Année politique Suisse 1983 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
 
Wohnungsbau
Trotz gewisser Anzeichen für eine mögliche Tendenzwende blieb die Lage auf dem Wohnungsmarkt weiterhin angespannt. War der seit 1976 rückläufige Leerwohnungsbestand 1982 erstmals wieder leicht angestiegen, und zwar von 0,5% im Jahre 1981 auf 0,7%, erfuhr der Wohnungsbau dagegen im ersten Halbjahr 1983 erstmals seit 1977 wieder einen Rückschlag. Gegenüber der entsprechenden Vorjahresperiode nahm die Zahl der neu erstellten Wohnungen in den Gemeinden mit über 2000 Einwohnern um 9,7% von 15 869 auf 14 332 Einheiten ab. In den fünf grössten Städten des Landes mit Leerwohnungsziffern von meist unter 0,4% (Basel 0,93%, Genf und Lausanne 0,13%) betrug dieser Einbruch volle 44,7%. Diese rückläufige Bautätigkeit dürfte sich allerdings nicht fortsetzen, befanden sich doch landesweit 8,7% mehr Wohnungen im Bau und wurden 16,2% mehr Baubewilligungen erteilt [20]. Die Ursachen für die geschilderte Lage auf dem Wohnungsmarkt blieben sich weitgehend gleich wie im Vorjahr. Einer zunehmend unbefriedigten Nachfrage nach preisgünstigem Wohnraum, besonders im Einzugsbereich der grossen Agglomerationen, standen teure, oft nur schwer oder gar nicht vermietbare und für Personen mit einem beschränkten Einkommen unerschwingliche Neustwohnungen gegenüber. Angesichts der sehr niedrigen Wohndichte (2,5 Personen je Wohnung 1980, 2,9 Personen 1970) sowie des gehobenen und immer noch steigenden Wohnkomforts wäre es allerdings verfehlt, allgemein von einer Wohnungsnot zu sprechen [21].
War in den grossen Städten die Zahl der Hausbesetzungen allem Anschein nach rückläufig, traf auf die Zahl der Obdachlosen eher das Gegenteil zu [22]. Unmut in der Bevölkerung erregte der Verlust bzw. die Verteuerung preisgünstiger Wohnungen durch Abriss, Luxusrenovation, Zweckentfremdung und Spekulation [23].
Um der seit 1981 infolge der Bauteuerung sprunghaft angestiegenen Zahl von Gesuchen um Bundeshilfe gemäss dem Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetz von 1975 zu begegnen, beschlossen die eidgenössischen Räte einen weiteren, aber möglicherweise letzten Rahmenkredit von 1143 Mio Fr. für vier Jahre (wovon 289 Mio Fr. im Rahmen des Massnahmenpakets zur Stärkung der Wirtschaft). Gewisse Vorbehalte bezüglich der Höhe des Kredits, mit dem weitere 10000 Wohnungen verbilligt werden sollen (1975-1982 wurden rund 13 000 Wohnungen gefördert), gab es dabei einzig seitens der SVP und der Liberalen Partei sowie des Schweizerischen Hauseigentümerverbandes. Da der Kredit nicht vorzeitig aufgebraucht werden, sondern bis Ende 1986 reichen sollte, sah der Bundesrat ab 1984 eine Kontingentierung der Bundeshilfe vor [24]. Gegen den Widerstand der SP stimmte ferner der Ständerat einer Verfassungs- und Gesetzesänderung zu, die den Kantonen im Rahmen der Aufgabenneuverteilung die seit 1975 vom Bund getragene allgemeine Wohnbauförderung überbinden soll. Entsprechend dem Vorschlag der vorberatenden Kommission wurde dabei die ursprünglich vorgesehene Übergangsfrist um drei Jahre auf Ende 1986 verlängert, um den Kantonen genügend Zeit zur Anpassung ihrer Gesetzgebung zu verschaffen sowie die Koordination mit dem neuen Rahmenkredit sicherzustellen. Aus der Befürchtung heraus, dass viele Kantone die Aufgabe nicht allein lösen könnten, sprach sich die nationalrätliche Kommission dann allerdings knapp gegen die Kantonalisierung der Bundeshilfe aus [25].
Die Kantone ihrerseits hatten sich ebenfalls mit verschiedenen Vorlagen und Begehren zur Wohnbau- und Eigentumsförderung, zum Wohnschutz sowie zur Erhaltung preisgünstigen Wohnraums zu befassen [26]. Dem Problem der Verdrängung von Wohnraum für die Ansässigen durch Zweit- und Ferienwohnungen begegneten die Tessiner Gemeinden Tenero, Magadino und Brusino in der Weise, dass sie weitgehende Umwandlungsbeschränkungen erliessen und eine Begrenzung des Anteils der genannten Wohnungskategorien am Gesamtwohnungsbestand einführten [27]. Mit einer neuen Form der Wohnbaufinanzierung bzw. einem neuen Bausparmodell leisteten die Kantonalbanken von Schwyz, Zug und Zürich von sich aus und ohne staatliche Beihilfe einen Beitrag zur Verbilligung des Wohnungsbaus [28].
 
[20] Die Volkswirtschaft, 56/1983, S.232 ff. (Leerwohnungsbestand) und 683 ff. (Wohnbautätigkeit); Presse vom 29.4.83; NZZ, 29.10.83; 24 Heures, 29.10.83.
[21] Ursachen: SPJ, 1982, S. 109; Presse vom 11.1.83; Ww, 2, 12.1.83; Suisse, 12.6.83; NZZ, 22.11.83. Wohndichte und Komfort : wf. Dok., 6, 7.2.83; AT, 26.3.83; Suisse, 25.5.83; TA, 25.5.83; 8.12.83; NZZ, 22.11.83. Zur besonders schwierigen Lage in Genf siehe: Le logement en crise, Compte-rendu et conclusions, 4 débats organisés par des travailleurs sociaux, architectes, militants, Genève 1982.
[22] Hausbesetzungen, Räumungen und Prozesse fanden insbesondere statt in Basel (BaZ, 4.3.83 ; 18.3.83), Bern (TW, 7.1.83; Bund, 1.2.83; 21.4.83); Genf (JdG, 28.1.83; 3.2.83; 19.7.83; 26.9.83), Lausanne (24 Heures, 13.1.83; 14.1.83 ; 21.4.83) und Zürich (TA, 10.2.83; 31.3.83 ; 2.5.83 ; Wochen-Zeitung, 11,18.3.83 ;18, 6.5.83). Obdachlose : TW, 4.1.83; 30.12.83; NZZ, 10.3.83; 6.8.83; Vr, 27.5.83; LNN, 15.7.83; BaZ, 18.7.83. In Zürich bemühen sich zwei Vereine um die Bereitstellung von Wohnungen für jugendliche Obdachlose (TA, 14.9.83 ; 19.10.83). Zu beiden Fragen vgl. ferner unten, Teil I, 7d (Jugend) sowie SPJ, 1982, S. 109 f.
[23] D. Arnold / P. Brandenberger, «Beobachtungen am Berner Liegenschaftsmarkt», Artikelserie in Bund, 8.1.83; 10.1.83; 13.1.83; 15.1.83; 18.1.83; 20.1.83; 22.1.83. Ferner TA, 14.1.83; 15.4.83; LNN, 4.10.83; 15.10.83; Vr, 19.10.83. Über die Verdrängung von Wohnraum durch das Sexgewerbe in Zürich: NZZ, 13.3.83; Vr, 7.12.83. Über sanftes Renovieren ohne den üblichen Komfort: NZZ, 28.4.83; TA, 24.5.83; 24.11.83.
[24] BBl, 1983, I, S. 156 ff. (Botschaft) ; II, S. 723 und III, S. 989 (Bundesbeschluss) ; Amtl. Bull. NR, 1983, S. 426 ff. und 1881 (Kontingentierungsabsicht in Antwort auf einfache Anfrage Meizoz, sp, VD, enthalten); Amtl. Bull. StR, 1983, S. 218 ff. (Motion von NR Meizoz als erfüllt abgeschrieben); Presse vom 11.1.83; 17.3.83; 10.6.83; NZZ, 27.1.83; 2.12.83; TLM, 29.11.83. Vgl. auch SPJ, 1982, S. 110f., sowie unten, Teil I, 7a (Marché du travail).
[25] Amtl. Bull. S&R, 1983, S. 2 ff.; Presse vom 1.2.83; 20.4.83; 11.5.83; NZZ, 26.8.83; 8.9.83. Vgl. auch SPJ, 1982, S. 110; ferner oben, Teil I, 1d (Confédération et cantons); Koordinierte Wohnbauförderung. Die Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden, Zürich 1983. Bislang verfügten lediglich die Kantone BE, BL, BS, GE, NE und ZH über eine eigenständige Gesetzgebung zur Wohnbau- und Eigentumsförderung (Vr, 7.3.83). An Neuheiten sind u.a. zu verzeichnen: Verabschiedung eines Gesetzes in LU (Vat., 13.1.83; 29.6.83), Gesetzesentwurf in TI (CdT, 12.2.83; 7.3.83), Erfolg einer Initiative des Mieterverbandes des JU im Parlament (TLM, 28.10.83), je eine überwiesene Motion in FR (Lib., 18.1 1.83) und NW (Vat., 26.3.83), Annahme einer Initiative der SP in Genf (JdG, 25.2.83; 27.6.83).
[26] Vgl. oben, Anm. 25. Zur Beschränkung von Häuserabbruch und Zweckentfremdung von Wohnraum: Verschärfung der Gesetzgebung in GE im Gefolge einer noch schärferen SP-Initiative (NZZ, 1.2.83 ; JdG, 23.4.83 ; 27.6.83), Verwerfung einer SP-Initiative in SG (SGT, 16.2.83 ; 28.4.83 ; NZZ, 20.6.83), Lancierung einer Initiative in GE gegen spekulativen Verkauf von ursprünglichen Mietwohnungen (JdG, 25.3.83; 31.7.83). In BL reichte der LdU eine Initiative zur Förderung des Wohnungseigentums ein (BaZ, 7.1.83). In SG und BE lancierten die kantonalen Hauseigentümerverbände je eine Initiative zur steuerlichen Begünstigung des Haus- und Wohneigentums (SGT, 2.5.83; Bund, 26.9.83; vgl. SPJ, 1982, S. 111). Im Kanton VD lancierte der POP eine Initiative, um auch für die Mieter eine entsprechende Steuervergünstigung zu erhalten (Suisse, 3.3.83; 7.6.83; VO, 7, 3.3.83; 20, 19.5.83).
[27] CdT, 6.8.83; SGT, 17.12.83; TA, 29.12.83. Betrug der Zweitwohnungsanteil gesamtschweizerisch rund 11%, lag er im TI über 27% und in einzelnen Gemeinden gar über 50% (desgleichen im Kanton JU : JdG, 5.10.83; BaZ, 1.11.83; Suisse, 26.12.83). Vgl. auch SBG, Wirtschaftsnotizen, Juli 1983, S. 8 ff. und SPJ, 1982, S. 107.
[28] Zinsstufen-Hypotheken: TA, 8.8.83; NZZ, 22.11.83. Bausparmodell: TA, 12.2.83.