Année politique Suisse 1983 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
Kultur
Der neue Vorsteher des Departements des Innern, Bundesrat Egli, charakterisierte im Dezember seine Kulturpolitik als sehr aggressiv, weil er den Kulturbegriff im Sinne der Definition von Europarat und UNESCO sehr weit fasse. Tatsächlich scheint sich dieses neue Kulturverständnis im politischen Leben langsam durchzusetzen, indem entweder zunehmend Bereiche mit einer kulturellen Dimension belegt werden oder sogenannt alternative Ausdrucksformen und ihre Interpreten eine gewisse Anerkennung finden. Obschon die verbale Aneignung eines weitgefassten Kulturbegriffs andere Qualitäten und Tendenzen zum Ausdruck bringt als bloss wohlwollende Stellungnahmen früherer Jahre, blieb die kulturpolitische Diskussion auch 1983 hauptsächlich dem Finanziellen verhaftet
[1].
Die weitgefasste UNESCO-Kulturdefinition wurde einer einmaligen Erhebung des Bundesamts für Statistik zugrunde gelegt, die
Zahlenunterlagen über die Kulturausgaben der öffentlichen Hand für das Jahr 1981 lieferte. Dabei stellte sich heraus, dass der Bund 121 Mio Fr., oder 0,7% des Bundeshaushalts, für Kultur ausgab, während bis anhin von 50 bis 70 Mio Fr. die Rede war. Damit konnten die Forderungen der 1981 eingereichten «Eidgenössischen Kulturinitiative», die 1% der Gesamtausgaben des Bundes für kulturelle Aufgaben reservieren will, als annähernd erfüllt bezeichnet werden. Die Initianten und weitere kritische Stimmen lehnten die Berechnungen, die unter anderem auch 5 % der Hochschulausgaben (für die Kulturfächer) sowie Beiträge an Kunstgewerbeschulen und Zoologische Gärten den Kulturaufwendungen belasteten, als fragwürdig ab
[2].
Im Vernehmlassungsverfahren wurde die
Kulturinitiative von 16 Kantonen, 5 Parteien und 6 Wirtschaftsorganisationen abgelehnt, wobei insbesondere das Kulturprozent auf Widerstand stiess. Daneben sahen die Kantone ihre Kulturhoheit gefährdet, obschon diese im Initiativtext ausdrücklich erwähnt ist. Ein verstärktes, aber flexibel gestaltetes finanzielles Engagement des Bundes, allenfalls aufgrund eines Gegenvorschlags zur Initiative, stiess mehrheitlich auf Befürwortung. Einzig die konsultierten kulturellen Organisationen versprachen sich von einem Gegenentwurf keine Verbesserung; sie fürchteten zudem das doppelte Nein in der Abstimmung. Der Bundesrat betrachtet die
Aufnahme eines Kulturartikels in die Bundesverfassung als sinnvoll und notwendig; er schlug deshalb im Sinne eines Gegenvorschlags einen neuen Artikel 27 septies vor, der einerseits den Bund verpflichtet, in seiner gesamten Tätigkeit die kulturellen Bedürfnisse aller Teile der Bevölkerung sowie die kulturelle Vielfalt des Landes zu berücksichtigen, und andererseits mit einer Kann-Formulierung dem Bund die Möglichkeit gibt, die Kantone in der Kulturförderung zu unterstützen und allenfalls eigene Massnahmen zu ergreifen. Die enttäuschten Initianten bezeichneten diese Vorlage als verfassungsmässige Umschreibung des jetzigen Zustandes ohne verstärktes materielles Engagement. Positiv wurde von anderer Seite jedoch hervorgehoben, dass damit Kultur in umfassendem Sinne als politische Qualität begriffen werde. Die Ergebnisse der parallel zum Vemehmlassungsverfahren durchgeführten Erhebung über Kulturförderungsmassnahmen wurden in einem Handbuch veröffentlicht, das eine Zusammenstellung kultureller Stiftungen und ähnlicher Institutionen enthält und das den Kulturschaffenden über Unterstützungsmöglichkeiten Auskunft gibt
[3].
Die Beiträge an die bedeutendste kulturelle Stiftung des Landes,
Pro Helvetia, werden alle vier Jahre mit einem einfachen Bundesbeschluss festgelegt. Der gegenüber der Periode 1980-83 um 21,05 Mio Fr. auf 58,75 Mio Fr. erhöhte Rahmenkredit für die Jahre 1984-1987 wurde von beiden Räten oppositionslos genehmigt. Die einzelnen Jahresbeiträge werden sukzessive erhöht und sollen 1987 18 Mio Fr. erreichen, was um 7 Mio Fr. unter dem Antrag der Pro Helvetia liegt. Diese erklärte sich dennoch mit der Beitragserhöhung zufrieden. Sie will neben ihren bisherigen Aufgaben vermehrt eigene Initiativen ergreifen, Experimente finanzieren und Versuche mit neuen Ausdrucksformen fördern. Insbesondere gedenkt sie die Kulturarbeit an der Peripherie zu verstärken, nicht nur in der Schweiz, sondern auch durch Intensivierung des kulturellen Dialogs zwischen Nord und Süd. Ihre Absicht, in geeigneten Räumlichkeiten des ehemaligen Pariser Hotels Poussepin ein permanentes Kulturzentrum einzurichten, wurde von dem als Oberaufsichtsbehörde konsultativ angefragten Bundesrat als nicht opportun bezeichnet. Die Landesregierung befürchtete, Pro Helvetia könnte sich ihre Handlungsfreiheit zu stark einschränken, wenn sie unverhältnismässige Summen in Immobilien investiere. Die bundesrätliche Stellungnahme stiess insbesondere in der Westschweiz auf Empörung und die Wochenzeitung «L'Hebdo» startete eine erfolgreiche Unterschriften- und Geldsammlung, um den ;Kauf doch noch zu ermöglichen. Wegen dieser Unterstützung und dem Druck der öffentlichen Meinung hielt die Stiftung schliesslich an ihrem Entscheid fest
[4].
Eine weitere Kontroverse entspann sich einmal mehr um den zu neun Monaten Gefängnis verurteilten «Sprayer von Zürich», der aufgrund eines internationalen Haftbefehls der Zürcher Behörden an der deutsch-dänischen Grenze festgenommen und zeitweise inhaftiert wurde. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz setzten sich Persönlichkeiten des kulturellen Lebens gegen die Auslieferung ein. Der Zürcher Regierungsrat bekräftigte seinen Standpunkt, wonach die Strafvollzugsbehörden ein rechtskräftiges Urteil zu vollziehen hätten
[5].
Neben finanziellen gaben beim Film auch gesetzgeberische Probleme zu reden. Die vorgeschlagene
Teilrevision des Filmgesetzes stiess in der Vernehmlassung mehrheitlich auf Opposition, weil sie als ungenügend erachtet wurde. Auch die vier Bundesratsparteien forderten stattdessen eine Totalrevision, die der rasanten technischen Entwicklung Rechnung tragen und Fragen wie Pay-TV, Video-Verkauf und Satellitenfernsehen einbeziehen soll. Schon vorher hatte zudem die Landesregierung das EDI beauftragt, departementsintern die gesetzlichen Bestimmungen für die Einfuhr und den Verkehr ausländischer Spielfilme zu überprüfen und abzuklären, ob das aus den dreissiger Jahren stammende Kontingentierungssystem durch eine einfachere Einfuhrüberwachung abgelöst werden kann. Bundesrat Egli bestätigte, dass nunmehr eine Gesamtrevision des Filmgesetzes angestrebt und dass im weiteren der Filmkredit ab 1985 auf 7,5 Mio Fr. jährlich erhöht werden soll. Eine Tagung über Filmförderung in Bern verdeutlichte die unterschiedliche Interessenlage von Kulturschaffenden und Kulturverwaltern. Der Filmemacher P. von Gunten forderte, dass der Schweizer Film als Teil der Kultur sich im Medienbereich auch quantitativ Präsenz verschaffen und damit Existenz dokumentieren müsse, um sich der Medienkolonisation erwehren zu können. Weil ein selbsttragendes Filmschaffen in der Schweiz nicht möglich sei, würde dies rund 20 Mio Fr. an unkommerziellen Geldern erfordern. A. Bänninger als Leiter der Sektion..Film im Bundesamt für Kulturpflege erklärte demgegenüber, der Warencharakter des Films könne nicht geleugnet werden und das Ziel eidgenössischer Filmförderung bestehe nicht darin, die Marktkräfte aufzuheben, sondern sie besser zum Funktionieren zu bringen. Einigkeit bestand aber bezüglich eines neuen Aspekts in der Diskussion um die schweizerische Filmförderung, nämlich der Notwendigkeit einer Verbesserung der Lancierung und des Marketings des Schweizer Films
[6].
Kaum bestritten dürfte das Projekt einer westschweizerischen
Zweigstelle des Schweizerischen Landesmuseums im Schloss Prangins bei Nyon werden, für das der Bundesrat mit einer Botschaft einen Kostenbeitrag von 19,85 Mio Fr. beantragte. Das Museum soll vor allem eine Dauerausstellung zu Geschichte und Kultur der Schweiz im 18. und 19. Jahrhundert beherbergen und als kultureller Brückenträger zwischen den beiden grossen Sprachregionen fungieren
[7].
[1] BR Egli: BaZ, 16.12.83; Egli unterstrich dabei, dass er, soweit seine Kompetenz gehe, dafür besorgt sein wolle, dass Kulturschaffende einen möglichst grossen Freiraum haben. Diese seien eine Minderheit, die man fördern und schützen müsse, solange sie nicht delinquiere. Allgemeine Artikel und Publikationen zur Kulturpolitik: G.-A. Chevallaz, «Libéralisme et Culture », in Documenta, 1983, Nr. 3, S. 9 ff. ; A. Krättli, «Die Suche nach der neuen Kultur», in Schweizer Monatshefte, 63/1983, S. 200 ff. ; L. Stibler, «Für einen neuen Kulturbegriff», in Rote Revue/Profil, 62/1983, Nr. 7-8, S. 6 ff.; Information et culture, Lausanne 1983.
[2] Presse vom 8.7.83 ; TA, 27.1.83 ; 20.12.83; NZZ, 12.7.83 ; 24.12.83. Die Ausgaben der Kantone beliefen sich auf 310 Mio Fr., diejenigen der Gemeinden auf 467 Mio Fr. Förderungsschwerpunkte : Bund : Kulturbewahrung, Film; Kantone: bildende Kunst; Gemeinden: Musik, Theater.
[3] Initiative und Gegenvorschlag: Presse vom 2.6.83 und 20.12.83; vgl. SPJ, 1980, S. 153; 1981, S. 159 und 1982, S. 153. Ablehnende Parteien: FDP, LP, LdU, EVP, NA. Kulturförderungsmassnahmen: Handbuch der öffentlichen und privaten Kulturförderung, Bern 1983; LNN, 8.7.83.
[4] Bundesbeiträge an Pro Helvetia: BBl, 1983, II, S. 665 ff.; IV, S. 592; Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1413 ff.; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 711 f.; TA, 19.5.83; 24 Heures, 19.5.83; TLM, 20.5.83; 29.6.83; Bund, 29.6.83; NZZ, 6.10.83; 16.12.83; vgl. SPJ, 1981, S. 159. Beiträge für die einzelnen Jahre: 1984: 12,15 Mio Fr.; 1985: 12,6 Mio Fr. (in beiden Fällen nach Abzug der generellen zehnprozentigen Subventionskürzung) ; 1986: 16 Mio Fr.; 1987: 18 Mio Fr. (diese Beiträge unterliegen gemäss Anschlussprogramm keinen Kürzungen mehr). Hotel Poussepin: Bund, 17.2.83; BaZ, 17.2.83; 1.3.83; 19.3.83; L'Hebdo, 7, 17.2.83; 9, 3.3.83; l0, 10.3.83; 50, .15.12.83; 24 Heures, 18.2.83; 7.3.83; 19.3.83; 14.12.83; TLM, 16.3.83; 19.3.83; NZZ, 14.12.83. Vgl. auch die Interpellation Borel (sp, NE): Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1017 f.; und die Einfache Anfrage Nebiker (svp, BL): Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1077.
[5] BaZ, 29.8.83; 6.9.83; 9.9.83; SGT, 30.8.83; Vr, 6.9.83 ; NZZ, 10.9.83; 15.9.83; 16.9.83; 21.11.83; 31.12.83; 6.1.84; vgl. SPJ, 1979, S. 160; 1981, S. 160. Nichttraditionelles Kulturschaffen fand aber auch Anerkennung, z. B. durch Annahme eines Gegenvorschlags (Aufstockung des Budgets von bisher 100 000 Fr. auf 500 000 Fr. zur Förderung der Alternativ- und Basiskultur für die Jahre 1984 bis 1988) zur «Pop-Initiative» der Jusos (Rückzug) durch die Legislative der Stadt Zürich; vgl. TA, 25.8.83; 26.8.83; 1.12.83; Vr, 25.8.83, 28.11.83; NZZ, 3.11.83; SPJ, 1982, S. 153, Anmerkung 6; im weitern wurde der Versuchsbetrieb in der Roten Fabrik in Zürich um drei Jahre verlängert und das jährliche Budget erhöht; vgl. NZZ, 10.11.83; SPJ, 1980, S. 154; der Grosse Rat des Kantons Luzern genehmigte einen Vertrag mit der Stadt Luzern für die Schaffung eines Musik- und Atelierzentrums auf dem Sedel; vgl. Vat., 18.11.83; 7.12.83; 16.12.83.
[6] Filmgesetz: NZZ, 30.6.83; 2.11.83; 24 Heures, 30.6.83; 2.11.83; LNN, 16.6.83; Vat., 19.11.83; vgl. SPJ, 1982, S. 153. Diskussion Filmförderung: BaZ, 18.6.83; Bund, 25.6.83; L'Hebdo, 32, 11.8.83; vgl. auch C. Schelbert, ««Filmisch gesehen ist die Schweiz problemlos». Die Krise des Schweizer Films und wie sie behoben werden soll», in Widerspruch, 1983, Nr. 6, S. 42 ff.
[7] BBl, 1983, III, S. 1001 ff.; NZZ, 18.8.83; 12.10.83; 24 Heures, 18.8.83; 12.10.83; vgl. SPJ, 1982, S. 153.
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