Année politique Suisse 1984 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Regierung
Bereits ein Jahr nach der Nichtwahl von Lilian Uchtenhagen bot sich dem Parlament erneut Gelegenheit, einen Schritt zu machen, den es aus unterschiedlichen Gründen damals noch nicht für opportun erachtet hatte: Die
erstmalige Wahl einer Frau in die Landesregierung. Nach nicht einmal zweijähriger Amtsdauer musste Ende August der freisinnige Bundesrat Rudolf Friedrich aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt auf den 20. Oktober bekanntgeben. Der auch von seinen Gegnern für seine Tüchtigkeit und Geradlinigkeit gelobte Bundesrat nahm seinen Rücktritt zum Anlass, um auf Organisationsprobleme und die damit verbundene Arbeitsüberlastung im Regierungskollegium aufmerksam zu machen. Insbesondere warf er die Frage auf, ob sich die Bundesräte nicht durch Staatssekretäre an den Sitzungen der Parlamentskommissionen vertreten lassen könnten. Diese Anregungen wurden von der freisinnigen Fraktion sowie von Ständerat Masoni (fdp, TI) aufgenommen und als Motionen ins Parlament gebracht
[16].
Als aussichtsreichste Kandidaten für die Nachfolge von Friedrich kristallisierten sich bald der Aargauer Ex-Regierungsrat und Nationalrat Bruno Hunziker sowie die Zürcher Nationalrätin Elisabeth Kopp heraus. Beide galten allgemein als fähig und kompetent, wobei sich Hunziker eher als Vertreter von Wirtschaftsinteressen profiliert hatte, während E. Kopp, bei aller Treue zu freisinnigen Grundsätzen, sich ihren nationalen Bekanntheitsgrad zu einem guten Teil durch ihr umweltschutzpolitisches Engagement erworben hatte. Nachdem diese beiden Bewerber von ihren Kantonalparteien nominiert worden waren, trat etwas ein, das in der neueren Geschichte der Bundesratswahlen als Novum zu betrachten ist. Nicht nur die Qualitäten und allfälligen Mängel der Kandidaten wurden von der Öffentlichkeit unter die Lupe genommen, sondern — allerdings nur bei E. Kopp — auf diejenigen ihres Ehepartners. Mit der Ausbreitung von zum Teil mehr als zehn Jahre zurückliegenden Vorkommnissen aus dem Privat- und Berufsleben des Wirtschaftsanwalts Hans Kopp wurde versucht, die Integrität von Elisabeth Kopp in Frage zu stellen. Die Herkunft der Angreifer war schwer zu umreissen, hervorgetreten war namentlich der freisinnige ehemalige Luzerner Nationalrat und Stadtpräsident H. R. Meyer
[17].
Der Parlamentsfraktion der FDP bot sich nun die Chance, nicht nur die erste Frau im Bundesrat zu stellen, sondern auch den Imageverlust, den sie 1983 durch die Bekämpfung der Kandidatur Uchtenhagen bei vielen Frauen erlitten hatte, wieder wettzumachen. Diese Chance nahm sie jedoch nur zum Teil wahr, da sie der Bundesversammlung eine Zweierkandidatur Kopp/Hunziker vorschlug. Von den zum Entscheid aufgerufenen übrigen Fraktionen sprach sich lediglich die SP für die weibliche Bewerberin aus, alle andern gaben die Stimme frei. Bereits im ersten Wahlgang wurde am 2. Oktober 1984
Elisabeth Kopp bei einem absoluten Mehr von 121 mit 124 Stimmen
gewählt, der Gegenkandidat Hunziker erhielt deren 95. Der erstmalige Einzug einer Frau in die Landesregierung, dreizehn Jahre nach der Einfiihrung des Frauenstimm- und -wahlrechts, wurde in der Öffentlichkeit allgemein begrüsst und auch als Anerkennung der bisherigen Leistungen der weiblichen Politikerinnen gewertet. Da die neue Bundesrätin das Departement ihres Vorgängers (EJPD) übernahm, drängten sich keine weiteren Rotationen auf. Zum Bundespräsidenten für das Jahr 1985 wurde Kurt Furgler gewählt
[18].
Die
Verfassungsbestimmung, wonach nicht zwei Bundesräte im selben Kanton heimatberechtigt sein dürfen, hatte zwar bei der diesjährigen Ersatzwahl, im Gegensatz zu 1983, zu keinen Problemen Anlass gegeben. Trotzdem möchte Nationalrat Bircher (sp, AG) diese Klausel durch einen Passus ersetzen, der lediglich eine angemessene Berücksichtigung der Regionen garantiert. Ebenfalls im Anschluss an die turbulenten Ersatzwahlen von 1983 lancierte im Kanton Jura die Frauengruppe des Rassemblement jurassien eine Volksinitiative für die Einreichung einer Standesinitiative zugunsten der Wahl des Bundesrates durch das Volk. Durch die Schaffung von linguistisch definierten Wahlkreisen will das Begehren die Vertretungsansprüche der verschiedenen Sprachgruppen berücksichtigen und darüber hinaus durch das Wahlprozedere auch für eine angemessene Präsenz der Frauen sorgen
[19].
[16] Rücktritt: Presse vom 30.8.84. Reorganisation: Schweizer Monatshefte, 64/1984, S. 767 f.; Ww, 6.9.84. Motionen : Verhandl. B.vers., 1984, V, S. 30 und 84. Im NR reichte Pini (fdp, TI) eine Motion ein, mit der expliziten Forderung der Wahl je eines Staatssekretärs für die sieben Departemente durch das Parlament ( Verhandl. B.vers., 1984, V, S. 69).
[17] Potentielle Bewerber: Presse vom 30.8.84. Nominierungen: NZZ, 14.9.84 (FDP-ZH); AT, 15.9.84 (FDP-AG). Zu den Auseinandersetzungen über Hans Kopp siehe v.a. AT, 14.9.84; LNN, 20.9.84; 22.9.84; Blick, 27.9.84; Wochen-Zeitung, 28.9.84; 5.10.84.
[18] FDP-Fraktion: NZZ, 25.9.84. SP-Fraktion: NZZ, 26.9.84. Wahl: Amtl. Bull. NR, 1984, S. 1489 ff.; Presse vom 3.10.84. Amtsantritt: NZZ, 4.10.84; Presse vom 20.10.84. Bundespräsident: Amtl. Bull. NR, 1984, S. 1977.
[19] Parlamentarische Initiative Bircher: Verhandl. B.vers., 1984, V, S. 16; BaZ, 22.8.84; vgl. auch SPI, 1983, S. 23 (Motion der SVP). Standesinitiative: LM, 1.2.84 (Lancierung); 24 Heures, 18.2.84; NZZ, 12.3.84; FAN, 20.12.84. Frühere eidgenössische Initiativen für die Einführung der Wahl des Bundesrates durch das Volk waren 1900 resp. 1942 vom Souverän abgelehnt worden.
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