Année politique Suisse 1984 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
Parteiensystem
Die Auswertung der Nationalratswahlen von 1983 hat Gelegenheit geboten, das schweizerische Parteiensystem von der Wählerseite her zu analysieren.
Aufgrund des Panaschierverhaltens untersuchte das Bundesamt für Statistik, wie nahe bzw. wie fern die einzelnen Parteien einander in den Augen ihrer Anhänger stehen. Die Erhebungen in zwölf Kantonen bestätigen im allgemeinen das Bild, das sich bereits aus dem politischen Verhalten der Parteien ergibt: unter den vier grossen eine besonders enge Verbindung zwischen FDP und SVP, eine etwas schwächere zwischen FDP und CVP, demgegenüber eine relativ isolierte Stellung der SP; Affinitäten der Liberalen vor allem zur FDP, der POCH und der Grünen dagegen zur SP, Mittelposition des Landesrings zwischen FDP und SP. Das Beziehungssystem variiert jedoch von Kanton zu Kanton: so erscheint es in Zürich stärker polarisiert, indem die SP hier von den bürgerlichen Regierungsparteien weit mehr abgeschottet ist als im schweizerischen Durchschnitt. Der historische Vergleich zeigt eine allgemeine Zunahme des Panaschierens seit den 60er Jahren; diese wird mit dem wirtschaftlichen und politischen Entwicklungsprozess in Zusammenhang gebracht, der die Parteiloyalität der Wähler geschwächt hat. Mit Bezug auf diese Analyse stellte ein Kommentator fest, der Parteienstaat von einst sei nur noch der Form nach vorhanden; aus parteipolitischen Gemeinschaften seien handfeste Interessengemeinschaftten mit beschränkter Haftung geworden. Die Schwächung der Parteiidentifikation bestätigte eine auf Umfrage basierende Analyse, nach welcher die traditionelle oder soziale Bindung an eine Partei abnimmt und ein wachsender Teil der Wähler seine Parteipräferenzen nicht mehr begründen kann
[1].
Die Ersetzung von Loyalität und Solidarität durch ein kalkuliertes Interesse spiegelt sich auch im Finanzhaushalt der Parteien. Besonders alarmierend wirkte die Nachricht, die SPS habe beim Bund ein Schuldkonto von mehr als einer halben Million auflaufen lassen und müsse sich diesen Betrag nun anderswo beschaffen
[2]. Umfrageergebnisse und Schätzungen, die verschiedene Zeitungen unter dem Eindruck der westdeutschen Parteispendenaffäre um den Flick-Konzern veröffentlichten, liessen die grossen Unterschiede in den finanziellen Verhältnissen der schweizerischen Landesparteien erkennen. Diesen Informationen zufolge belaufen sich die Ausgaben der drei grossen Bundesratsparteien in Nichtwahljahren auf 1-1, 4 Mio Fr. Während angenommen wird, dass die FDP und die CVP weit über die Hälfte ihres Bedarfs aus Spenden decken, fällt der Hauptanteil der Einnahmen bei der SP auf die Mitgliederbeiträge. Auch die Beiträge der Inhaber von öffentlichen Ämtern sind in der SP höher als in den bürgerlichen Regierungsparteien. Einen Sonderfall bildet der Landesring, der bisher zu 90% von der Migros finanziert wurde
[3].
Angesichts solcher Unterschiede ist es nicht verwunderlich, dass die durch eine parlamentarische Initiative Hubacher (sp, BS) 1979 wieder aufgegriffene
Forderung nach Bundesbeiträgen für die Parteien im Ständerat noch schwächeres Echo fand als im Nationalrat. Die im Vorjahr von der Volkskammer beschlossene Motion, die den Bundesrat mit der Aufstellung eines Katalogs von indirekten Förderungsmassnahmen beauftragen sollte, wurde von den Ständeherren nur als Postulat überwiesen
[4].
Das
Verhältnis zwischen den Regierungsparteien wurde zu Anfang des Jahres — wir haben darüber an anderer Stelle einlässlich berichtet
[5] — von der Möglichkeit eines Rückzugs der Sozialdemokraten aus dem Bundesrat belastet. Der Entscheid des SP-Parteitags vom Februar zugunsten einer Weiterführung der Regierungsbeteiligung brachte eine Entspannung. Wie gleichfalls schon ausgeführt, kann von einer verstärkten Polarisierung in Bundesrat und Parlament nicht gesprochen werden. Aufgrund von Vorbereitungen ihrer Generalsekretäre vereinbarten die Spitzen der vier Parteien und ihrer Fraktionen im März eine Liste von sieben Prioritätsbereichen — allerdings ohne inhaltliche Abstimmung. Im September wurde sodann eine Arbeitsgruppe beauftragt, Vorschläge zu einem einheitlichen Vorgehen in Umweltschutzfragen auszuarbeiten
[6]. Ein polemischer Ausrutscher des freisinnigen Pressedienstes im Zusammenhang mit dem Beschluss der SPS, eine Initiative der Nationalen Aktion zu unterstützen, wurde auch von führenden Persönlichkeiten und einzelnen Kantonalparteien der FDP öffentlich bedauert
[7]. Anderseits nahm die freisinnige Landespartei Anstoss an einer Erklärung, die Repräsentanten der SPS gemeinsam mit einer Delegation der ostdeutschen SED bei deren Besuch in der Schweiz abgegeben hatten
[8].
[1] Panaschierverhalten : Bundesamt für Statistik, Nationalratswahlen 1983. Panaschierstatistik aus zwölf Kantonen, Bern 1984 (Bearbeiter: R. Ritschard); zusätzliche Ergebnisse in TA, 7.11.84. Kommentar: O. Reck in Ww, 49, 6.12.84. Parteiidentifikation: C. Longchamp, Analyse der Nationalratswahlen 1983, Vox-Sondernummer, Zürich 1984, S. 20 ff.
[2] Das Personal des Zentralsekretariats der SPS ist — wie dasjenige des Generalsekretariats der CVP und anderer Organisationen — der Eidg. Versicherungskasse angeschlossen. Ausserdem werden die Löhne des SPS-Personals durch das Eidg. Personalamt ausbezahlt. Die Partei war mit der Vergütung dieser Zahlungen säumig geblieben, worauf BR Stich als Chef des EFD auf eine Begleichung der Schuld drang (Amtl. Bull. NR, 1984, S. 1284 f.; LM, 20.9.84; Bund, 21.9.84; Vr, 26.9.84; TW, 28.9.84; TA, 29.9.84; Suisse, 1.10.84; LNN, 5.10.84; BaZ, 26.11.84.) Vgl. auch unten, Sozialdemokratische Partei.
[3] SZ, 9.11.84; BaZ, 21.11.84; SGT, 23.11.84; TA, 12.12.84.
[4] Amtl. Bull. StR, 1984, S. 253 ff. Vgl: SPJ, 1983, S. 218.
[5] Vgl. oben, Teil I, 1c (Regierung).
[6] Prioritätsbereiche: NZZ, 20.3.84. Umweltschutz: NZZ, 5.9.84.
[7] Der FDP-Pressedienst glossierte die Verbindung von SPS und NA in der Frage des «Ausverkaufs der Heimat» als «National-Sozialdemokratische Aktions-Partei» (NSDAP) (NZZ, 19.4.84; vgl. oben, Teil I, 6c, Bodenrecht). Bedauern: Presse vom 19.4.84 (NR P. Wyss, BS); Vat., 21.4.84 (FDP/LU); Sonntags-Blick, 22.4.84 (Parteipräsident NR B. Hunziker, AG); BaZ, 30.4.84 (FDP/BL). Vgl. auch Ww, 20, 17.5.84.
[8] Die Erklärung befürwortet ein «Zusammenwirken von kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien» für Abrüstung und Entspannung (SP-Information, 165, 18.6.84). Stellungnahme der FDPS : NZZ, 16.6.84. Vgl. auch NZZ, 14.6.84; 20.6.84; SVP-Pressedienst, 24, 20.6.84; Vr, 21.6.84; ferner SPJ, 1982, S. 201.
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