Année politique Suisse 1983 : Infrastruktur und Lebensraum / Erhaltung der Umwelt
 
Luft
Auch in speziellen Bereichen der Umweltproblematik kündigten sich im Berichtsjahr neue Entwicklungen an [17]. Als bedenkliche Folge der Luftverschmutzung erregte der «Saure Regen» die öffentliche Aufmerksamkeit. Durch Verbrennung von Öl und Kohle zu Heizzwecken, in der Industrie und im Verkehr wird unter anderem Schwedeldioxid als primärer Schadstoff produziert, der in der Luft durch fotochemische Prozesse umgewandelt wird. Teilweise durch nasse, teilweise durch trockene Ablagerungsprozesse werden die sekundären Schadstoffe aus der Luft ausgeschieden und können als Saurer Regen auf die Erde fallen. Zu den wichtigsten Schäden des Sauren Regens gehören die Übersäuerung von Böden und Gewässern, die Korrosion von Metallen und möglicherweise auch das Waldsterben. Weil der Umwandlungsprozess jedoch nur langsam abläuft, verteilen sich die Emissionen räumlich und sind die Auswirkungen nicht regional beschränkt. Veröffentlichte Schätzungen ergaben, dass ein grosser Teil der Schwefelverbindungen :in den Niederschlägen der Schweiz aus den umliegenden Industriestaaten stammt [18].
Wirkungsvolle Bekämpfungsmassnahmen mussten demnach grenzüberschreitend angestrebt werden. Aufgrund einer 1979 abgeschlossenen Konvention zur weiträumigen Bekämpfung des Sauren Regens nahm die UNO-Wirtschaftskommission für Europa Mitte Jahr ihre Arbeit auf. Die Schweiz, welche die Übereinkunft anfangs 1983 ratifiziert hatte, verlangte gemeinsam mit der deutschen Bundesrepublik (BRD), Österreich und den nordischen Staaten eine Reduktion wichtiger Schadstoffe um 30% in den nächsten 10 Jahren. Die Forderung fand jedoch nur in abgeschwächter und nichtverbindlicher Form Aufnahme ins Vertragswerk. Vor allem die Furcht vor Auswirkungen auf die Wirtschaftslage war für die Zurückhaltung in einigen west- und osteuropäischen Delegationen verantwortlich [19]. Im Nationalrat wurde eine von Doris Morf (sp, ZH) eingereichte Motion zur weiteren Erforschung des Sauren Regens und zur Festlegung verbindlicher Grenzwerte auf bilateralem Wege gutgeheissen [20].
Umfassend betrachtet konstatierte man in der Schweiz im Jahresvergleich eine deutliche Zunahme der Luftverunreinigung. Besonders besorgniserregend erwies sich die Steigerungsrate bei den zu drei Vierteln vom Autoverkehr produzierten Stickstoffdioxiden. In mehreren Agglomerationen musste ein Überschreiten der empfohlenen Immissionshöchstwerte festgestellt werden, und an verkehrsexponierten Standorten ergaben sich gar Mittelwerte, welche zwei- bis dreimal über den Limiten des Bundesamtes für Umweltschutz (BUS) lagen [21]. Die politischen Auseinandersetzungen über die Bekämpfungsmassnahmen kreisten um die Verschärfung der geltenden Abgasvorschriften zur Beschränkung von Schadstoffen und um die Einführung von bleifreiem Benzin. Mehrere Motionen wurden vom Nationalrat angenommen, welche verlangten, dass die Umstellung auf die neue Benzinsorte gefördert oder bis 1986 obligatorisch erklärt werde. Unterstützt wurden sie durch eine im Dezember vom baselländischen Kantonsparlament lancierte Standesinitiative zur Reinhaltung der Luft. Das ohne Gegenstimme verabschiedete Begehren verlangt im wesentlichen, dass in der gleichen Zeitspanne die Abgabe von genügend bleifreiem Benzin eingeführt und der Schwefelgehalt von Dieseltreibstoffen und Heizölen gesenkt werden [22]. In den publizistischen Debatten wurde dagegen festgestellt, dass kurzfristig keine allgemein akzeptierten Konzepte bestünden. Geteilt waren die Meinungen über die für 1985 geplante weitere Verschärfung der Abgasvorschriften. Im vorübergehenden Stocken der Vorbereitungen zur Einführung von bleifreiem Benzin in der BRD sah Bundesrat Egli jedoch eine Rechtfertigung des schweizerischen Vorgehens. Dieses hatte 1982 den Weg über die Reduktion der Abgase vorgezogen, weil er unabhängiger von gesamteuropäischen Entwicklungen verwirklicht werden kann. Zur Unterstützung der gesetzlichen Schritte lancierte das EDI Ende Jahr eine Kampagne, welche die Bevölkerung auf freiwilliger Basis zur Mithilfe gegen die Luftverschmutzung aufrief [23].
 
[17] Überblick: NZZ, 10.3.83.
[18] BUS (Bundesamt für Umweltschutz), Saurer Regen, Pressedokumentation, Bern 1983; vgl. auch TLM, 25.4.83; Bund, 16.6.83; 24 Heures, 2.7.83; TA, 4.10.83. Wanderungsbilanz: Bund, 23.6.83; Umweltschutz in der Schweiz, 1984, Nr. I, S. 1 ff.
[19] Ratifizierung des «Übereinkommens über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung»: Amtl. Bull. NR, 1983, S. 117 f.; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 151 ff.; vgl. NZZ, 1.3.83; 18.3.83. Tagung in Genf: vgl. NZZ, 8.6.83; 15.6.83. Generell zur Implementationsproblematik: P. Knoepfel / H. Weidner, Die Durchsetzbarkeit planerischer Ziele auf dem Gebiet der Luftreinhaltung aus der Sicht der Politikwissenschaft, Lausanne 1983.
[20] Vgl. Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1459 ff.
[21] BUS, Luftbelastung 1982, Bern 1983; vgl. Presse vom 17.9.83.
[22] Motionen der CVP-Fraktion und von NR Graf (svp, ZH) (Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1462 ff.) sowie von NR Biderbost (cvp, VS) (Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1498 ff. Standesinitiative BL: BaZ, 2.12.83; 6.12.83. Praktisch gleichzeitig überwiesen beide Kammern der eidg. Räte eine weitere Standesinitiative aus GE betreffend den Schutz der Atmosphäre vor Giften (Amtl. Bull. StR, 1983, S. 715; Amtl. Bull. NR, 1983, S. 144; NZZ, 6.10.83; 16.12.83).
[23] Vgl. SPJ, 1982, S. 116. Stimmen zur Verschärfung der Abgasvorschriften 1985: Schweiz. Vereinigung für Gesundheitstechnik (Vr, 26.8.83; positiv); Reden zum Genfer Automobilsalon (Ww, 8, 2.3.83; negativ). Haltung von BR Egli: LNN, 25.1.83. Sympathiekampagne des EDI: Suisse, 3.12.83; TA, 3.12.83.