Année politique Suisse 1983 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
Mietwesen
In einem Land mit 70% Mietern, dem liberalsten Mietrecht Westeuropas und einem oft angespannten Wohnungsmarkt verwundert es nicht, dass der
Mieterschutz zum Dauerthema wird
[29]. Blieb der Mietzinsauftrieb mit 2,5% auch deutlich hinter dem Vorjahr zurück (1982: 8,9%), so überstieg er dennoch die allgemeine Teuerung von 1,8%. Trotz einer auf den 1. April angesetzten Zinssenkung von 6 auf 5,5% für Althypotheken schlugen von Mai bis November gleichwohl 11% der statistisch erfassten Mieten auf (1982: 27%) und nur 5% wurden gesenkt (1982: 1%). Dass nun nicht, wie früher bei einer Anhebung der Hypothekarzinse jeweils feststellbar, die Mieten deren Entwicklung folgten, wurde von seiten der Mieter deutlich kritisiert. Beeinflusst wurde die Mietpreisentwicklung aber nicht nur von den Hypothekarzinsen, sondern auch von andern Kostenfaktoren wie den Preisen für Neustwohnungen, für die Erneuerung bzw. Modernisierung von Altwohnungen usw. So lagen z.B. die Mieten der seit Mai auf den November neuerstellten Wohnungen um 3% über jenen der Vorerhebung (per Mai 1983 um 10% höher) und betrugen, je nach Zimmerzahl, das 1,8- bis 2,1fache des Durchschnitts aller früher gebauten Einheiten
[30]. Nach Bekanntwerden der guten Bankabschlüsse per Ende 1982 wurden aus Mieter- und Konsumentenkreisen Stimmen laut, die eine weitere Reduktion der Hypothekarzinsen verlangten. Die Banken ihrerseits hielten die Gewinne aus dem Hypothekargeschäft aber nicht für zu hoch und verwiesen auf die Notwendigkeit, im Hinblick auf gefährdete Firmenkredite genügend Reserven zu äufnen
[31]. Einem Mieteranliegen entsprechend, legte der Bundesrat für Hypothekarzinserhöhungen neue, gestaffelte Uberwälzungssätze fest. Er verdeutlichte zudem die Rechtslage in der Weise, dass bei Hypothekarzinssenkungen die Mietzinse in der Regel entsprechend zu reduzieren seien. Ferner regte Nationalrat Carobbio (psa, TI) eine Stabilisierung der Hypothekarzinsen an. Diese sollten auf dem Wege der Gesetzgebung z.B. für je zehn Jahre fixiert werden.. Der Bundesrat nahm die betreffende Motion als Postulat entgegen, will aber vom Grundsatz eines freien Wohnungsmarktes nicht abgehen
[32].
Die Ablösung des bis 1987 befristeten Bundesbeschlusses über
Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen (BMM) durch eine dauerhafte Regelung ist gegenwärtig voll im Gang. Als Gegenvorschlag zu der 1982 eingereichten Mieterschutzinitiative soll auf Verfassungsebene die geltende Missbrauchsgesetzgebung aufs ganze Land ausgedehnt sowie auf Gesetzesebene der Kündigungsschutz verstärkt werden (Schaffung eines Bundesgesetzes und Revision der Mietvertragsbestimmungen im OR). Indem aber der Bundesrat seinen Auftrag zur Ausarbeitung einer Botschaft mit der Auflage verband, im Bereich des Kündigungsschutzes eine mit der Kündigungsfreiheit konforme Lösung zu treffen, kam er dem Hauptanliegen der Initianten nicht nach. Diese beharren denn auch weiter auf ihrer Forderung, dass ungerechtfertigte Kündigungen auf Begehren der Mieter vom Richter aufzuheben seien. Ein bloss mässiger Schutz gegen zweckfremde Kündigungen genügt dem Schweizerischen Mieterverband nicht. Im Bereich der Mietzinsgestaltung möchten die Initianten möglichst die Kostenmiete verwirklicht sehen, ohne aber die Einführung einer staatlichen Mietzinskontrolle zu verlangen. Die Gegner einer jeglichen Verschärfung der heute geltenden Regelung (Arbeitgeber, Hauseigentümer, bürgerliche Parteien) halten die Aufrechterhaltung der Vertragsfreiheit, einen gut funktionierenden, von Planungsvorschriften, Bürokratie und unnötigen Steuern entlasteten Wohnungsmarkt sowie eine gezielte Wohnbauftirderung für die beste Form von Mieterschutz
[33].
[29] Die international niedrige Wohneigentumsquote betrug 1960 noch 33,7%, zehn Jahre später auf ihrem Tiefstpunkt 28,1% und 1980 dann 29,9% (Lib., 5.1.83; TW, 18.1.83 ; NZZ, 17.6.83 ; SBG, Wirtschaftsnotizen, Juli 1983, S. 8 ff.). Liberales Mietrecht: TA, 8.3.83. Wohnungsmarkt: vgl. oben, Wohnungsbau.
[30] Miete und allgemeine Teuerung: Die Volkswirtschaft, 56/1983, S. 816 ff. und 835 ; BaZ, 19.7.83 ; 24 Heures, 29.7.83. Von 1948-1980 sank der Lohnanteil, den ein Durchschnittsschweizer für die Miete ausgeben musste, auf 11,1% gegenüber 12,6% im Jahre 1982. Bei fast einem Drittel der Mieter liegt der betreffende Anteil jedoch über 20%(wf, Dok., 6, 7.2.83; Vr, 18.2.83; LNN, 3.12.83). Hypothekarzins: TW, 7.1.83; 19.10.83; TA, 14.1.83; Ww, 3, 19.1.83; 18, 4.5.83; 24 Heures, 1.2.83; BaZ, 22.2.83; NZZ, 22.4.83; ferner auch oben, Teil I, 4b (Geld- und Kapitalmarkt).
[31] TW, 7.3.83 ; 19.10.83; Suisse, 9.10.83 ; TA, 11.11.83. Der Schweiz. Mieterverband (SMV) gab ein Merkblatt über Mietzinssenkung bei Hypothekarzinsabschlägen sowie die Publikation Mietrecht für die Praxis heraus (NZZ, 3.1.83; BaZ, 3.6.83). Seine Mitgliederzahl stieg von 1981-1983 von 27 778 auf 33 239 an (TA, 16.5.83). Mit der Ausdehnung der Sektion OW auf NW sowie der Gründung der Sektionen SO, SZ und UR ist der SMV, mit Ausnahme von GL, nunmehr in sämtlichen Kantonen vertreten (Vat., 19.1.83; 7.3.83; 1.10.83; SZ, 8.8.83).
[32] Revision der Verordnung über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen vom 14.3.1983 (AS, 1983, I, S. 256 f.; Presse vom 15.3.83). Eine Hypothekarzinserhöhung von berechtigt nicht mehr generell zu einer Mietzinserhöhung von 3,5% (SPJ, 1982, S. 112), sondern höchstens zu 3% bei Hypothekarzinssätzen von mehrals 6%, zu 3,5% bei Sätzen zwischen 5 und 6% sowie zu 4 % bei Sätzen unter 5%. Motion: Amtl. Bull. NR, 1983, S. 936 ff.
[33] Presse vom 15.3.83; 15.9.83; BaZ, 20.6.83; AT, 1.8.83. Die Botschaft sowie Einzelheiten zum Entwurf zu einem Gegenvorschlag, den eine 1982 vom BR eingesetzte Arbeitsgruppe vorbereitet und 1983 veröffentlicht hat, standen am Jahresende noch aus. Über Mieterschutzinitiativen ist schon in früheren Jahren abgestimmt worden (vgl. SPJ, 1970, S. 122 f.; SPJ, 1977, S. 113 f.). Zum geltenden Recht vgl. SPJ, 1970, S. 119 ; 1972, S. 106 f. ; SR, 220 und 221.213.1 Dem BMM sind gegenwärtig rund die Hälfte aller Gemeinden und 17 Kantone vollständig unterstellt.
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