Année politique Suisse 1983 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Familien
Auf dem Gebiet der Familienpolitik trat nach der Ständekammer nun der Nationalrat auf die Revision des Ehe-, Ehegüter- und Erbrechts ein. Ein im Namen der unabhängigen und evangelischen Fraktion gestellter Rückweisungsantrag Schalcher (evp, ZH) sowie ein Begehren auf Nichteintreten von C. Blocher (svp, ZH) wurden mit 130: 35 bzw. 143:8 Stimmen abgelehnt. Alle übrigen Fraktionen votierten für die Behandlung der von der zuständigen Ratskommission gründlich vorbereiteten Vorlage und bejahten damit die Anpassung des Eherechts an die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse. In der Detailberatung gingen die Meinungsverschiedenheiten oft quer durch die Fraktionen hindurch, wobei vor allem bezüglich der Wahl des Familiennamens die verschiedensten Lösungen vorgeschlagen wurden. Beim Familiennamen und beim Bürgerrecht wurde allerdings auf eine völlige Gleichstellung der Ehepartner verzichtet, aber den Persönlichkeitsrechten der Ehefrau Rechnung getragen. Mit der Verabschiedung von Sonderregelungen für die Landwirtschaft und das Gewerbe im Eherecht wurde ein weiterer möglicher Referendumsgrund beseitigt. Mit 139:7 Stimmen nahm der Rat einschliesslich der LdU/EVP-Fraktion das neue Gesetz sehr überzeugend an. Die wenigen ins Gewicht fallenden Differenzen zu den Beschlüssen des Ständerates (Familienname, Bürgerrecht usw.) wurden von dessen Kommission im November allerdings erst zu einem geringen Teil bereinigt [20].
Im Rahmen der sich in Vorbereitung befindenden Revision des Scheidungsrechts wird die Scheidung aufgrund gegenseitiger Übereinstimmung nach einer bestimmten Trennungszeit, die gemeinsame Ausübung der elterlichen Gewalt bei Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil sowie die Berechnung der Alimente entsprechend dem Leistungsvermögen beider Elternteile diskutiert. Da in der Schweiz etwa jede dritte Ehe geschieden wird, dürfte die allfällige Ermöglichung der sogenannten Konventionalscheidung einem verbreiteten Bedürfnis entsprechen. Im Hinblick auf diese Revision lancierte eine «Interessengemeinschaft geschiedener und getrennt lebender Männer» eine nationale Petition, um eine Gleichstellung der Männer mit den Frauen im Scheidungsverfahren (Zuteilung der Kinder), eine Begrenzung der Pflicht zum Unterhalt der geschiedenen Frauen auf höchstens fünfJahre sowie die Einführung eines vereinfachten und verkürzten Scheidungsprozesses zu erreichen. Die etwas weiter gediehene Revision des Sexualstrafrechts im Sinne einer gedämpften Liberalisierung ist an anderer Stelle behandelt worden [21].
Im Zusammenhang mit dem Scheitern von national gemischten Ehen kommt es immer wieder vor, dass ein Elternteil die Kinder einfach in seine Heimat mitnimmt oder sie nach Ablauf eines Besuchs- oder Ferienaufenthalts nicht mehr zurückschickt. Zur Lösung dieses Problems, das 1982 zur Gründung einer «Schweizer Gruppe gegen die Entführung von Kindern» geführt hatte, unterbreitete der Bundesrat Anfang 1983 dem Parlament zwei entsprechende internationale Übereinkommen zur Ratifikation. Beide Verträge, die unter aktiver Mitarbeit der Schweiz zustande gekommen sind, bezwecken die möglichst rasche Rückgabe der entführten Kinder an die sorgeberechtigte Person und sehen die Schaffung zentraler Antragsbehörden vor. Ein Abkommen des Europarats will die Anerkennung und Vollstreckung von Sorgerechtsentscheiden erleichtern, und eine von der Haager Konferenz für internationales Privatrecht paraphierte Vereinbarung hat die administrative Rechtshilfe zwischen den Vertragsstaaten zum Inhalt. Unter Warnung vor übertriebenen Hoffnungen wurden die beiden Übereinkommen von den Räten oppositionslos gebilligt [22]. Im Interesse des Wohlergehens der Familien wurden ferner auch verschiedene parlamentarische Vorstösse verabschiedet [23].
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Familienzulagen
Seit 1944 werden Familienzulagen an landwirtschaftliche Arbeitnehmer und an Kleinbauern im Berggebiet ausgerichtet, seit 1962 zusätzlich auch an Kleinbauern im Unterland. Anlässlich der Gesetzesrevision von 1979 waren die Kinderzulagen erstmals gestaffelt worden; sie beliefen sichnun im Talgebiet auf 60 Fr. im Monat für die beiden ersten und auf 70 Fr. für alle weiteren Kinder, im Berggebiet dagegen auf 70 bzw. 80 Fr. Eine neue Änderung des Gesetzes über die Familienzulagen in der Landwirtschaft wurde durch Vorstösse im Parlament sowie durch Eingaben interessierter Organisationen ausgelöst. Entgegen den Vorschlägen einer 1982 eingesetzten Arbeitsgruppe verzichtete der Bundesrat aus Kostengründen darauf, in seinem Vorentwurf einheitliche Kinderzulagen von 100 Fr. im Tal- und 120 Fr. im Berggebiet vorzusehen. Mit einer Heraufsetzung der gestaffelten Kinderzulagen um generell 20 Fr. waren in der Vernehmlassung dann wohl die FDP, die Arbeitgeber und die grosse Mehrheit der Kantone zufrieden, nicht aber die angesprochenen Kreise der Landwirtschaft und des Berggebietes, von denen im Verein mit SP, CVP, SVP und Gewerkschaften höhere Ansätze gewünscht wurden. Im parlamentarischen Verfahren setzte sich schliesslich eine Anhebung der betreffenden Beträge um 20 Fr. für das Tal- und um 30 Fr. für das Berggebiet durch. Nur wenig umstritten waren die übrigen Revisionspunkte. Die Kompetenz zur künftigen Anpassung der Familienzulagen wurde dem Bundesrat übertragen. Die Haushaltzulagen für die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer beliess man auf ihrem Niveau von 1974 (100 Fr. pro Monat), während die Kleinbauern auch weiterhin nicht in ihren Genuss kommen werden. Zudem wurde die Bestimmung aufgenommen, dass der Bundesrat, um Härtefälle zu vermeiden, die Einkommensgrenze, die für die Bezugsberechtigung der Kleinbauern massgebend ist, flexibel gestaltet oder die Zulagen abstuft. Dabei nimmt er auf die wirtschaftliche Entwicklung und die finanziellen Auswirkungen Rücksicht. Durch Verordnung des Bundesrats wurde die Einkommensgrenze auf den 1. April 1984 auf 23 500 Franken erhöht [24].
Ein altes Problem griff schliesslich der Kanton Luzern mit seiner Standesinitiative zur Vereinheitlichung der Kinder- und Ausbildungszulagen wie auch der je nach Kanton und Familienausgleichskasse sehr verschiedenen Arbeitgeberbeiträge auf. Die Schaffung einer bundesrechtlichen Ordnung über den Bereich der Landwirtschaft hinaus war zudem 1982 auch von der Arbeitsgruppe «Familienbericht» empfohlen worden. Eine entsprechende Kompetenz müsste nicht mehr begründet werden, da sie bereits seit 1945 in der BV (Art. 34quinquies Abs. 2) enthalten ist [25].
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U.A.
 
[20] NR-Kommission: Suisse, 29.5.83; Bund, 31.5.83; Presse vom 3.6. und 6.6.83. Debatte im NR: Amtl. Bull. NR, 1983, S. 594 ff. und 702 ff. ; Presse vom 7.-10.6.83 und 14.6.83. StR-Kommission : Presse vom 15.11.83 ; NZZ, 22.11.83; 24 Heures, 22.11.83. Zur Revision vgl. auch SPJ, 1981, S.149.
[21] Scheidungsrecht: Suisse, 20.2.83; Lib., 25.3.83. Petition: Presse vom 25.3.83; TLM, 19.5.83; 24.7.83; 5.10.83. Sorgerecht: Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1003 f. (Postulat Mascarin, poch, BS, über eine gemeinsame Ausübung der elterlichen Gewalt, überwiesen); BaZ, 12.2.83 ; 1.3.83; 4.3.83 ; 18.3.83 ; 6.4.83. Zur Alimentenfrage vgl. ferner V. Degoumois, Pensions alimentaires. Aide au recouvrement et avances, Genève 1982. Zur Alimentenbevorschussung in den Kantonen BL und BS vgl. BaZ, 9.2.83; 2.6.83; 6.9.83; 18.10.83; 19.11.83. Sexualstrafrecht: vgl. oben, Teil I, 1b (Strafrecht).
[22] BBl, 1983, I, S. 101 ff. (Botschaft) ; Amtl. Bull. NR, 1983, S.122 ff.; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 320 ff.; Presse vom 7.1.83; TA, 1.3.83; Suisse, 18.7.83.
[23] Über eine parlamentarische Initiative Nanchen (sp, VS) vgl. oben, Teil I, 7c (Mutterschaftsversicherung). Vgl. ferner Motion Segmüller (cvp, SG) über die Absenz vom Arbeitsplatz wegen der Pflege eines erkrankten oder verunfallten Familienmitgliedes (Verhandl. B. vers., 1983, I/II, S. 81 f.); Postulat Darbellay (cvp, VS) über die Erforschung der Kaufkraft der Familien und anderer Haushalte, angenommen (Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1506); einfache Anfrage Piller (sp, FR) über den Bericht Familienpolitik in der Schweiz (Amtl. Bull. NR, 1983, S. 387 ; vgl. auch SPJ, 1982, S. 142).
[24] BBl, 1983, IV, 205 ff. (Botschaft); Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1776 ff. und 1871; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 595 ff., 702 und 723; NZZ, 24.11.83 (StR-Kommission); 25.11.83 (NR-Kommission); Presse vom 30.11.83 (StR); 14.12.83 (NR); BaZ, 16.12.83 (Differenzenbereinigung). Zur Vorgeschichte und zur Vernehmlassung vgl. ferner die Presse vom 31.3.83; NZZ, 16.9.83; SPJ, 1979, 5.139; 1980, 5.133. Verordnung: AS, 1984, S. 343.
[25] Standesinitiative: Vat., 1.3.83; 28.6.83. Zur Frage einer bundesrechtlichen Familienzulagenordnung vgl. auch H.P. Tschudi, «Kantonale oder eidgenössische Kinderzulagenregelung», in Schweiz. Zeitschrift für Sozialversicherung und berufliche Vorsorge, 27/1983, S. 65 ff. (inkl. «Familienbericht») sowie SPJ, 1982, S. 134. Vgl. ferner parlamentarische Initiative Nanchen (sp, VS) (oben, Teil I, 7c, Mutterschaftsversicherung).