VCS : AT, 12.10.83 ; BaZ, 12.10.83 ; zur Bewertung der GVK durch Umweltschutzkreise vgl. auch SGU-Bulletin, Nr. 4, Dezember 1983, S. 2 f.