Année politique Suisse 1984 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
 
Arbeitnehmer
Mit grosser Aufmerksamkeit verfolgen seit einigen Jahren die Organisationen der Arbeitnehmer die Auswirkungen der technologischen Entwicklung und des davon ausgelösten wirtschaftlichen Strukturwandels auf Arbeitswelt und Gesellschaft. So stand beispielsweise der alle vier Jahre stattfindende Kongress des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeitnehmer-Verbandes (SMUV) zu einem grossen Teil im Zeichen dieses Themenkreises. Zumindest in den Leitungen der Gewerkschaften scheint weitgehend Einigkeit darüber zu herrschen, dass man sich nicht gegen die Einführung neuer Technologien stellen dürfe, da man nicht eine Verschlechterung der Konkurrenzfähigkeit der schweizerischen Wirtschaft und damit eine Gefährdung der Arbeitsplätze in Kauf nehmen wolle. Hingegen sei es eine vordringliche Aufgabe der Gewerkschaften, den infolge von Rationalisierungsmassnahmen drohenden Arbeitsplatzabbau mit der Forderung nach einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung zu bekämpfen [14]. Dieses Postulat stand eindeutig im Mittelpunkt der gewerkschaftlichen Aktivitäten während des Berichtsjahres und bildete in der Form «40-Stunden-Woche, genügend Arbeit für alle» das Motto für die 1.-Mai-Kundgebungen. Dabei gedenkt der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) dieses Ziel nicht nur auf dem Verhandlungsweg zu realisieren, sondern reichte auch eine entsprechende Volksinitiative ein. Im weitem sprach sich die Delegiertenversammlung des SGB klar gegen den Rückzug der 1979 eingereichten Ferieninitiative aus, obwohl mit der vom Parlament 1983 verabschiedeten Revision des Obligationenrechts ein guter Teil der Forderungen berücksichtigt war. Gemeinsam mit der SP lancierte der SGB schliesslich auf dem Gebiet der Krankenversicherung eine Volksinitiative. Die Arbeitgeber vermochten darin die Tendenz zu einer stärkeren Betonung der gesetzlichen Regelungen zulasten der sozialpartnerschaftlichen Lösungen zu erkennen, die ihrer Meinung nach letztlich zu einem Bedeutungsverlust für die Gesamtarbeitsverträge und die dahinter stehenden Organisationen führen könnte [15].
Der wirtschaftliche Strukturwandel bringt für die Arbeitnehmerverbände aber auch Probleme mit der Mitgliederwerbung. Nicht nur das Wachstum des Dienstleistungs- auf Kosten des Industrie- und Gewerbesektors, sondern auch die Ersetzung von traditionellen manuellen Tätigkeiten durch Planungs-, Überwachungs- und Bedienungsfunktionen innerhalb der industriellen Produktion schmälert die Rekrutierungsbasis vieler Gewerkschaften. Diese versuchen deshalb vermehrt, sich zu eigentlichen Industriegewerkschaften zu entwickeln, welche für sämtliche Arbeitnehmerkategorien einer Branche attraktiv sind. Einen diesbezüglichen Erfolg konnte der SMUV erzielen, indem es ihm erstmals gelang, in einen — allerdings bloss einzelbetrieblichen — Gesamtarbeitsvertrag auch das Büropersonal einzubeziehen. Dass diese Bestrebungen von den herkömmlichen Angestelltenorganisationen nicht gerne gesehen werden, ist nicht erstaunlich. Aber auch innerhalb des SGB sind noch nicht alle Verbände von der Notwendigkeit branchenweiser Zusammenschlüsse überzeugt: Der Schweizerische Lithographenbund lehnte mit deutlichem Mehr die Eröffnung einer breiten Diskussion unter den Mitgliedern über die Wünschbarkeit einer Fusion mit der Gewerkschaft Druck und Papier ab. Die Mitgliederzahl des SGB war 1984 mit – 1,1% etwa gleich stark rückläufig wie die Zahl der im 2. Sektor Beschäftigten. Die grössten Einbussen hatten die typischen industriellen Gewerkschaften GTCP (– 3,4%) und SMUV (– 3,0%) zu beklagen. Während der absolute Mitgliederbestand bei den dem SGB angeschlossenen Verbänden in den vergangenen zehn Jahren um rund 4000 (– 0,9%) zurückgegangen ist, hat sich infolge des deutlich stärkeren Beschäftigungsabbaus (– 9,0%, im Bereich von Industrie und Gewerbe sogar – 20%) der gewerkschaftliche Organisationsgrad erheblich verbessert [16].
Die von jeher enge Zusammenarbeit mit der SP brachte es mit sich, dass der SGB sich auf nationaler und lokaler Ebene mit den Auseinandersetzungen in dieser Partei befassen musste. In der Frage der Fortführung der Bundesratsbeteiligung sprach sieh der erweiterte Vorstand mit relativ knappem Mehr für den Verbleib aus. Bei den baselstädtischen Regierungsratswahlen konnten sowohl die Kandidaten der SP als auch diejenigen der dissidenten Demokratisch-Sozialen Partei auf die offizielle Unterstützung der Gewerkschaften zählen. In der Stadt Bern verzichtete der Gewerkschaftsbund auf eine Empfehlung der SP-Liste für die Wahl in die Exekutive, nachdem ein von ihm favorisierter Bewerber (O. Messerli) bei der Nomination nicht berücksichtigt worden war. Allerdings kam auch das erforderliche qualifizierte Mehr zugunsten des auf einer eigenen Liste kandidierenden Sozialdemokraten Bratschi nicht zustande [17].
Im personellen Bereich ergab sich bei der Gewerkschaft Druck und Papier (GDP) eine bemerkenswerte Veränderung. Der im Vorjahr vom Verdacht der Fälschung zu seinen Gunsten anlässlich der Verbandspräsidentenwahl von 1981 entlastete und rehabilitierte F. Aeberli wurde von der Delegiertenversammlung zum neuen Zentralsekretär gewählt. Der bisherige Verbandspräsident E. Gerster erklärte angesichts dieser Wende seinen vorzeitigen Rücktritt. Die Delegierten des SMUV erneuerten das Mandat ihres Präsidenten F. Reimann — er ist zugleich auch Präsident des SGB — für eine weitere Vierjahresperiode. Dazu bedurfte es allerdings einer Revision der 1972 in die Statuten aufgenommenen Bestimmungen über die Amtszeitbeschränkung [18].
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H.H.
 
[14] SGB, 39, 20.12.84 (SGB-Präsident Reimann); V. Moser, «Auswirkung von neuen Technologien auf Arbeit und Ausbildung», in Gewerkschaftliche Rundschau, 76/1984, S. 16 ff. Zum SMUV-Kongress 1984 siehe SMUVZeitung, 42, 17.10.84; 43, 24.10.84. Der SMUV-Vorstand unterbreitete den Delegierten ein Arbeitsprogramm mit Ideen und Vorschlägen zur zukünftigen Strategie; vorgesehen ist im wesentlichen ein Fortführung des bisherigen Kurses (siehe auch Presse vom 19.-21.10.84).
[15] 1. Mai : Presse vom 2.5.84; SGB, 15, 3.5.84.40-Stunden-Initiative: vgl. oben, Teil I, 7 a (Temps de travail); SPJ, 1983, S. 227 f.; TA, 24.8.84. Ferieninitiative: BaZ, 10.4.84; SGB, 13, 12.4.84; vgl. SPJ, 1983, S. 136 (OR-Revision) sowie oben, Teil I, 7a (Temps de travail). Arbeitgeber: Zentralverband schweiz. Arbeitgeber-Organisationen, Jahresbericht, 77/1984, S. 9 f.; vgl. auch NZZ, 18.8.84; Suisse, 3.10.84.
[16] Mitgliederzahlen: SGB, 15, 3.5.85 sowie H. Anderegg, «Mitgliederentwicklung der schweizerischen Gewerkschaften im Jahr 1983», in Gewerkschaftliche Rundschau, 76/1984, S. 98 ff.; vgl. auch J.-N. Rey e.a., Enquete sur les mutations syndicales en Suisse, Genève 1984. SMUV: TA, 15.5.84; 8.6.84. Lithographenbund: SGB, 20, 21.6.84; Le Gutenberg, 26/27, 28.6.84.
[17] Siehe oben, Teil I, 1c (Regierungen) und 1e .
[18] GDP: Le Gutenberg, 28/29/30, 12.7.84; zu den Präsidentenwahlen von 1981 und den darauf folgenden verbandsinternen und gerichtlichen Auseinandersetzungen siehe SPJ, 1981, S. 211; 1982, S. 210; 1983, S. 228. SMUV: SMUV-Zeitung, 43, 24.10.84; Presse vom 19.-21.10.84; SPJ, 1972, S. 169.