Année politique Suisse 1983 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Suchtmittel
Nach zweijähriger Arbeit ist 1983 ein auf parlamentarische Vorstösse und Auskunftsbegehren zurückgehender Bericht über die
Drogensituation in der Schweiz erschienen. Hauptsächlich dem Problem der illegalen Suchtmittel gewidmet, wird in dem genannten Werk aber auch auf die dominierende Rolle des Tabak-, Alkohol- und Medikamentenmissbrauchs hingewiesen. So sollen diesen drei legalen Drogen jährlich rund 6600 (4800, 1200 bzw. 600) Menschen zum Opfer fallen gegenüber etwas mehr als 100 Herointoten. Insgesamt gibt es ca. 160 000 Alkoholabhängige. Etwa 46% der Männer und 31% der Frauen zwischen 15 und 74 Jahren sind Raucher. Die Zahl der schwer Drogenabhängigen (Heroin, Kokain) wird auf 6000-12 000 geschätzt. Der Alkohol- und der Tabakkonsum verursachen jährlich volkswirtschaftliche Kosten von rund 1,5 Mia bzw. 600-800 Mio Fr. Tendenziell nimmt der Suchtmittelverbrauch immer weiter zu. Mehr und mehr werden alle sozialen Schichten davon erfasst. Die Abhängigen sind immer jünger. Die Gewohnheiten der Frauen und Männer gleichen sich allmählich einander an. Immer häufiger wird auch die gleichzeitige Abhängigkeit von mehr als einer Droge (Polytoxikomanie). Das Konsumverhalten der Eltern, zerrüttete Familienverhältnisse und emotionale Verwahrlosung sind nach dem Bericht die wichtigsten Ursachen für die beunruhigende Suchtanfälligkeit der Jugendlichen in den wohlhabenden Industrienationen
[11].
Bei den
illegalen Suchtmitteln gewinnen die harten gegenüber den weichen, die weiterhin am gebräuchlichsten bleiben, zunehmend an Bedeutung. Von 1975-1982 stieg die Zahl der meist jugendlichen Drogentoten von 35 auf 109 an. Die mit der Heroinszene eng verbundene Beschaffungskriminalität erlebte ebenfalls einen rapiden Aufschwung, während das organisierte Verbrechertum in der Schweiz bislang noch nicht Fuss fassen konnte. Der Stand der Drogenhilfe ist je nach Kanton sehr unterschiedlich, doch bestehen allgemein grosse Mängel in der Prävention wie bei der Behandlung. Für eine stationäre Therapie stehen zur Zeit lediglich rund 320 Plätze zur Verfügung
[12]. Um künftig den Drogendelinquenten eine doppelte Bestrafung (als Betäubungsmittel- und Fiskaldelikt) zu ersparen, reichte die Begnadigungskommission von National- und Ständerat eine entsprechende parlamentarische Initiative ein. Durch eine Revision des Betäubungsmittelgesetzes von 1951 sollen die oft hohen Fiskalbussen abgeschafft werden
[13]. Eine Broschüre der FDP der Stadt Zürich, welche die Freigabe der weichen Drogen sowie die Straffreiheit für die Konsumenten zur Diskussion stellte, stiess weitgehend auf Ablehnung. Die verschärften Polizeimassnahmen gegen die Zentren der Rauschgiftszene in Zürich wurden aus Kreisen der Drogenfürsorge heftig kritisiert. Andererseits wurde auf Bundesebene eine Volksinitiative zur Einführung der Todesstrafe für Händler von harten Drogen lanciert
[14].
Immer mehr Anklang bei den suchtkranken und seelisch belasteten Personen finden Selbsthilfegruppen wie die «Anonymen Alkoholiker». Die Konferenz der kantonalen Fürsorgedirektoren äusserte im Zusammenhang mit der Aufgabenneuverteilung den Wunsch, der zur Bekämpfung des
Alkoholismus bestimmte Kantonsanteil an den Steuereinnahmen des Bundes aus Herstellung und Einfuhr von gebrannten Wassern möge von 5 auf 10% heraufgesetzt werden. Das Bundesgericht schützte eine Gesetzesbestimmung des Kantons Bern von 1982, wonach Wirtschaften eine Auswahl alkoholfreier Getränke mindestens gleich billig anzubieten haben wie Bier
[15]. Verbote von Reklame für Alkohol und Tabak auf öffentlichem Grund stellen eine weitere Massnahme dar, die das Heer der Süchtigen in der Schweiz nicht noch weiter anschwellen lassen soll. Die Lancierung einer Volksinitiative zur Verwendung der Tabaksteuern zugunsten der Raucher darf dagegen als humoristische Demonstration gegen die Treibstoffzollinitiative des TCS angesehen werden. Nach dem Scheitern eines zu «zentralistischen» Entwurfs für ein neues Heilmittel-Konkordat arbeitet die Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) bereits an einer milderen Fassung, um ein Eingreifen des Bundes zu vermeiden
[16].
[11] Eidg. Betäubungsmittelkommission, Drogenbericht, Bern 1983. Zur gesamten Materie vgl. ferner auch TA, 12.1.83 (Tabakkonsum) ; 18.1.83 ; 9.2.83 ; 11.2.83 ; 10.3.83 ; 29.9.83 ; Presse vom 6.4.83 ; NZZ, 7.4. und 11.4.83 (positive Reaktionen auf Drogenbericht als Ausdruck der Ratlosigkeit); TLM, 5.10.83; Suisse, 13.11.83. Die Ausarbeitung des Drogenberichts wurde insbesondere durch ein 1980 von NR Günter (Idu, BE) eingereichtes Postulat veranlasst (Amtl. Bull. NR, 1980, S. 1693 f.).
[12] Vgl. oben, Anm. 11; Bund, 25.2.83; Suisse, 25.2.83; Presse vom 19.7.83 (Jahresberichte der Kantone über die Drogenhilfe 1981/82). Zur Entwicklung der Drogensituation vgl. ferner TLM, 4.1.83; NZZ, 14.9.83. Zur Drogenhilfe vgl. auch JdG, 18.5.83; TA, 8.12.83.
[13] Vgl. Vat., 27.5.83 ; NZZ, 31.5.83 ; BaZ, 24.6.83 ; 24 Heures, 25.6.83 ; Verhandl. B. vers., 1983, III, S. 17 f. (gleichlautende Initiativen von StR Hänsenberger, fdp. BE, und NR Iten, cvp, NW).
[14] Broschüre: NZZ, 13.8.83; 24.8.83. Zur angesprochenen Problematik vgl. ferner BaZ, 13.1.83 (Staat soll wie in Grossbritannien Drogen an die Süchtigen abgeben); NZZ, 22.1.83; 16.11.83; 24 Heures, 12.11.83. Polizeimassnahmen in Zürich (Jugendliche unter 18 Jahren werden auf die Polizeiwache geführt, wo sie von den Eltern abgeholt werden müssen): TA, 16.2.83; 22.2.83; 25.2.83; 12.3.83; 16.3.83; 24.3.83; 7.5.83; 25.5.83; 9.6.83; Suisse, 16.3.83 ; Tout Va Bien, 187, 18.3.83. Initiative : BBl, 1983, II, S. 106 ff. ; NZZ, 13.10.83 ; 8.11.83 ; 24 Heures, 9.11.83; CdT, 9.12.83.
[15] Selbsthilfe: NZZ, 27.1.83; TAM, 48, 3.12.83. Kantonsanteil: BaZ, 3.2.83; 30.3.83. Bundesgericht: Vr, 9.6.83; NZZ, 24.6.83. Zur gleichen Problematik vgl. ferner Suisse, 14.1.83 (Gesetzesnorm in Bern und Zürich, Motion in Genf); 24 Heures, 14.1.83; BaZ, 9.6.83 (Aufforderung der Guttempler an die Kantone). Ferner soll laut einem vom NR überwiesenen Postulat Girard (fdp, VD) der BR einen umfassenden Bericht über das Alkoholproblem erstellen (Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1509).
[16] Reklameverbote: In BL wird die Initiative den Gemeinden überlassen (BaZ, 8.10.83); in ZG werden die Verträge mit den Plakatgesellschaften entsprechend abgefasst (LNN, 15.7.83); in der Stadt Luzern besteht ein Verbot seit Januar 1982 (LNN, 10.11.83); vgl. auch SPJ, 1982, S. 127. Tabakinitiative: BBl, 1983, I, S. 1240 ff.; NZZ, 8.2.83; Suisse, 16.2.83; vgl. oben, Teil I, 6b (Gesamtverkehrskonzeption). IKS: Vgl. SPJ, 1982, S.127; NZZ, 23.3.83; 13.5.83; 20.5.83; Bund, 19.5.83; BaZ, 17.9.83.
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